Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer warnt vor der Zunahme autoritär-nationalradikaler Positionen. Dies hätte schon vor Pegida und AfD begonnen.
Der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer sorgt sich um eine Zunahme autoritär-nationalradikaler Positionen. „Die Eindunkelungen in Europa machen mir große Sorgen“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“ am Donnerstag. Autoritäre Denkweisen würden immer normaler. „Normalerweise distanzieren sich Menschen von den Extremen, von Rechtsextremen und natürlich Neonazis, weil sie ihre bürgerliche Normalbiografie nicht gefährden wollen. Aber offensichtlich finden gerade Normalisierungsprozesse statt.“
Verantwortlich dafür sind nach Auffassung des Wissenschaftlers starke kulturelle Verunsicherungsprozesse. Schon vor AfD und Pegida hätten viele Bürger ein Gefühl von Kontrollverlust entwickelt. Ursachen seien die Globalisierung, der Finanzkapitalismus und Hartz IV ebenso wie der Terror und die Flüchtlingswanderung. Diese Entwicklungen würden auch als „Demokratieentleerung wahrgenommen. Die Lösungskompetenz der Politik wird angezweifelt“.
Diese Entwicklung habe „seit den neunziger Jahren Millionen in wutgetränkte Apathie getrieben. Europaweit“, so der Soziologe. „Untere sozialen Schichten trifft das, aber auch die sogenannten Mittelschichten geraten in eine erhebliche Statuspanik.“
Als zentral bezeichnet der Wissenschaftler den Verlust von Anerkennung. „Es ist oft nicht das Geld, es sind die Anerkennungsmöglichkeiten, die verloren gegangen oder gefährdet sind“, sagte er. „Kein Mensch kann auf Dauer ohne Anerkennung leben. Also sucht man sich alternative Anerkennung und sei das die Anerkennung bei der autoritär-nationalradikalen AfD.“
Daraus entwickelte sich laut Heitmeyer eine Nachfrage nach politischen Angeboten, die vorgeben, die Kontrolle wiederherzustellen – und zwar auch durch Ausgrenzung und Diskriminierung. Als Schlüssel für die Attraktivität von AfD und rechten Kreisen bezeichnete Heitmeyer den Begriff „Deutschsein“. „Das Deutschsein kann mir niemand nehmen. Das ist dann der sicherheitsversprechende Identitätsanker“, sagte er.
Als Gegenmaßnahme gegen die wachsende Macht des Autoritären empfiehlt der Soziologe eine gesellschaftliche Entwicklung, „in der die Anerkennungsprobleme auf die Tagesordnung kommen“. Der Alltag sei entscheidend. Mühsam erkämpfte liberale Normen müssten überall verteidigt werden, auf Verwandtschaftstreffen, bei Weihnachtsfeiern, im Verein, im Betrieb. „Wir müssen keine Helden sein, aber im Alltag muss man schon mutig werden.“ (KNA/iQ)