Akademiker widmen sich den wichtigen Fragen unserer Zeit. IslamiQ möchte zeigen, womit sich muslimische Akademiker aktuell beschäftigen. Heute Daniel Roters zur Frage der Theodizee im Islam.
IslamiQ: Können Sie uns kurz etwas zu Ihrer Person und ihrem akademischen Werdegang sagen?
Daniel Roters: Mein Name ist Daniel Roters. Ich bin in einer deutsch-bosnischen Familie aufgewachsen, für mich eine Selbstverständlichkeit. Der Blick der Anderen hat mir in positiver, aber auch negativer Hinsicht gezeigt, dass der Weg zwischen den Kulturen keine Selbstverständlichkeit ist. Durch den Bosnienkrieg wurde dies mir noch deutlicher, denn Risse und Wunden, physischer wie psychischer Art, mussten versorgt werden. Ich erkannte, dass in diesen Gegebenheiten auch große Chancen liegen. Vielleicht wäre es ja möglich, Brücken zu bauen, Menschen zu verbinden, sie ins Gespräch miteinander zu bringen und einen kleinen bescheidenen Anteil daran zu tun, dass sich die Urkatastrophen des 20. Jahrhunderts nicht wiederholten. So studierte ich Arabistik und Islamwissenschaft, Neuere und Neueste Geschichte, Öffentliches Recht und Germanistik in Münster, mit einem einjährigen Gastspiel in Kairo.
IslamiQ: Können Sie uns Ihre Arbeit kurz vorstellen?
Roters: Meine Arbeit soll darstellen wie eine genuin islamische Position zur Frage der Theodizee aussehen kann, also die Frage nach der Allmacht, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes angesichts von Schmerz und Leid in der Welt. Hierbei bewegen wir uns vor allem im Bereich der islamischen systematischen Theologie, der Philosophie sowie der Weisheitslehren der Mystiker. Die Arbeit versucht die verschiedenen Stränge, in denen in der islamischen Tradition über das Leid und den Umgang mit diesem berichtet, zusammenzudenken. Es geht hierbei auch darum, eine fassbare Sprache zu finden und Konzepte wie Geduld, Prüfung oder Gottvertrauen in Worte zu fassen.
IslamiQ: Warum haben Sie dieses Thema ausgewählt? Gibt es ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?
Roters: Sicherlich ist die Vernichtung von Muslimen und der Versuch der Tilgung ihrer Geschichte in meinem Mutterland Bosnien ein ausschlaggebender Punkt gewesen: Die Erkenntnis, dass die Heimat nicht an einem Ort oder in einer politischen Gruppierung liegt, sondern im Glauben liegt und dadurch unverletzbar wird. Den Menschen, die dies auf schmerzliche Art und Weise erfahren mussten, ist meine Arbeit gewidmet, die auch als ein Versuch betrachtet werden kann, das Unaussprechliche zur Sprache zu bringen.
IslamiQ: Haben Sie positive/negative Erfahrungen während Ihrer Doktorarbeit gemacht? Was treibt Sie voran?
Roters: Ich habe festgestellt, dass es doch schon eine Herausforderung ist, im Speziellen bezogen auf mein Thema, im 21. Jahrhundert, nach Auschwitz, nach den Lagern Omarska und Trnopolje, nach Srebrenica kein einziges Wort wie Hohn gegenüber den Ermordeten und den Überlebenden klingen zu lassen angesichts dieser Erschütterungen unserer Zivilisation. Bei aller Schwierigkeit treibt mich voran, dass ich weiß, am Ende der Arbeit nicht mehr der zu sein, der ich am Anfang war. Ich finde, dass dies eine spannende Aussicht ist.
IslamiQ: Inwieweit wird Ihre Doktorarbeit der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland nützlich sein?
Roters: Es ist schwierig im geisteswissenschaftlichen Bereich Nützlichkeitserwägungen anzustellen. Jeder der sich auf dem Weg der Erkenntnis macht, geht Schritte, die ihn in unbekannte und mitunter dunkle Gefilde führen. Ich denke dennoch, dass jede deutschsprachige Veröffentlichung, so auch diese, dabei helfen wird, Selbstverständlichkeiten herzustellen, die wir als Muslime in Deutschland dringend benötigen. Es gilt auch eine Sprache zu finden, mit denen wir die Ambivalenzen unseres Seelenlebens ausdrücken und vermitteln können. Wir können als Theologie hier eine Grundlegung leisten, die in der Praxis eine große Relevanz u.a. für die eine muslimische seelsorgerliche Begleitung im Allgemeinen sowie die kategoriale seelsorgerliche Begleitung (Krankenhaus, Gefängnis, Hospiz usw.) hat. Die wichtigste Aufgabe der Islamischen Theologie wird es über Jahre sein, die Kommunikabilität des Glaubens zu fördern, dies in Verantwortung vor unserer Tradition, Gott und den Menschen. Diese Arbeit soll einen bescheidenen Beitrag dazu leisten.
Das Interview führte Muhammed Suiçmez.