Interview mit Prof. De Wall

Ausbildung und Finanzierung von Imamen: Sache der Religionsgemeinschaften

Imame stehen im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion, die teilweise heftig geführt wird. Wo sollen sie ausgebildet werden? Was sollen sie leisten können? Wer soll sie bezahlen? Den rechtlichen Rahmen erfahren Sie im Interview mit dem Staatskirchenrechtler Prof. Dr. Heinrich de Wall.

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2018
Symbolbild: Junge Imame in Deutschland
Symbolbild: Imame in Deutschland © Shutterstock, bearbeitet by iQ.

IslamiQ: In Deutschland erhalten die evangelische und katholische Kirche finanzielle Leistungen vom Staat. Können auch andere Religionsgemeinschaften – unabhängig von ihrem Status – staatlich unterstützt werden? Auf welcher Grundlage wäre dies möglich?

Prof. Dr. Heinrich de Wall: Das ist ein sehr komplexes Thema, das eigentlich nicht in wenigen Sätzen beantwortet werden kann. „Finanzielle Leistungen vom Staat“ werden aus unterschiedlichen Gründen an Kirchen und andere Religionsgemeinschaften entrichtet. Es gibt Subventionen gemeinwohlfördernder Zwecke, Staatsleistungen und andere finanzielle Leistungen. Wenn z. B. eine Kirchengemeinde einen Kindergarten errichtet, bekommt sie dafür Zuschüsse vom Staat. Das ist nur ein Beispiel für eine Subvention für die Unterstützung eines gemeinwohlfördernden Zwecks. Solche Subventionen können alle Religionsgemeinschaften erhalten, nicht nur die Kirchen, wenn sie gemeinwohlfördernde Zwecke erfüllen, für die der Staat einen Zuschuss leistet. So zum Beispiel bei den Kindergärten. Hier fördert der Staat nicht nur Religionsgemeinschaften, sondern auch andere soziale Organisationen.

Die sogenannten „Staatsleistungen“, die in erster Linie an die großen Kirchen geleistet werden, sind zumeist Entschädigungen dafür, dass der Staat in früheren Zeiten kirchliches Eigentum enteignet hat. Es ist also kein Wunder, dass nur die Kirchen davon profitieren, weil nur deren Eigentum enteignet wurde.

Es gibt neben Subventionen und „Staatsleistungen“ noch andere Formen der finanziellen Zuwendungen des Staates an Religionsgemeinschaften. Sie stehen alle prinzipiell nicht nur der evangelischen und der katholischen Kirche, sondern auch anderen Religionsgemeinschaften offen. Die Kirchensteuer ist keine Leistung des Staates an die Kirchen, sondern wird nur von den Mitgliedern der jeweiligen Religionsgemeinschaft an diese Gemeinschaft entrichtet – sie ist also ein Mitgliedsbeitrag der Religionsgemeinschaft. Sie kann von allen Religionsgemeinschaften erhoben werden, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, nicht nur von den großen Kirchen.

IslamiQ: Im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern: Welche Besonderheiten gibt es in Deutschland, wenn es um die Finanzierung von religiösem Personal oder ihre Ausbildung durch den Staat geht? Welche Unterschiede gibt es zwischen Deutschland und den anderen Ländern?

De Wall: Da jedes Land sein eigenes System hat, kann man auch darauf keine einfache Antwort geben. Die Religionsgemeinschaften haben in Deutschland die Freiheit, selbst darüber zu bestimmen, welche Qualifikation ihr religiöses Personal haben muss. Die großen christlichen Kirchen verlangen dafür ein theologisches Hochschulstudium, das meistens an der theologischen Fakultät einer staatlichen Hochschule absolviert wird. Die Kosten für ein solches Studium tragen der Staat, der die Hochschulen betreibt, und die Studierenden für ihren Lebensunterhalt.

Ähnlich organisierte akademische Vorbildungen für religiöses Personal gibt es in vielen europäischen Ländern. Die großen christlichen Kirchen in Deutschland (und einige andere Religionsgemeinschaften) schließen dann eine praktisch orientierte Ausbildung an, die die Kirchen selbst bezahlen.

Auch sonst wird religiöses Personal in Deutschland nicht durch den Staat bezahlt, sondern durch die Religionsgemeinschaften selbst. Ausnahmen gelten für einige wenige staatliche Bereiche wie die Militärseelsorge. Soweit Aussagen zu hören sind, dass der Staat in Deutschland die Bischöfe besoldet, so ist das zumindest missverständlich. Manche Länder zahlen die oben genannten Staatsleistungen als Entschädigung für frühere Enteignungen, und bemessen die Höhe der Leistung nach bestimmten Gehältern, etwa denen eines Bischofs. Die direkte Besoldung von Bischöfen durch den Staat gibt es in Deutschland nicht mehr.

IslamiQ: Islamisch-Theologische Standorte an Hochschulen stehen im Fokus, wenn es um die Möglichkeiten für eine inländische Imamausbildung geht. Was können diese anbieten und was nicht, wenn man bedenkt, dass der Staat an sich religionsneutral zu sein hat?

De Wall: Theologie kann ebenso als Wissenschaft auf wissenschaftlichem Niveau betrieben werden wie andere Disziplinen auch. Die Pflege der wissenschaftlichen Theologie in Forschung und Lehre kann der Staat anbieten. Dabei darf er aber nicht selbst darüber entscheiden, was richtige und was falsche Theologie ist, sondern muss die vorhandenen Theologien hinnehmen. Daher gibt es an deutschen Hochschulen nicht nur eine christliche Theologie, sondern evangelische, römisch-katholische und orthodoxe Theologie. Daneben etablieren sich nun auch die islamischen Studien. Diese wissenschaftliche Ausbildung darf der Staat anbieten. Wenn die Religionsgemeinschaften darüber hinaus eine praktische Ausbildung in ihrem eigenen Bereich wünschen, müssen sie diese selbst organisieren und finanzieren. Sie sind aber frei, das zu tun oder aber Absolventen der Universitäten als Imame einzustellen, ohne eine weitere Ausbildung durchzuführen.

IslamiQ: Seit Jahren wird über die „Auslandsfinanzierung“ von Imamen diskutiert. Einige sprechen sich dafür aus, diese Finanzierung für Imame komplett abzuschaffen. Ist dies rechtlich überhaupt zulässig? Sind Ihnen Auslandsfinanzierungen im nichtmuslimischen Kontext bekannt?

De Wall: Es gehört zum Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, darüber zu entscheiden, wie sie sich finanzieren. Die Finanzierung aus ausländischen Quellen steht ihnen in dem Maße offen, wie die allgemeinen Gesetze Zahlungen aus dem Ausland zulassen. Beschränkungen dieser Freiheit sind nur in dem Rahmen der für Alle, nicht nur die Religionsgemeinschaften geltenden Gesetze möglich. Inwiefern im nicht-muslimischen Bereich Spenden aus dem Ausland zur Finanzierung von Religionsgemeinschaften beitragen, kann ich nicht sagen – ich vermute aber, dass es sie gibt. Das ist auch ohne weiteres zulässig.

IslamiQ: In Belgien werden die Gehälter der Imame vom Staat gezahlt. Wäre solch ein Modell für Deutschland vorstellbar?

De Wall: Nein, das würde gegen den Grundsatz der Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften verstoßen. Möglich wäre nur die Finanzierung von Imamen in speziellen staatlichen Bereichen wie der Militärseelsorge oder der Bezahlung von Imamen, die auch Religionsunterricht an staatlichen Schulen halten, für diesen Unterricht. Dafür müssen sie aber natürlich die erforderlichen Qualifikationen für einen solchen Unterricht haben.

IslamiQ: Nach dem Grundgesetz vergeben die Religionsgemeinschaften ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates und verwalten ihre eigenen Angelegenheiten selbständig. Aus welchem Grund sollen islamische Religionsgemeinschaften bei der Ausbildung ihrer Imame mit dem Staat kooperieren, wenn es um ihre originär inneren Angelegenheiten geht?

De Wall: Es ist Sache der Religionsgemeinschaften, darüber zu bestimmen, wieweit sie mit dem Staat kooperieren möchten. Im Bereich der Imamausbildung sind islamische Religionsgemeinschaften zunächst insofern gefragt, als sie die theologischen Grenzen der theologischen Wissenschaft kennzeichnen müssen – natürlich aber unter grundsätzlicher Akzeptanz der Freiheit der Wissenschaft. Der Staat kann nicht selbst darüber befinden, was noch islamisch und was unislamisch ist. Aber auch unterhalb dieser Grenzen kann es vernünftig sein, mit dem Staat, genauer mit dessen Universitäten, ins Gespräch darüber zu treten, was vernünftige Anforderungen an die wissenschaftliche Vorbildung von Theologen sind, so dass die Lehr- und Prüfungsordnungen daran orientiert werden. Dabei ist aber unerlässlich, dass die Freiheit der Wissenschaft akzeptiert wird.

IslamiQ: Die Erfahrung zeigt, dass nur an theologischen Fakultäten ausgebildete Personen als Imame die Bedürfnisse der Moscheegemeinden nicht decken können. Von Imamen wird erwartet, dass sie die Lebenswirklichkeit der Gemeinde sehr gut kennen und praxisorientiert arbeiten. Denken Sie, dass die Erwartungen des Staates, der Gemeinden und der Imame in diesem Sinne übereinstimmen?

De Wall: Ich glaube nicht, dass der Staat insofern andere Erwartungen hat als die, die Sie formuliert haben. Das ist aber letztlich nicht entscheidend, weil die Religionsgemeinschaften über die Erfordernisse der Ausbildung ihres Personals entscheiden. Soweit die Gemeinden dafür eine praktische Ausbildung in ihrem Bereich für erforderlich halten, dürften und sollten sie dafür Konzepte entwickeln und diese durchführen. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, mit den islamisch-theologischen Departments an den deutschen Hochschulen Gespräche darüber zu führen, wie man die universitäre Lehre praxisnäher gestalten kann. Daran haben die theologischen Hochschullehrer auch ein eigenes Interesse. Auch dabei ist aber stets die Freiheit der Wissenschaft anzuerkennen. Die Wissenschaft entscheidet letztlich darüber, welche Lehrinhalte noch in den Bereich wissenschaftlicher Theologie gehören.

IslamiQ: Wenn über die Ausbildung von Imamen gesprochen wird, fallen oft Stichwörter wie „deutscher Islam“, „Radikalisierungsprävention“ oder „Integration“. Wie ist das staatliche Interesse in diesem Sinne zu erklären? Darf der Staat aus rechtlicher Perspektive solche Forderungen hinsichtlich der Ausbildung überhaupt formulieren?

De Wall: In dem Artikel des Grundgesetzes, der die Wissenschaftsfreiheit garantiert, heißt es: „Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung“. Damit ist das legitime staatliche Interesse an der Ausbildung und deren Grenzen – auch über den Bereich der Universität hinaus, ganz gut formuliert. Natürlich darf die Politik aber auch darüber hinaus Hoffnungen und Erwartungen haben und im Rahmen von Verfassung und Recht Maßnahmen ergreifen, diese zu erreichen. Erzwingen kann er diese Hoffnungen und Erwartungen aber nicht.

IslamiQ: Immer wieder wird von manchen politischen Vertretern die „Deutschpflicht“ von Imamen diskutiert. Es wird auch gefordert, dass die Imame nicht aus dem Ausland kommen. Sind solche Forderungen rechtlich bedenklich?

De Wall: Solche Forderungen sind insoweit nicht mit der Verfassung vereinbar, wie sie die Grenzen des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften verletzen. Dieses darf nur durch ein „für alle geltendes Gesetz“ eingeschränkt werden. Ein Gemeinwohlerfordernis, das eine solche Beschränkung rechtfertigen würde, ist mir derzeit nicht ersichtlich. Aber natürlich darf die Politik darauf hinzuwirken versuchen, dass gute Bedingungen für die staatlichen Integrationsziele geschaffen werden.

Das Interview führte Elif Zehra Kandemir.

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Nicht jeder Imam in der Türkei, der sich für einen Auslandsdienst bewirbt, wird auch für einen Auslandsdienst zugelassen. Die Auswahlkriterien sind da streng. Zudem bekommen die Imame ihren Gehalt vom Staat. Diese Regelung ist der demokratischen Regierung von Süleyman Demirel Ende der 1960er Jahre zu verdanken. Wohlgemerkt: Die Türkei ist ein laizistischer Staat. Im säkularen Deutschland sollte deshalb die Besoldung der Imame durch den Staat erst Recht möglich sein. Wir haben hier ohnehin eine weit weniger strenge Trennung von Religion und Staat, was der Religionsfreiheit mehr zugute kommt. Mit Mitgliedsbeiträgen kann ein Imam nicht entlohnt werden. Auch nicht mit einer zusätzlichen Steuerauferlegung, da dies die Kassen muslimischer Geringverdiener, die ihre Familien ernähren müssen, zusätzlich belasten würde. Ein großer Teil der muslimischen Erwerbstätigen sind immer noch Geringverdiener. Außerdem sind die Mehrheit der regelmäßigen Moscheebesucher ohnehin Nichtmitglieder, d.h. sie suchen regelmäßig eine Moschee auf, ohne dort Mitglied zu sein. Eine Moschee ist schließlich keine geschlossene Gemeinde, die Nichtmitglieder ausschließt. Nichtmitglieder haben dort lediglich in der Vereinsarbeit kein Mitspracherecht, was jedoch nicht heißt, dass sie informell keine Wünsche und Forderungen äußern dürfen. Das Problem ist: Wir haben in Deutschland noch keine vergleichbare Institution wie Diyanet in der Türkei oder Al-Azhar in Ägypten. Erst wenn Muslime es schaffen, hier in Deutschland eine vergleichbare Institution zu etablieren, wird sich das Problem wie von alleine lösen.
23.12.18
15:44
Kritka sagt:
L.S. Herr De Wall ist der Meinung: Theologie kann ebenso als Wissenschaft auf wissenschaftlichem Niveau betrieben werden wie andere Disziplinen auch. Kritika verdeutlicht: Theologie kann ebenso als Wissenschaft auf wissenschaftlichem Niveau betrieben werden wie andere esoterische Disziplinen auch: Astrologie, Wahrsagen, GespensterKunde als Wissenschaft auf wissenschaftliches Niveau betrieben werden können. Gruss, Kritika.
23.12.18
23:00
grege sagt:
Die bisher präsenten Religonsgemeinschaften vom KRM kommen hier wegen diverser Vorfälle in Vergangenheit und Gegenwart nicht infrage. Jetzt stellt sich die Frage, wer von den Muslimen als Religionsgemeinschaft fungieren soll. Und hier begegnen wir genau der Problemtatik, die seit 1979 besteht.
04.01.19
20:13