Heute feiern Christen weltweit die Geburt Jesu, der auch im Islam eine wichtige Stellung einnimmt. Doch wie wird die Geburt Jesu im Koran erläutert? Islamwissenschaftlerin Catharina Rachik geht dieser Frage nach und zeigt die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zur Bibel auf.
Dass Jesus (arab. Îsâ) im Koran und im Islam eine bedeutende Stellung als Prophet einnimmt, ist bekannt und hat schon zu vielen Dialogen zwischen Christen und Muslimen geführt. Die Empfängnis und Geburt Jesu wird im Koran zusammenhängend erzählt, anhand derer zwar Parallelen zur christlichen Tradition aufgezeigt werden können, aber auch wesentliche Unterschiede zu der Weihnachtsgeschichte im Lukasevangelium herausstechen.
Insbesondere Sure 19, die den Titel Maryam (dt. Maria) trägt, erzählt die Geschichte der Empfängnis und der Geburt Jesu. Vorangestellt ist hier, wie auch bei Lukas im Neuen Testament, die Parallelgeschichte über die wundersame Geburt des Johannes (arab. Yahyâ), die als ein Beweis der Allmacht Gottes dient, der Dinge aus dem Nichts erschaffen kann und Propheten in die Welt sendet. So ist auch die Geburt Jesu ein Wunder, das Gott an den Menschen auf der Erde vollbringt. In Sure 19 heißt es:
16. Und berichte im Buch über Maria. Als sie sich von ihren Angehörigen an einen östlichen Ort zurückzog. 17. Und sich von ihnen absonderte, da sandten Wir unseren Geist zu ihr, und er erschien ihr wie ein vollkommener Mann. 18. Sie sprach: „Ich suche Zuflucht vor dir beim Erbarmer! Wenn du gottesfürchtig bist, (lass ab)“ 19. Er sprach: „Ich bin nur ein Bote deines Herrn, um dir einen lauteren (reinen) Sohn zu bescheren.“ 20. Sie sprach: „Wie soll ich einen Sohn bekommen, wo mich kein Mann berührt hat und ich keine Dirne bin?“ 21. Er sprach: „So sei es! Dein Herr hat gesagt: ‚Das ist mir ein leichtes! Und Wir wollen ihn zu einem Zeichen für die Menschen machen und zu einer Barmherzigkeit von Uns. Und das ist eine beschlossene Sache.’“[1]
Die Parallelen, die zwischen dem koranischen Bericht und dem Lukasevangelium aufgezeigt werden können, beziehen sich zunächst auf die Erscheinung des Engels Gabriel in der Bibel und dem Geist in Gestalt eines vollkommenen Mannes im Koran, sowie die jungfräuliche Empfängnis in beiden Geschichten. Die islamische Tradition erklärt jedoch, dass es sich bei dieser Erscheinung um den Engel Gabriel handle, der in Gestalt eines Mannes erscheint, damit sie seine Sprache verstünde und nicht gleich fliehen würde, wenn sie ihn sieht. Indem Maria Zuflucht bei dem Erbarmer, also Gott, sucht, stellt sie ihre Sittsamkeit unter Beweis. Wie die Empfängnis genau von statten geht, wird an anderer Stelle im Koran erwähnt, nämlich in Sure 66, 12: „(…) Maria, Imrans Tochter, die ihre Scham hütete, darum hauchten wir von unserem Geist in sie ein (…)“. Daran wird deutlich, dass auch hier Maria Jesus durch das Einhauchen eines göttlichen Geistes empfangen habe.
Auch im Lukasevangelium ist Maria erschrocken über den Gruß des Engels und überlegt, was dieser bedeute. Der Engel, dessen Gestalt in der Bibel nicht näher beschrieben wird, prophezeit ihr einen Sohn mit dem Namen Jesus. Auch hier antwortet sie: „Wie wird dies geschehen, da ich (doch) von keinem Mann weiß? Und der Engel antwortete ihr: Heiliger Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten (…)“ (Lukas 1, 29-35).
Was sich nun unterscheidet, ist der Ort der beiden Geschichten. Anders als im Lukasevangelium ist hier nicht von der Stadt Nazareth, sondern von einem „östlichen Ort (arab. Makân scharkî) und einem Vorhang (arab. Hidschâb), hinter welchem Maria sich zurückzieht, die Rede. In der islamischen traditionellen Koranauslegung wurde der „östliche Ort“ als eine im Jerusalemer Tempel gelegene Kammer gedeutet.
Die Erzählung des Korans weist daher eher Parallelen zu dem Protoevangelium des Jakobus auf, entstanden um 160 n. Chr. in Ägypten, welches zwar nicht in den Kanon des Neuen Testaments aufgenommen wurde, dafür aber sehr viel Popularität insbesondere bei den Ostkirchen erfahren hatte und der Ausbildung einer Mariologie zu Grunde lag. Nach Jakobus wächst Maria im Tempel auf, wo sie in der Folge die Begegnung mit dem Engel hat und empfängt.
Was im Koran keine Erwähnung findet, ist die beschwerliche Reise nach Betlehem, sowie Joseph aus dem Hause Davids, mit dem Maria im Lukasevangelium verlobt war. Im Koran steht das Zurückziehen an einen fernen Ort und die jungfräuliche Empfängnis Marias im Vordergrund, als Wunder und Zeichen der Allmacht Gottes. Jesus wurde im Zuge eines göttlichen Schöpfungsaktes ins Leben gerufen, so wie dies schon bei Adam erfolgte, dem Gott auch Geist einhauchte, um ihn lebendig zu machen. Jedoch wird Jesus mit dem Geist identifiziert, denn dieser ist Geist und Wort Gottes. In Sure 4, 171 wird Jesus „Geist von Gott“ genannt und damit auch die Besonderheit Jesu hervorgehoben. Korankommentatoren erklären hier, dass Jesus mit dem „Geist der Heiligkeit“ erfüllt war, um seinen prophetischen Auftrag zu bewältigen. Wie auch das Neue Testament zweimal von der Ankündigung Jesu berichtet (in Matthäus an Joseph und in Lukas an Maria), so geschieht dies auch im Koran in Sure 3 Âl Imrân“, Verse 42-47, in beiden Fällen jedoch an Maria. Überhaupt ist auffällig, dass der Koran die Geschichte Jesu in die Marias einbettet, wodurch ihr eine ganz besondere Rolle zukommt, wie auch der Vers 42 der dritten Sure bestätigt: „Maria! Siehe, Gott hat dich auserwählt und rein gemacht – er erwählte dich vor allen Frauen auf der Welt.“ Daher wird Jesus im Laufe der Geschichte auch als der „Sohn Marias (arab. Ibn Maryam)“ betitelt.
Die direkte Geburt Jesu wird im Koran und auch im Neuen Testament nur einmal direkt erzählt, hier in der Weihnachtsgeschichte bei Lukas und in der mekkanischen Sure 19 im Koran. Die Geschichte setzt sich im Koran wie folgt fort:
22. Und so empfing sie ihn und zog sich mit ihm an einen entlegenen Ort zurück. 23. Und die Wehen trieben sie zum Stamm einer Palme. Sie sprach: „O dass ich doch zuvor gestorben und ganz und gar vergessen wäre!“ 24. Da rief unter ihr jemand: „Sorge dich nicht! Dein Herr lässt unter dir Wasser fließen. 25. Und schüttle nur den Stamm der Palme, dann werden frische, reife Datteln auf dich herunterfallen. 26. So iss und trink und sei guten Mutes. Und wenn du einen Menschen siehst, dann sprich: ‚Siehe, ich habe dem Erbarmer gelobt, mich der Rede zu enthalten. Deshalb spreche ich heute zu niemand.’“ 27. Und sie brachte ihn mit zu ihren Leuten, ihn mit sich tragend. Sie sprachen: „O Maria! Fürwahr du hast etwas Unerhörtes getan! 28. O Schwester Aarons! Dein Vater war kein Bösewicht und deine Mutter keine Dirne!“ 29. Da verwies sie auf ihn. Sie sagten: „Wie sollen wir mit ihm, einem kleinen Kind in der Wiege, reden?“ 30. Er (Jesus) sprach: „Seht, ich bin Allahs Diener. Er hat mir das Buch gegeben und mich zum Propheten gemacht. 31. Und Er machte mich gesegnet, wo immer ich bin, und befahl mir Gebet und Almosen, solange ich lebe, 32. Und Liebe zu meiner Mutter. Und er hat mich weder gewalttätig noch unheilvoll gemacht. 33. Und Frieden war mit mir am Tage meiner Geburt und wird es am Tage sein, da ich sterbe und am Tage, da ich zum Leben erweckt werde.“ 34. So war Jesus, Sohn der Maria – eine wahre Aussage, die sie bezweifeln.
Hier fällt zunächst auf, dass es sich bei dem Ort der Geburt Jesu nicht um einen Stall in Betlehem handelt, sondern dass der Koran von einem entlegenen Ort und einer Palme spricht, unter der Maria Jesus zur Welt brachte. So eindeutig, wie es in den Weihnachtsgeschichten oftmals erzählt wird, ist die Geburtsstätte auch in der christlichen Tradition nicht; denn nach Matthäus handelt es sich hier um ein Haus, nach dem Protoevangelium des Jakobus ist die Rede von einer Höhle in einer einsamen Gegend.
Maria, komplett allein ohne ein Dach über dem Kopf, ist verzweifelt, einerseits, da sie abgeschnitten von der Welt ein Kind zur Welt bringen muss, andererseits, da sie schwanger geworden ist, ohne verheiratet zu sein. Hier wird sie jedoch getröstet, und zwar von ihrem Kind Jesus selbst, der zu ihr spricht, ihr gut zuspricht, sie sei durch Wasser und durch die Palme versorgt. Schon als Heranwachsende wurde Maria stets von Gott versorgt, wie es in Sure 3 beschrieben wird, in Vers 37:
„Und so nahm Allah sie huldreich an und ließ sie in holdem Wachstum wachsen. Und Zacharias pflegte sie. Sooft Zacharias zu ihr in den Tempel trat, fand er bei ihr Nahrung. Da fragte er: „O Maria, woher hast du das?“ Sie antwortete: „Es ist von Allah. Fürwahr, Allah versorgt, wen er will, ohne abzurechnen.“
Die Episode der Sure 19, 22-34 ist der Hauptunterschied zu der christlichen kanonischen Tradition, da dort weder das Wunder der Erquickung Marias noch das Sprechen ihres Kindes, auch als ein Zeichen und Wunder von Gott, zu finden ist. Auch werden im Koran die Geburtsschmerzen Marias beschrieben, in der Bibel dagegen läuft die Geburt leicht und schmerzfrei ab. Die theologische Aussage der Erzählung im Koran lässt sich wie folgt aufschlüsseln: Auch in der schlimmsten Zeit, in Schmerzen und Einsamkeit, erhört Gott die Gebete und tritt als Versorger auf.
Als sie dann zu ihren Leuten zurückkehrt, sind diese entsetzt. Nach jüdischen Recht würde Maria hier die Steinigung auf Grund einer illegitimen Schwangerschaft drohen. Doch indem Jesus spricht, rettet er sie. Dadurch wird die Beziehung zwischen Jesus und Maria noch enger geknüpft. Diese enge und harmonische Beziehung wird in der koranischen Geschichte weiter fortgesetzt. Das Sprechwunder weist jedoch eine Parallele zu einem apokryphen christlichen Text auf, dem arabischen Kindheitsevangelium. Dort stellt sich das Baby Jesus Maria als Gottes Sohn und Logos vor, so wie es der Engel Gabriel angekündigt hat.
In der Bibel lesen wir, dass der Engel des Nachts zu den Hirten auf der Wiese kam, um ihnen dort die frohe Botschaft von der Geburt Jesu, dem Heiland, anzukündigen. Diese eilten alsbald zu der Krippe, um das Kind, auch hier als Wunder von Gott, zu betrachten. Diese Erzählung wird im Koran nicht erwähnt.
Auch wenn zu Beginn der Geschichte zwischen christlicher und islamischer Tradition einige Parallelen zu erkennen sind, auf dem Höhepunkt dividieren diese sich jedoch auseinander und werden gar gegensätzlich. Die Kernbotschaft der Geschichte im Koran ist zum einen das Wunder der Jungfrauengeburt, zum anderen wird hier jedoch auch die Vaterlosigkeit Jesu klar. Weder hat Jesus einen irdischen, noch einen göttlichen Vater, Gott zeugt nicht und wird nicht gezeugt. Er ist der Einzige.
Was beide Schriften jedoch eint, ist der Glaube an die Jungfrauengeburt Marias, die Jesus empfangen hat, da Gott sie auserwählte. In seinem Dasein ist Jesus somit ein göttliches Wunder. Solch ein Wunder vermag kein Mensch zu vollbringen, dies ist allein Gott vorbehalten.
Erwähnt sei hier noch folgende Episode der islamischen Geschichte: Um ca. 615 wanderte eine Gruppe von Muslimen aus Mekka aus, um Zuflucht im christlichen Abessinien zu suchen. Der Prophet Muhammad (s) hatte bereits Offenbarungen von Gott empfangen, als er sich jedoch gegen die Polytheisten in Mekka wandte, sahen diese ihre Interessen bedroht und isolierten die Muslime.
Angekommen in Abessinien, wurden die Muslime nach ihrer Religion gefragt, so dann rezitierten sie die Sure 19 mit der Geburt Jesus. Der König war zu Tränen gerührt und antwortete: Diese Offenbarung und die Offenbarung Jesu kommen aus derselben Nische. Ein muslimisch-christlicher Dialog, der bereits vor 1400 Jahren stattfand mit dem Ergebnis, dass die Muslime weiterhin Zuflucht in Abessinien gewährt bekamen.
[1] Übersetzung nach Max Henning