Der ehemalige Politiker Donatello Poggi hatte in einem Artikel den Genozid an den bosnischen Muslimen in Srebrenica geleugnet und wurde dafür verurteilt. Das Schweizerische Bundesgericht hat diese Verurteilung nun aufgehoben.
In der Schweiz wurde ein umstrittenes Urteil vom Bundesgericht aufgehoben, wie Schweizer Blätter berichten. Die Vorgeschichte: In der Zeitung „Corriere del Ticino“ veröffentlichte der Politiker Donatello Poggi einen Artikel mit dem Titel „Srebrenica, wie es wirklich war“ und erklärte darin die nach seiner Auffassung offizielle Version über die Geschehnisse in der kleinen Stadt im Osten Bosniens. Der Genozid an den Bosniaken wäre eine „propagandistische Lüge“. Es habe 1995 zwar ein Massaker stattgefunden, jedoch seien die Serben die Opfer gewesen. Das Massaker an den Muslimen weise, seiner Ansicht nach, viele dunkle Stellen auf.
Nach einer Strafanzeige wurde Poggi 2017 von der Tessiner Justiz wegen mehrfacher Rassendiskriminierung zu einer bedingten Geldstrafe sowie einer Buße verurteilt. In Folge einer Beschwerde gelangte er dann an das Bundesgericht, das ihn vom Vorwurf der Rassendiskriminierung freisprach. Die Richter erklärten, der objektive Tatbestand des Artikels 261 Absatz 4 des Strafgesetzbuches „Leugnung von Völkermord“ sei zwar grundsätzlich erfüllt, allerdings lägen keine ausreichenden Indizien dafür vor, dass der Autor auch in diskriminierender Absicht handelte.
Das Bundesgericht stützte sich in seinem Urteil außerdem auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschrechte (EGMR) im Fall Doğu Perinçek gegen die Schweiz. Der türkische Politiker nannte den Genozid an den Armeniern eine „internationale Lüge“ und wurde aufgrund dessen vom Bezirksgericht Lausanne verurteilt. Nach einem langen Rechtstreit entschied der EGMR im Jahr 2016, dass die Schweiz das Meinungsäußerungsrecht verletzt habe, indem sie Perinçek wegen Rassendiskriminierung verurteilte.
Ähnlich lief es jetzt auch bei Poggi ab. Im konkreten Fall erklärte das Bundesgericht, der umstrittene Text von Poggi sei grundsätzlich von öffentlichem Interesse. Auch wenn er nicht im Rahmen einer aktuellen politischen Debatte geäußert wurde, betreffe er dennoch die jüngere Geschichte, und Meinungsäußerungen von allgemeinem Interesse werde ein starker Schutz zuerkannt. Entgegen der Ansicht des Tessiner Appellationsgerichts, befand der Bundesgerichtshof, dass es keine Rolle spielte, dass Poggi weder Jurist noch Historiker oder überhaupt Akademiker ist, da das die Meinungsäußerungsfreiheit auf einen bestimmten Personenkreis beschränken würde.
Das Gericht berücksichtigte außerdem, dass Poggi in seinem Artikel nicht zu Gewalt, Hass oder Diskriminierung aufgerufen habe, noch habe er gegenüber bosnischen Muslimen Vorwürfe erhoben. Sein Text sei zwar zweifellos respektlos und beleidigend für das Andenken der Opfer, deren Familien und die bosnische Gemeinde. Dennoch wäre in diesem Falle ein strafrechtliches Eingreifen nicht angemessen, da das Maß der Verletzung der Würde dies nicht erforderlich mache.
Im Juli 1995 während des Bosnienkriegs geschah das Massaker in Srebrenica, das als schwerstes Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gilt. Mehr als 8000 muslimische Bosniaken, fast ausschließlich Jungen und Männer im Alter von 13 bis 78 Jahren wurden in der UN-Schutzzone unter der Anwesenheit der Blauhelme ermordet. Verübt wurde das Massaker unter der Führung von Ratko Mladic, einem serbisch-bosnischen General, der im November 2017 vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Völkermords zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.