









Das „blutige Schröpfen“ ist schon lange ein riesen Hype in Deutschland. Viele Muslime sowie Nicht-Muslime sehen in dieser Heilmethode wahre Wunder. Doch was ist die Hidschama überhaupt und was steckt wirklich dahinter? Ein Hintergrundbericht.
Die vergessene Heilmedizin „Hidschama“ oder auch „Schröpfen“ liegt hoch im Trend. Neben dem „trockenen Schröpfen“ spricht man immer häufiger von dem sogenannten „blutigem Schröpfen“. Auch wenn sich das im ersten Moment gewöhnungsbedürftig anhört, sind viele Heilpraktiker und Ärzte große Befürworter dieser Methode. Dabei werden Saugglocken auf die zuvor angesaugte und eingeritzte Haut gesetzt. Der Unterdruck zieht dann das Blut und die Toxine aus den kleinen Schnittwunden.
„Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war Schröpfen in Arztpraxen und Krankenhäusern fast alltägliche Praxis. Es ist dann in Vergessenheit geraten und wird jetzt erst wiederentdeckt“, so die Heilpraktikerin Semra Ersoy aus Köln. Ersoy ist Inhaberin einer Heilpraxis in Köln-Ehrenfeld und quittiert ein hohes Interesse an der Schröpfmethode. Während früher oft nur muslimische Patienten ihre Praxis aufsuchten, sei die Nachfrage mittlerweile sehr hoch und Menschen aller Nationen und Religionen kämen in die Praxis, um sich schröpfen zu lassen.
Das Schröpfen ist nicht nur in der islamischen Welt verankert. Schon die alten Ägypter und Chinesen saugten verschmutzte oder eitrige Verletzungen, Stachel von Insekten oder Bisse von giftigen Tieren mit dem Mund aus. Nach Europa kam dann die Hidschama über Andalusien durch die arabisch-muslimische Medizin. Durch das Schröpfen sollen Gift- und Schadstoffe entfernt werden, die den Körper krank machen oder gemacht haben.
Beim blutigen Schröpfen wird ein Vakuum Mithilfe von speziellen Schröpfgläsern auf die zu schröpfenden Körperstellen erzeugt. Nach drei bis fünf Minuten werden die Schröpfgläser entfernt, um dann kleine Einstiche mittels einer Rasierklinge, Skalpell oder einer Nadel in die entstandenen Beulen zu ritzen. Die Ritzungen sind nur oberflächlich, ungefähr zwei Millimeter, sodass sich im Nachhinein keine Narben bilden können.
Anschließend werden die Schröpfgläser wieder auf die zu behandelnden Beulen angelegt. Diese ziehen nun das verunreinigte Blut und die überflüssigen Flüssigkeiten aus dem Körper heraus. „Viele Menschen denken, dass man sich nur an den Schultern schröpfen lassen kann. Der Rücken und die Schulterblätter sind zwar die wichtigsten und effektivsten Stellen, doch Schröpfen lassen kann man sich überall am Körper“, berichtet Semra Ersoy.
Das islamische Schröpfen unterscheidet sich nicht wirklich vom traditionell chinesischen Schröpfen. Die Methode ist gleich, und auch das Vorgehen ist identisch. Jedoch wird beim islamischen Schröpfen viel Wert drauf gelegt, während der Behandlung Gebete aufzusagen und Koranverse zu rezitieren. Welche Verse oder Gebete es sein sollen, wird in keiner Quelle vorgegeben.
Vor der Behandlung sollten keine Medikamente eingenommen werden, die das Blut verdünnen. Nach der Behandlung sollte der Patient einige Stunden warten, bevor er duscht oder badet. Zusätzlich wird empfohlen 24 Stunden vor und nach dem Schröpfen kein Fleisch und keine Milchprodukte zu verzehren, da diese überflüssige Säuren im Körper bilden können. Anschließend sollte man zwei bis drei Stunden vor dem Schröpfen nichts essen, um den Körper auf die Behandlung vorzubereiten. Beim islamischen Schröpfen werden genaue Tage vorgegeben, an denen man sich behandeln lassen sollte. Hierzu wird der 17., 19., und 21 Tag eines Monats benannt. (Abû Dâwûd, II/732). Es wird empfohlen zwei bis vier mal im Jahr eine Schröpfung vorzunehmen. Schwangere Frauen oder Frauen, die in dem Zeitraum ihre Periode haben, dürfen nach Meinungen von Gelehrten nicht geschröpft werden.
Das blutige Schöpfen muss von erfahrenen und geschulten Heilpraktikern, Ärzten oder Gelehrten durchgeführt werden, die das Schröpfen professionell und zertifiziert erlernt haben. Semra Ersoy warnt davor, eine Schröpfung bei unerfahrenen und nicht ausgebildeten Schröpfern durchzuführen. „Bei unsterilen Räumlichkeiten oder Schröpfutensilien ist die Gefahr für eine Infektion sehr hoch. Bei einer zu tiefen Ritzung kann es zu straken Blutungen kommen und aus hygienischen Gründen und um mögliche Krankheiten zu verhindern, ist der Einsatz von Einwegnadeln bzw. Einwegrasierklingen zwingend notwendig.“
Es gibt zahlreiche Überlieferungen, dass sich der Prophet Muhammad (s) für unterschiedliche Indikationen schröpfen und somit behandeln ließ. Zum Beispiel beschrieb er, dass das Schröpfen am Kopf bei Beschwerden wie Schwachsinn, Aussatz, Weissfleckenhaut (Albino), Schlafmüdigkeit, Kopfschmerzen, (Backen-)Zahnschmerzen und gegen böse Blicke hilft. Auch steigert es die Aufmerksamkeit, löst Verspannungen, hilft bei Rheuma- und Gelenkbeschwerden, bei Migräne und Bluthochdruck (Muwatta, Imam Mâlik, 1821). Anschließend ließ Er sich bei Quetschungen, Blutergüssen oder vorsorglich mit der Heilmethode behandeln (Abû Dâwûd, 703). Er nutzte die Heilmedizin auch bei Vergiftungen (Abû Dâwûd, 3911), während der Pilgerfahrt (Buhârî, 5262) und bei Gesichtslähmungen (Muwatta, Imam Mâlik, 1759).
Das Schröpfen gilt als nebenwirksarme Behandlungsmethode. Es kann jedoch bei einem zu starken Vakuum der Schröpfgläser zu Schmerzen kommen. Bei unsachgemäßer Anwendung kann sich die geschröpfte Stelle entzünden. Ernsthafte Komplikationen als Folge des Schröpfens unter fachkundiger Durchführung sind bisher nicht bekannt.
Eine vergessene Heilpraxis die schon lange kein Geheimnis mehr ist. Vom Propheten Muhammad (s) zu Ibn Sînâ bis zu den Chinesen und mittlerweile auch in Köln-Ehrenfeld wurde und wird diese Heilmethode praktiziert.