MUSLIMISCHE AKADEMIKER

„Trägerinnen des Gemeindelebens“

Akademiker widmen sich den wichtigen Fragen unserer Zeit. IslamiQ möchte zeigen, womit sich muslimische Akademiker aktuell beschäftigen. Heute Betül Karakoç über religionsbeauftragte Frauen in Moscheegemeinden.

06
01
2019
Betül Karakoç
Betül Karakoç, bearbeitet by islamiQ

IslamiQ: Können Sie uns kurz etwas zu Ihrer Person und ihrem akademischen Werdegang sagen?

Betül Karakoç: Ich bin 1992 in Frankfurt am Main geboren und bin das älteste Kind einer siebenköpfigen Familie. Meine schulische und akademische Laufbahn habe ich bis dato in Frankfurt genossen. Frankfurt ist und wird daher ein wichtiger Bestandteil meines Lebens bleiben. Nach dem Abitur habe ich Lehramt studiert. Seit drei Jahren arbeite ich an der Goethe-Universität, am Institut für Pädagogik der Sekundarstufen des Fachbereichs Erziehungswissenschaften. Zurzeit bin ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin an derselben Universität tätig und promoviere bei Prof. Dr. Harry Harun Behr. 

IslamiQ: Können Sie uns Ihre Dissertation kurz vorstellen?

Karakoç: Im Rahmen meines qualitativ empirischen Dissertationsprojektes untersuche ich religionsbeauftragte Frauen in DITIB Gemeinden. Die Feldforschung  in verschiedenen Gemeinden in Hessen sowie an den theologischen Fakultäten in Ankara, Istanbul und Konya ermöglichte mir, Hintergrundinformationen zum Forschungskontext und Einblicke in die Ausbildungsstätten und Berufsorte der angehenden und bereits tätigen religionsbeauftragten Frauen und Männer (Imame) zu sammeln. Bei den angehenden Religionsbeauftragten handelt es sich um Studierende des internationalen Theologiestudiums, die in Deutschland aufgewachsen sind und das Theologiestudium in der Türkei absolvieren.

Im Forschungskontext untersuche ich, welche Erwartungen und Hoffnungen die Frauen in den Interviews mit Blick auf ihre Tätigkeitsbereiche formulieren und welche Herausforderungen und Kontingenzsituationen sie erwarten oder erfahren. Vor diesem Hintergrund spielen die Migrationserfahrungen (Arbeits- und Bildungsmigration der Befragten) eine wichtige Rolle. Welche Migrationserfahrungen machen sie im transnationalen Raum Türkei-Deutschland? Wie wirken sich diese Erfahrungen auf ihr religiöses Handlungsfeld aus? Mit einer erziehungswissenschaftlichen und pädagogischen Perspektive analysiere ich gender-, bildungs-, religions- und migrationsrelevante Aspekte in ihren Wechselwirkungen, ganz im Sinne der intersektionalen Forschung.

IslamiQ: Warum haben Sie dieses Thema ausgewählt? Gibt es ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?

Karakoç: Ich habe mich während des Studiums bereits mit Moscheen als Erziehungs- und Lernorte aus wissenschaftlicher Perspektive auseinandergesetzt. Der Schwerpunkt lag zunächst auf der religiösen Unterweisung und den Lehrenden ohne geschlechterdifferenzierte Betrachtung. Die Lücke in der Forschungsliteratur zu weiblichen Religionsbeauftragten als religiöse und pädagogische Führungspersonen brachte mich dazu, diese Forschungsrichtung einzuschlagen. 

In der Tat gab es Schlüsselerlebnisse im Sinne einer Verstärkung der bereits vorhandenen Motivation. Es wäre jedoch unpassend die Motivation auf bestimmte Erlebnisse zurückzuführen. Denn das Themenfeld ist für mich aufgrund meiner Biographie und den in der Vergangenheit gesammelten Erfahrungen in Moscheegemeinden von großer Bedeutung. 

IslamiQ: Haben Sie positive/negative Erfahrungen während Ihrer Doktorarbeit gemacht? Was treibt Sie voran?

Karakoç: Die Feldforschung in unterschiedlichen Gemeinden in Hessen, an den theologischen Fakultäten in der Türkei und die Gespräche mit den Religionsbeauftragten, den Studierenden und den Lehrenden an den Fakultäten haben mich und meine Forschungsperspektive geprägt. Solche Momente sind sehr wertvoll und lehrreich. 

Herausforderungen gibt es immer. Doch die Möglichkeit zu erhalten mit den richtigen Menschen zusammenzuarbeiten ist bereichernd. Eine Herausforderung ist immer wieder der Versuch, eine Balance zwischen virtueller Nähe und virtueller Distanz dem Thema gegenüber zu bewahren. Die Nähe ist oftmals ein Türöffner und ermöglicht den Zugang ins Feld. Zugleich machen solche Forschungen den Forscher zu einem Wanderer. Es ist für mich umso spannender zu beobachten, was die Forschung mit mir als Forscherin macht. 

Zugespitzt formuliert: Das Gefühl mit der eigenen Forschung die Welt retten zu können wird mit der Zeit stärker. Ich glaube, dass viele Doktorand/innen im Laufe der Promotion dieses Gefühl mit sich tragen. 

IslamiQ: Inwieweit wird Ihre Doktorarbeit der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland nützlich sein?

Karakoç: Ich sehe die Bedeutung und die Relevanz dieser Forschungsarbeit auf unterschiedlichen Ebenen:  

Zum einen wird die Arbeit einen Beitrag dazu leisten, weibliche Religionsbedienstete in Moscheegemeinden als religiöse Autoritätspersonen in den Vordergrund der Betrachtung zu rücken. In der bisherigen Forschungsliteratur werden Imame als Führungspersonen und ihre Schlüsselfunktion in der Integration und religiösen Erziehung der Gemeindebesucher berücksichtigt. Die Präsenz und das Engagement der Frauen als Trägerinnen des Gemeindelebens wurde in der Forschungsliteratur festgehalten, doch eine breite Forschungslücke besteht in der näheren Betrachtung des Handlungsfeldes der theologisch ausgebildeten religionsbeauftragten Frauen in Moscheegemeinden. Mit dieser Forschungsarbeit kann de facto eine neue Diskussionsgrundlage in Bezug auf die Handlungsfelder weiblicher Religionsbediensteter und allgemein des Feldes der Religionsbediensteten entstehen.    

Konkret bedeutet das für die muslimische Gemeinschaft in Deutschland, dass anhand der Forschungsergebnisse die Strukturen mit den rekonstruierten Wahrnehmungen und Bearbeitungen unterschiedlicher Aspekte durch die religionsbeauftragten Frauen erneut in Frage gestellt werden können. 

Zum anderen wird eine neue Grundlage für den Diskurs um in Deutschland sozialisierte Imame und religionsbeauftragte Frauen geschaffen. Welche Möglichkeiten bieten diese Religionsbedienstete im Gegensatz zu den aus der Türkei entsandten und worin unterscheidet sich das religiöse Selbstverständnis und der Blick auf ihr Handlungsfeld? Die Forschungsergebnisse können genau an solchen Stellen Rückschlüsse ermöglichen.  

Das Interview führte Muhammed Suiçmez.

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Frauen sind längst ein integraler Bestandteil der Moscheegemeinden. Ohne sie ist die Gemeindearbeit undenkbar. Es ist sehr erfreulich, dass darüber endlich eine Doktorarbeit erscheinen wird.
06.01.19
18:56
Emanuel Schaub sagt:
Es ist sehr zu hoffen dass diese Arbeit die "Betonköpfe" in der Islamischen Gemeinschaft zur Einsicht bringen wird ,dass auf Dauer die Frauen nicht daran gehindert werden dürfen/können ihren Beitrag zur Integration in die hiesige Gesellschaft zu leisten und damit gegen Betonköpe der derselbigen zu schützen! Ob das wohl in der Katholischen Kirche gelingen wird?... gruss emanuel
07.01.19
11:04
Frederic Voss sagt:
Interessant wären auch Gespräche mit Menschen aus der Arbeiterschaft zum Thema "Womit beschäftigen sich aktuell muslimische Arbeiter?" Die fast 27-jährige Frau Karakoc fühlt immer stärker, daß sie mit ihrer Tätigkeit die Welt retten könne. Wahrscheinlich wird sie später froh sein, wenn sie wenigstens sich selber retten kann. Religiöse Erziehung und Unterweisung anderer ist ihr ein wichtiges Thema. Ebenso sind ihr religiöse Autoritätspersonen von entscheidender Bedeutung. Warum sollen überhaupt Autoritäten allen anderen Menschen (Nichtautoritäten) ständig Lebensregeln und Art der Lebensgestaltung vorgeben und verordnen, als ob jene das nicht selber frei entscheiden könnten und sollten?
08.01.19
3:46