Belgien

Studie: Welche Wirkung hat das Kopftuchverbot auf muslimische Frauen?

Muslimische Frauen sehen sich im belgischen Flandern mit einem Kopftuchverbot konfrontiert. Die jüngste Studie zeigt die Wirkung des Kopftuchverbots im Land auf die muslimischen Frauen auf.Unsere Gastautorin Kawtar Bakir fasst die wichtigsten Punkte für IslamiQ zusammen.

09
01
2019
Lehrerin, Kopftuchverbot, Kopftuch, Muslimin
Symbolbild: Muslimin mit Kopftuch am Arbeitsplatz© Shutterstock

Trotz der sichtbaren Folgen des Kopftuchverbots in Belgien wurde zu den Wirkungen des Verbots bisher keine Untersuchung durchgeführt. Daher habe ich mit der Unterstützung der Einrichtung Unia zur Bekämpfung von Diskriminierung und des Vereins PEP!, der Jugendliche mit ausländischen Wurzeln in der Bildung fördert, die Lebenswelt von etwa 100 junge Musliminnen untersucht. Ich habe die Wirkungen des Kopftuchverbots auf die psychologische und berufliche Entwicklung dieser Mädchen erforscht.

Das erste, was mir bei der Quellensuche aufgefallen ist, war, dass zuvor zu diesem Thema keine Untersuchung unternommen wurde. In meiner Feldstudie habe ich Gespräche mit jungen Mädchen verschiedener Gymnasien in Flandern durchgeführt, die in den letzten beiden Klassen waren. Die Ergebnisse der Untersuchung waren ebenso auffallend, wie betrübend. Denn das Kopftuchverbot hatte auf die psychologische und berufliche Entwicklung der jungen Mädchen recht negative Auswirkungen.

„Sie haben einen Teil meiner Identität gestohlen“

Die Wirkung des Kopftuchverbots auf die psychologische Entwicklung der Schülerinnen ist sehr vielfältig. Das Verbot demotiviert die Schülerinnen extrem, führt dazu, dass sie im Schulalltag Negatives erfahren und führt sie näher an eine Identitätskrise. Einige der auffallenden Daten der Studie sind folgende:

Für 54 % der Schülerinnen spielt das Kopftuch in der Identitätsentwicklung eine Rolle. 85 % der jungen Mädchen hingegen sind emotional vom Kopftuchverbot betroffen. Diese Mädchen erleben Emotionen wie Scham, Trauer, Wertlosigkeit und Diskriminierung.

57 % der Teilnehmerinnen beschreiben das Ablegen des Kopftuches als ein schweres Gefühl der „Demütigung“. 97 % der jungen Mädchen hingegen fühlen sich unsicher, wenn sie vor der Schule das Kopftuch ablegen. Muslimische Jugendliche fassen die Gefühle, die das Kopftuchverbot bei ihnen auslöst, wie folgt zusammen:

„Sie haben einen Teil meiner Identität gestohlen. Sie geben das Gefühl, dass wir nie in der Gesellschaft angenommen werden.“

„Du kannst nicht du selbst sein. Du muss sich anpassen und dich selbst als jemand anderes ausgeben. Damit andere glücklich sind. Während du selbst Schmerz und Unterdrückung erlebst.“

„Diese (Lage) führt dazu, dass ich mich unsicher und insbesondere nicht erwünscht fühle!“

Die Hürden eines Kopftuchverbots

Im Rahmen der Studie sind die Folgen, die in Bezug auf die berufliche Wahl und professionelle Entwicklung der Jugendlichen aufgedeckt wurden, hingegen noch viel auffälliger: Vor allem sind die beruflichen Wahlmöglichkeiten der Schülerinnen, die vom Kopftuchverbot betroffen sind, eingeschränkt. Zum Zweiten ist die Teilnahme an außerschulischen Aktivitäten durch diese Schülerinnen vermindert. Drittens sind die jungen Mädchen durch das Kopftuchverbot an der Schule demotiviert.

Die Daten der Folgen des Kopftuchverbots hinsichtlich der beruflichen und professionellen Entwicklung sind folgende: 42 % der Schülerinnen sind zum Thema außerschulische Aktivitäten nicht motiviert. 83 % lehnen auf Grund des Kopftuchverbots Arbeitsangebote ab und suchen nach Alternative. 85 % hingegen wählt den Studiengang nach dem Verbot des Kopftuches. Dies zeigt uns wiederum, dass das Kopftuch im Leben der jungen Mädchen eine sehr wichtige Rolle spielt. Das Kopftuch ist für diese jungen Mädchen nicht nur hinsichtlich der Identität und Spiritualität ein wichtiger Faktor, sondern hat auch zugleich Einfluss auf ihre psychologische Entwicklung, Persönlichkeit und Identität.

Junge muslimische Mädchen erzählen mit den folgenden Sätzen, wie sie zwischen Berufswahl und Kopftuch stecken bleiben:

„.Auf Grund des Verbots gehe ich nicht gerne in die Schule und möchte sogar die Schule abbrechen.“

„Eigentlich will ich Lehramt oder Jura studieren, aber da ich das Kopftuch ablegen müsste, suche ich nach einem anderen Studienfach.“

„Ich möchte studieren, damit ich in Zukunft mein eigenes Unternehmen gründen und mit Kopftuch arbeiten und auch Frauen mit Kopftuch beschäftigen kann. Natürlich können auch Frauen ohne Kopftuch arbeiten, ich würde niemanden diskriminieren, denn ich weiß selbst genau, wie sich das anfühlt.“

Gegenseitige Rücksichtnahme ist wichtig

Schülerinnen sind darauf angewiesen, sich bestmöglich zu entwickeln. Sie müssen ihre Fertigkeiten weiterentwickeln und bei der Ausbildung Unterstützung annehmen. Ein solcher Schritt hingegen ist nur möglich, wenn sie sich gut fühlen, denn die Leistung der Menschen ist mit der psychologischen Gesundheit eng verbunden.

Diese Lage gilt auch für die jungen Mädchen, die vom Kopftuchverbot betroffen sind. Auch diese sind in Bezug auf ihre Weiterentwicklung auf Möglichkeiten angewiesen. Diese Untersuchung sollte zum besseren Verständnis des Schulalltags der Mädchen mit Kopftuch gelesen werden. Diese 70-seitige Studie hat es zum Ziel, die Stimme der Mädchen erhören zu lassen, den Sachverhalt aus entwicklungspsychologischer Sicht zu betrachten und ein Bewusstsein für das Thema in den belgischen Medien zu schaffen. Dies ist zugleich eine Perspektive zum Kopftuchverbot, die zuvor nicht zur Sprache kam.

Die Ergebnisse der Studie zeigen insbesondere, dass wir den Fokus ändern müssen: Wir diskutieren nicht das „Kopftuch,“ sondern wir sprechen über die Gefühle, Wahlen, Kapazitäten, Emotionen, Schwierigkeiten, Erwartungen, Fähigkeiten und Identitäten junger Mädchen, die mit einem Kopftuch repräsentiert sind. Das Thema sind nicht Tücher, sondern Menschen. Anstatt diesen Menschen das Gefühl zu geben, sie seien unwichtig, sollte ihnen auch das Wort erteilt werden. Pädagogen und Lehrkräfte sollten auf die Wahl des Studiums der Abschlussjahrgänge achten. Die Jugendlichen sind auf Hilfen angewiesen, damit sie die richtige Wahl treffen und nicht von ihren Fähigkeiten und Träumen erdrückt werden.

Auf der anderen Seite sollte jedes Mitglied der Gesellschaft für eine tolerante Gesellschaft arbeiten, in der jedes Individuum „es selbst“ sein und sich auf die beste Art weiterentwickeln kann. Es sollte auf eine Gesellschaft hin gearbeitet werden, in der niemand diskriminiert wird, die Menschen verständnisvoll sind und die Jugendlichen selbstbewusst und unabhängig ihre Träume umsetzen können. In diesem Gesellschaftsideal sind auch muslimische Mädchen mit Kopftuch eingeschlossen!

Info: Für Interessierte ist hier die flämische Version der Untersuchung:

Leserkommentare

Frederic Voss sagt:
In islamischen Gottesstaaten herrscht ja das verbindliche Kopftuch-Gebot, mit dem sich dort die muslimischen Frauen konfrontiert sehen. Dieser staatliche Zwang zum unbedingten Kopftuch-Tragen in der Öffentlichkeit erfährt nun in Europa genau das Gegenteil. Hier herrscht eben ein staatlicher Zwang zum unbedingten Nicht-Kopftuch-Tragen islamischer Kopftücher in der Öffentlichkeit. Ist das nicht ausgleichende Gerechtigkeit? Ist es dann nicht für islamische Kopftuch-Liebhaberinnen eine Überlegung wert, womöglich in einen solchen islamischen Vorbild-Gottesstaat umzusiedeln, weil sie dort nicht nur unbegrenzt ihre innig geliebten Kopftücher ständig tragen dürfen, sondern - staatlich unterstützt - sogar unter Strafandrohung tragen müssen?
09.01.19
21:58
Kritika sagt:
L.S. Zunächst vielen Dank für den Link zum Niederländisch Sprachigen OrginalText. In den Flandrischen Provinzen Belgiens ist und heisst die offizielle Sprache übrigens Niederländisch, Buchstaben getrau identisch mit der Sprache in den Niederlanden. Es gibt also keine flämische Version des Berichtes sondern eine Niederländische. Kritika beherrscht Niederländisch wesentlich perfekter als Deutsch. Nun zur Sache. Mädchen von Islamischen Eltern werden zum Glück ohne Kopftuch geboren. Wenn sie später dennoch mit Kopftuch demonstrieren, ist es ihnen eindoktriniert. Mädchen aller anderen Religionen und Sekten kommen ohne ein solches StreitSymbol aus und sind (vielleicht dadurch) weitaus friedlicher und weniger Angriffsbereit als KopftuchMädchen (Die Querulantin Ludin ist jedem noch als unverbesserliche Repräsentantin eines un-integrierbaren, unverträglichen Islam in böser Erinnerung). An dieser Stelle sei das Indoktrinieren von Mädchen, ( dass sie unbedingt ein Kopftuch benötigen ), als Hauptursache der späteren, im Bericht aufgebauschte angeblichen Kopftuch-Probleme fest gestellt. Wohlweislich erwähnt der original Niederländische Bericht mit keinem Wort, dass in Französische Schulen seit Jahrzehnten KopftuchVerbot für Lehrer und Schüler besteht. Und dass es in diesen Schulen friedlich zugeht Hat jemand jemals gehört, dass Französische Schüler Probleme hätten mit ihrer " psychologischen Gesundheit" ? Wir haben es hier einmal wieder mit den bekannten Frosch-und-Sumpf Problem zu tun: Wenn die Belgier den KopftuchSumpf trockenklegen wollen, quacken die uneinsichtigen Frösche dagegen. Kritika wünscht den Belgischen Behörden viel Glück mit ihrer AntiKopftuch Entscheidung. Von der angeblichen Meinung aufgewiegelter junger Mädchen sollte sie sich nicht beïrren lassen, Jeder Schritt in Richtung Ent-Islamisieren ist ein guter Schritt. Denn der Islam hat Europa nur Probleme und viel menschliches Leid gebracht. Wenn Mohammedaner hier friedlich und unauffällig leben wollen wird keiner etwas dagegen haben. Kritika meint: Ohne Islam wäre Deutschland wesentlich sicherer und friedlicher. Gruss, Kritika
10.01.19
0:50
Emanuel Schaub sagt:
Danke für diese 2seelische Innensicht " der Betroffenen! Der Publzist Lothar Schol-Latour hat einmal im Hinblick auf die deutsche.. Anmasung anderen Völkern " Nachhilfe Unterricht" in Sachen Ethik/Moral insbesondere auf politischem Gebiet zu erteilen ,den rat gegeben "Einfach mal Schauze halten" Das gilt ja wohl jetzt jedem Einsichtsfähigen !! gruss emanuel
10.01.19
12:09
Dilaver Çelik sagt:
Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht. (B. Brecht)
10.01.19
14:38
Ute Fabel sagt:
Bei Religionen und Weltanschauungen sollte es um innere Werte gehen und nicht um ein geradezu fetischhaftes Fixiertsein auf ein Stück Stoff. Komisch finde ich, dass muslimische Männer so selten das spirituelle Bedürfnis verspüren ihr Haupthaar zu verhüllen. Woran kann das wohl liegen?
10.01.19
22:09
grege sagt:
Wieso Unrecht, die Gesetzeslage ist in Belgien eindeutig, an der sich auch Muslime zu halten haben. Unrecht ist hingegen, wer Gesetzesverstöße begeht, wie es Dilaver fordert
11.01.19
20:35
Stefan Zinn sagt:
Der Artikel beschreibt eine unerwähnte große Chance zur Befreiung von im Kindesalter auferlegten Verpflichtung zu einer Kleiderordnung, die in anderen als muslimischen Gesellschaften nicht existiert. In Zeiten von Globalisierung und mobiler Freizügigkeit ist die dadurch erforderliche Flexibilität eine Bereicherung, die den Betroffenen neue Möglichkeiten öffnet. Leider erwähnt der Artikel nicht, warum die Frauen unter dem Kopftuchverzicht leiden. Ist es Scham aus einem Gefühl der Nacktheit? Wenn ja, wie kommt es, dass muslimische Frauen, die ohne Kopftuch aufgewachsen sind, diese Nacktheit nicht empfinden? Im Übrigen sind bestimmte Kleidervorschriften als Ge- und Verbote auch in nicht-muslimischen Gesellschaften seit Jahrhunderten alltäglich - und werden von den Betroffenen allmählich über mehrere Generationen verändert. Beispielsweise war es vor 50 Jahren noch wesentlich verpflichtender als heute, dass Männer in bestimmten Berufen nur mit Hemden und Krawatten erscheinen durften. Noch immer gibt es Länder, in denen Schulkinder ihre persönlichen individuellen Kleiderwünsche nicht ausleben dürfen, sondern eine Schuluniform zu tragen haben. Auch für Frauen gab es bis vor 1-2 Generationen noch Vorschriften, die heute kaum noch gelten. So ist es inzwischen grundsätzlich jeder Frau in jeder Situation möglich und freigestellt, zwischen Kleid, Rock und Hose zu wählen. Noch 1 Generation früher wurde von Frauen in manchen Gelegenheiten Röcke oder Kleider erwartet, die durch ihre weite Offenheit am unteren Ende durchaus als diskriminierend empfunden werden konnten.
13.01.19
23:00
Thoolb sagt:
@Dilaver, welches Unrecht wird denn durch das Kopftuchverbot zu Recht?
13.01.19
23:06
Dilaver Çelik sagt:
Kopftuchverbot ist Unrecht par excellence, weil es eklatant gegen die Religionsfreiheit muslimischer Frauen verstößt. Wer Kopftuchverbote befürwortet, befürwortet Unrecht und hat ein Problem mit der Religionsfreiheit. Ziviler Ungehorsam als Widerstand gegen gesetzliche Kopftuchverbote ist deshalb rechtens. Das Kopftuch kann man nicht verbieten. Nicht in einer Diktatur, erst recht nicht in einer Demokratie. Eine selbstbewusste Muslima würde sich das Kopftuch nicht verbieten lassen und eine Durchsetzung des Verbots auch gar nicht zulassen. Muslime sollten sich generell nichts von Atheisten, Religionsgegnern und faschistischen Säkularisten sagen lassen und ihren eigenen Weg gehen. Dazu gehört auch, mit seinem Leben einzustehen. Der Koran verbietet, denjenigen, die Unrecht tun, auch nur die kleinste Zuneigung zu haben, auf dass das Höllenfeuer auch nicht einen selbst erfassen möge. Deshalb ist das Kopftuchverbot entschieden abzulehnen. Kopftuchverbote sind nicht nur null und nichtig, sondern haben auch ohne wenn und aber der Vergangenheit anzugehören. Doch die Abschaffung des Kopftuchverbots allein reicht nicht aus. Wer das Kopftuch verbietet und darauf auch beharrt, dem gehört der Prozess gemacht, bei dem ihm eine empfindliche Freiheitsstrafe droht, damit niemand mehr auf die Idee kommt, ein Kopftuchverbot zu fordern. Wer das Kopftuch nicht akzeptiert und beharrlich mit negativem assoziiert, obwohl er darüber aufgeklärt wurde, dass er mit seiner Haltung einem Irrtum unterliegt, dem ist sowieso nicht zu helfen. Solche Leute gehören ignoriert, so lange sie nicht übergriffig werden. Gewalt gegen muslimische Frauen - auch staatliche Gewalt - aufgrund des Kopftuchs darf jedoch nicht geduldet werden. Es ist Bürgerpflicht, dagegen beherzt einzugreifen und notfalls mit seinem Leben einzustehen, um die Gewalt abzuwenden.
18.01.19
11:13
Dilaver Çelik sagt:
Übrigens: Gegen Unrecht zu widersprechen und sich gegen Unrecht zu wehren - auch gegen gesetzliches Unrecht - kann niemals kriminalisiert werden.
18.01.19
12:03
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