Der Ausdruck „Anti-Abschiebe-Industrie“ ist zum „Unwort des Jahres 2018“ gekürt worden. Aus Sicht der Jury ist er ein Beleg dafür, dass sich der politische Diskurs nach rechts verschiebt.
Das Unwort des Jahres 2018 lautet „Anti-Abschiebe-Industrie“. Das gab die Sprecherin einer unabhängigen und sprachkritischen Jury, die Linguistik-Professorin Nina Janich, am Dienstag in Darmstadt bekannt. CSU-Politiker Alexander Dobrindt hatte den Begriff in einem Interview verwendet. Der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag hatte im Mai die Klagen gegen die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber als Sabotage des Rechtsstaats bezeichnet und von einer „Anti-Abschiebe-Industrie“ gesprochen.
Janich sagte, eine solche Äußerung von einem wichtigen Politiker einer Regierungspartei zeige, „wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben hat und sich damit auch die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie auf bedenkliche Weise verändern“. Die Diskussion rund um das Thema Migration lade offensichtlich besonders zur Verwendung politischer Kampfbegriffe oder polemischer Formulierungen ein.
Dobrindt selbst sagte am Dienstag in Berlin, in der Debatte, die 2018 (über die Flüchtlingspolitik) geführt wurde, sei es um die Beschreibung eines Sachverhaltes gegangen. Debatten brauchten zugespitzte Begriffe.
Die Jury kritisierte auch den vom Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) verwendeten Begriff „Menschenrechtsfundamentalismus“. Damit habe der Politiker in der Diskussion um die Flüchtlingsrettung im Mittelmeer, die politische Haltung anderer kritisiert. Menschenrechte von Flüchtlingen zu verteidigen, sei keine Frage der Gesinnung, die als „Fundamentalismus“ diskreditiert werden könnte.
Von Palmer hieß es am Dienstag auf seiner Facebook-Seite, er habe nicht infrage gestellt, ob man Menschen in Seenot retten muss. „Dass Menschenrechte fundamental sind, versteht sich von selbst. Fundamentalismus ist trotzdem falsch“, heißt es. Dieser könne politische Gegenkräfte auf den Plan rufen, die den Menschenrechten Schaden zufügten.
Die Jury kritisierte auch den Begriff „Ankerzentrum“ für bestimmte Flüchtlingseinrichtungen. Mit dem Wort Anker würden gezielt positive Assoziationen genutzt. So würden komplizierte Prüfverfahren und die dort herrschende strikte Aufenthaltspflicht für Flüchtlinge verschleiert.
Die Präsidentin des PEN-Zentrums Deutschland, Regula Venske, begrüßte die Entscheidung: Mit dem „Unwort des Jahres“ halte die unabhängige Jury der Gesellschaft alljährlich einen Spiegel vor. „Auch dieses Jahr müssen wir erschrecken, wenn wir hineinblicken“, erklärte sie auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Es gehe nicht nur um die Verschiebung des Diskurses nach rechts. „Einer Verrohung der Sprache folgen allzu oft rohe Taten“, fügte die Schriftstellerin hinzu.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) kritisierte den Begriff „Anti-Abschiebe-Industrie“ ebenfalls. „Das sind einfach Formulierungen, die nicht gehen“, sagte er in Stuttgart. Solche Worte seien „völlig unangemessen“.
508 verschiedene Begriffe waren als Vorschläge für das „Unwort“ eingegangen. 60 davon entsprachen den Kriterien der sprachkritischen Aktion, wie Janich sagte. Knapp 15 Wörter habe die Jury in die engere Wahl einbezogen.
Zum „Unwort des Jahres“ wird seit 1991 jährlich ein Begriff gekürt, der gegen das „Prinzip der Menschenwürde“ oder gegen „Prinzipien der Demokratie“ verstößt, weil er gesellschaftliche Gruppen diskriminiere oder „euphemistisch, verschleiernd oder gar irreführend“ sei. Für 2016 war die Wahl auf „Volksverräter“ gefallen, für 2017 auf „Alternative Fakten“. Im Vergleich zu den Vorjahren beteiligten sich diesmal etwas weniger Menschen an der Aktion. (dpa/iQ)