Immer wieder wird kritisiert, dass die offizielle Statistik nicht das wahre Ausmaß von Antisemitismus abbilde. Ab Februar will nun eine bundesweite Meldestelle auch solche Fälle aufnehmen, die keine Straftat darstellen.
Dumme Sprüche, Beleidigungen, Drohungen, Gewalt: Wer als Opfer oder Zeuge einen antisemitischen Übergriff erlebt, kann die Tat künftig auch einer bundesweiten Meldestelle mitteilen. Von Februar an nimmt der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Bundesverband RIAS) in Berlin seine Arbeit auf. Er solle das „wahre Ausmaß des Antisemitismus sichtbarer“ machen, heißt es. Aufgenommen würden Vorfälle auch dann, wenn keine Straftat begangen wurde.
Meldungen sind über ein Online-Formular, per E-Mail oder telefonisch möglich. Das Ziel soll sein, eine bundesweite Meldestruktur aufzubauen. Die Verantwortlichen betonen, dass bei Meldungen immer eine Kontaktmöglichkeit für Rückfragen bestehen müsse. Bei jedem gemeldeten Vorfall werde ein „akribischer Verifizierungsprozess“ in Gang gesetzt – und in die Statistik würden schließlich nur verifizierte Vorfälle aufgenommen.
Die offiziellen Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) werden von Experten mitunter als fehlerhaft bezeichnet. So begehen Rechtsextremisten der PKS zufolge mehr als 90 Prozent aller antisemitischen Straftaten. Ein Problem ist, dass Delikte, bei denen kein Täter ermittelt werden kann, unter „Rechtsextremismus“ eingruppiert werden. Jüdische Verbände weisen auf eine hohe Zahl von Vorfällen hin, die nicht strafbar sind – auch sie würden nicht erfasst.
Der neue Bundesverband soll in diesem Jahr zunächst mit Mitteln des Antisemitismusbeauftragten, der beim Bundesinnenministerium angesiedelt ist, gefördert werden. Ziel ist den Angaben zufolge, ab dem Jahr 2020 durch das Programm „Demokratie leben!“ des Bundesfamilienministeriums gefördert zu werden. „Wir dürfen die Bekämpfung des Antisemitismus nicht den Juden überlassen in diesem Land“, hatte Klein im Dezember gesagt.
Opfer antisemitischer Vorfälle sollen nach dem Vorbild der bereits bestehenden Berliner RIAS-Stelle auf Landesebene künftig auch in anderen Bundesländern direkt vor Ort unterstützt werden. Solche Einrichtungen werden in Bayern und Brandenburg bereits dieses Jahr ihre Arbeit aufnehmen. In weiteren Bundesländern ist man offenbar mit potenziellen Trägern in guten Gesprächen: Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Thüringen. Die Meldestellen sollen mit jüdischen Gemeinschaften kooperieren und Bürger über Antisemitismus aufklären.
Eine aktuelle Studie vom August vergangenen Jahres zeigt, dass in Deutschland, sowie in weiteren westeuropäischen Ländern kein Anstieg von Antisemitismus durch Zuwanderung zu verzeichnen sei. Dies sei vielmehr ein Problem der Mehrheitsgesellschaft.
Nach Einschätzung des Geschäftsführers des Zentralrats der Juden in Deutschland, Daniel Botmann, kann die Meldestelle künftig Auskunft über die Entwicklung des Antisemitismus in Deutschland geben. Oft heiße es, antisemitische Übergriffe nähmen zu. Das festzustellen sei allerdings schwierig, weil solche Vorfälle bisher nicht systematisch erfasst würden. Botmann, der auch im Vorstand des Bundesverbandes sein wird, betont, Übergriffe auf Juden seien ein Problem für die ganze Gesellschaft. Denn: „Jeder Antisemit hat ein Problem mit unserer Demokratie und unserer Gesellschaft.“
Auch der Vorsitzende des Islamrats, Burhan Kesici, begrüßt die Gründung einer Meldestelle. „Zurzeit existieren verschiedenen Angaben über die Anzahl und Täterprofil. Mit solch einem Bundesverband könnten mehr Informationen gesammelt werden, um die Ursache von Antisemitismus zu bekämpfen“, so Kesici gegenüber IslamiQ. Neben antisemitische Übergriffe, sollten auch islamfeindliche Übergriffe dokumentiert werden. (KNA, iQ)