Antisemitismus unter Flüchtlingen

Mehr Furcht als Fakt

„Je mehr Flüchtlinge, desto mehr Antisemitismus“. So die herrschende Meinung in einem Satz. Eine europaweite Vergleichsstudie des britischen Historikers David Feldman liefert Fakten. Ein Beitrag zur Versachlichung der Debatte.

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2019
Antisemitismus © shutterstock
Antisemitismus © shutterstock

Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Trotz steigender Einwandererzahlen aus der MENA-Region (Naher Osten und Nordafrika) zeigte sich in Feldmans Studie kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Immigration aus islamischen Ländern und antisemitischen Übergriffen. Zwar seien innerhalb muslimischer Minderheiten antisemitische Einstellungen anzutreffen, die gesellschaftliche Stimmung gegenüber Juden sei in den fünf untersuchten Ländern Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden und Belgien jedoch insgesamt weitgehend positiv. Für den Zeitraum 2016/17 lässt sich laut Feldman keine Tendenz zu einem Anstieg antisemitischer Hassverbrechen nachweisen.

Die Wahrnehmung ist eine andere. Laut einer 2012 durchgeführten Umfrage der Europäischen Agentur für Grundrechte (FRA) betrachten jüdische Bürgerinnen und Bürger Antisemitismus in ihrem Land als „ein großes oder sehr großes Problem.“ Feldman weist darauf hin, dass es in dieser Bewertung kaum länderspezifische Unterschiede gebe, obwohl die Zahl der Migranten aus Nahost und Nordafrika je nach Befragungsort teilweise sehr niedrig sei. 

Die Furcht vor wachsendem Antisemitismus innerhalb Westeuropas führt Feldman u. a. auf die negative Stimmung zurück, die seitens der Medien, staatlicher Institutionen, Parteien und Politikern, aber auch einzelnen Vertretern der jüdischen Gemeinden gegen muslimische Migranten geschürt werde. Diese könnte die Wahrnehmung der jüdischen Bürgerinnen und Bürger in Bezug auf einen tendenziellen Anstieg antisemitischer Haltungen mitbedingen, meint Feldman. Der Einfluss einer solchen negativen Kontextualisierung von Muslimen im Rahmen der medialen Berichterstattung ist bereits durch frühere Studien belegt worden. Vor allem in Deutschland werden Geflüchtete aus islamisch geprägten Ländern aufgrund der „ihnen zugeschrieben(en)“ antisemitischen und islamistischen Haltung als Bedrohung wahrgenommen. 

Welche Vorbehalte gibt es?

Feldman identifiziert folgende Themen, die in den länderspezifischen Debatten über Geflüchtete bzw. muslimische Zuwanderer immer wieder auftauchen:

  • Die Migranten stammen aus Ländern, in denen Antisemitismus und eine israelfeindliche Haltung weit verbreitet sind, was eine Feindseligkeit gegenüber Juden begünstigt.
  • Es wird befürchtet, dass sich die Flüchtlinge radikalisieren lassen bzw. als Flüchtlinge getarnte Terroristen einreisen. 
  • Einstellungen gegenüber Migranten aus der MENA-Region stehen in engem Zusammenhang mit Bedenken hinsichtlich der Integration muslimischer Minderheiten in Westeuropa. 
  • Es wird befürchtet, dass arabische und nordafrikanische Einwanderer, die bereits seit den 1960er Jahren in Europa leben, antisemitische Einstellungen unter den neu zugezogenen Migranten verstärken. 

Migranten aus der MENA-Region werden also offenbar in erster Linie als Muslime wahrgenommen. Feldman und seine Kollegen erklären dies mit der wachsenden muslimischen Präsenz in westeuropäischen Gesellschaften. Beachtlich sei aber, dass viele Einschätzungen eher auf Mutmaßungen basieren und weniger auf Fakt. Der vom israelischen Ministerium für Diplomatie und Diaspora herausgegebene „Report on Antisemitism“ stellt fest, dass durch den Zustrom von Migranten aus muslimischen Ländern keine Zunahme des Antisemitismus verursacht werde, rät aber dennoch dazu, das jüdische Leben in Europa künftig zu überdenken.

Feldman rät deshalb zu einer differenzierten Betrachtung, um gerade auch Populisten den Nährboden für antimuslimische Agitation zu entziehen. Viele Muslime seien bemüht, den Antisemitismus in ihren Reihen anzugehen. Dies, so Feldman, müsse als Zeichen des Integrationswillens anerkannt werden. 

Antisemitismus hat viele Gesichter 

Ein methodisches Problem, das in der Studie ausgemacht wird, ist die unterschiedliche Art der Messung und Definition von Antisemitismus. Diese wäre insbesondere für die Durchführung von Meinungsumfragen wichtig, da die Deutung der Antworten je nach zugrunde liegender Antisemitismusdefinition unterschiedlich ausfällt. Im ungünstigsten Fall werden die Ergebnisse verfälscht. Feldman selbst legt in seiner Studie die Ergebnisse von Meinungsumfragen und verfügbare Erhebungen zu antisemitisch motivierten Verbrechen zugrunde. Er räumt aber gleichzeitig ein, dass diese Datengrundlage mit Auslegungsschwierigkeiten verbunden ist.

Dennoch vermitteln die Ergebnisse insgesamt ein einheitliches Bild im Sinne der Fragestellung:

  • Die Wahrnehmung von Juden in der Gesamtbevölkerung ist weitgehend positiv und verschlechtert sich nicht.
  • Die Raten antisemitischer Verbrechen und Belästigungen korrelieren mit Eskalationen im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern.

Auf der Grundlage der erfassten antisemitischen Vorfälle zeigt sich in allen fünf Ländern eine deutliche Korrelation zwischen der Zweiten Intifada (2000-2005) und einer Zunahme antisemitischer Übergriffe. Der Israel-Palästina-Konflikt spielt für antisemitische Einstellungen unter Migranten offenbar eine größere Rolle als die aktuelle „Flüchtlingskrise“. Weiterhin zeigte sich, dass innerhalb der untersuchten Länder antisemitische Einstellungen kein allgemeines Merkmal von Muslimen darstellen, sondern lediglich von einer Minderheit vertreten werden. 

Antisemitische Ressentiments existieren auch unter Muslimen, sind jedoch weitaus weniger verbreitet als angenommen. Zieht man weiterhin den Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung der jeweiligen Länder (zwischen 5 und 7,5%) heran, ist dem Institut für jüdische Politikforschung zuzustimmen, das den Einfluss antisemitischer Einstellungen unter Angehörigen der muslimischen Minderheit auf eine Zunahme des Antisemitismus z. B. in Großbritannien als sehr gering einschätzt. 

Antisemitismus bleibt laut David Feldman ganz überwiegend ein Problem der rechtsextremen und rechtspopulistischen politischen Bewegungen. Dies gelte insbesondere für Deutschland, wo antisemitische Straftaten überwiegend von Rechten begangen würden. 

Wie lässt sich Antisemitismus in muslimischen Minderheiten erklären?

Um die negative Haltung einiger Muslime gegenüber Juden zu erklären, prägte der britische Soziologe Anthony Heath den Begriff „Paradox der Integration“. Erfahrungen der „vereitelten Integration“ bilden demnach den Kontext für das mögliche Aufkommen von Antisemitismus in der muslimischen Bevölkerung.

Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung erzielten Muslime im Durchschnitt schlechtere Bildungsergebnisse, sind häufiger arbeitslos und leben mit höherer Wahrscheinlichkeit in sozial benachteiligten Gebieten. Diskriminierung und schlechte Integration tragen einigen Studien zufolge zur Verstärkung antisemitischen Denkens bei oder begünstigen dessen Entstehung. Diskriminierung und Missstand als mögliche Erklärung für den Antisemitismus unter einigen Muslimen anzuerkennen ist aber nicht gleichbedeutend mit dessen Legitimation, wie Feldman hervorhebt. 

Antisemitismus unter Geflüchteten?

Feldmans Studie deutet auf eine große Integrationsbereitschaft unter Geflüchteten hin. 96% befürworten seiner Erhebung zufolge ein demokratisches System. Nur einer von 24 Geflüchteten vertritt ein kohärentes antisemitisches Weltbild. Unter den übrigen Befragten zeigt sich ein komplexes Bild, wonach „antisemitische Denkmuster und Stereotype“ einerseits „sehr verbreitet“ seien, die Befragten jedoch andererseits die Wichtigkeit des friedlichen Zusammenlebens von Muslimen, Christen und Juden hervorheben. Die Daten aus anderen Ländern bestätigen diese differenzierte Sichtweise.

Die häufig geäußerten Befürchtungen hinsichtlich eines Anstiegs antisemitischer Straftaten und Übergriffe durch den Zustrom von Migranten aus der MENA-Region können also nicht bestätigt werden. David Feldmans Studie trägt dazu bei, gerade in Zeiten tendenziöser Berichterstattung und Stimmungsmache eine differenziertere Sichtweise auf eine komplexe und alles andere als eindimensionale gesellschaftliche Problematik zu fördern. 

Leserkommentare

Tarik sagt:
Empfehlenswert ist das von Schirin Amir-Moazami herausgegebene und von mehreren Autoren (jeder in seinem Gebiet forschend) verfasste Buch "Der inspizierte Muslim". Thematisiert werden darin die zahlreiche deutsche aber auch europäische Studien, die sich mit Muslimen/Islam beschäftigen. U.a. geht es da auch um die Frage, ob und wenn ja welchen Einfluss die ideologische Einstellung des Auftraggebers jener Studien auf das Ergebnis hat. Gerade der hier erwähnte Ruud Koopman vom WZB, der von sein Ergebnis auf, Zitat "50 Millionen gewaltbereite Muslime" hochrechnet schließt, ist ein passendes Beispiel. Laut eigener Aussage war der ehemals politisch im linken/grünen Spektrum heimische Koopmans durch den Mord eines militanten Linken an den Islamkritiker Pim Fortuyn so etwas wie ein persönlicher Augenöffner und seitdem arbeitet er sich am Islam ab. IN seiner Studie wurden ausschließlich Menschen aus Marokko und der Türkei befragt, mehr als die Hälfte davon aus extrem ländlicher Gegend ohne Bildungszugang und mangelhafter Infrastruktur. Dazu waren alle Propanden (oder ihre Väter/Großväter) vor 1975 eingewandert. Mit anderen Worten, es wurde eine sehr bestimmte Gruppe gefragt, die sicherlich kein Querschnitt der "muslimischen Bevölkerung Europas" darstellt, gefragt. Dazu sollten die Propandanden Fragen bejahen oder verneinen wie "es gibt nur eine Koranauslegung". Die Frage ist, ob die größtenteils eher bildungsfernen Befragten den Unterschied zwischen Interpretation und den Text an sich (der ja gleich ist) wirklich kennen. Es ist immerhin islamisches Basiswissen, dass es nicht die eine Auslegung gibt. Selbst in "konservativ-orthodoxen" Moscheen gibt es mindestens ein halbes Dutzend verschiedene Koranauslegungen zu kaufen. Oder auch die Aussage, welche die Befragten bejahen/verneinen sollten: ob Gottes Wort mehr zählt als die säkularen Gesetze. Hier Fundamentalismus zu attestieren ist Humbug, denn für einen gläubigen Theisten gibt es nichts höheres als den Schöpfer der Welten, also auch den Schöpfer derjenigen, welche Gesetze und Verfassungen von Staaten ins Leben rufen, die ja nun mal nicht ewig Gültigkeit haben müssen. Anders gesagt: Für den Gläubigen lebt Gott ewig. Doch wieviele Staaten sind schon untergegangen. Gerade die Bürger der ehemaligen DDR wissen, was hier gemeint ist. Kurzum: Wenn jemand mit einer ideologischen bestimmten Ausrichtung oder Einstellung eine Studie organisiert, so kann er sowohl durch die Auswahl der Befragten als auch die Fragestellungen das Ergebnis sehr wohl beeinflussen. Was natürlich nicht heißt, dass Antisemitismus, Verschwörungstheorien und Radikalisierung nicht Einzug in den Mainstream-Islam gefunden haben; das haben sie. U.a. ein Ergebnis des sowohl intelektuellen als auch spirituellen Niedergang der islamischen Welt, die eine Welt der Vormoderne war. Es haben zwar zahlreiche kluge Köpfe und Denker unter den Muslimen der letzten 100 Jahre interessante Ansätze und Lösungsvorschläge gemacht, jedoch sind sie zu sehr nur in Universitäten und Seminaren zu finden - nicht in der Politik. Dort geistert seit 1979 das Schreckgespenst des "Islamischen Gottesstaates". Muhammad Asad hatte Recht, indem er sagte, dass Ayatollah Khomeini für den Islam einen ähnlichen Bärendienst erwiesen hat wie Adolf Hitler für Deutschland.
16.03.19
23:13
grege sagt:
Selbst Kritiker von Koopermann mussten einräumen, dass es an der Methodik von dessen STudie wenig bis nichts zu beanstanden gab. Türken und Marokkaner selber oder deren Abkömmlinge aus ländlichen Regionen dieser beiden Staaten können aufgrund ihrer vergleichsweise hohen Anzahl in den Ländern Mitteleuropas und den Beneluxstaaten durchaus als repräsentativ angenommen werden, da sie schlichtweg die Mehrzahl der Muslime in den betreffenden Ländern darstellen. Ob die Ergebnisse in weiteren Ländern Europas mit hohem Migrantenanteil aus muslimischen Erdregionen anders ausgefallen wäre, wage ich am Beispiel Frankreich aufgrund der Vielzahl von islamisch motivierten Terroranschlägen insbesondere auf Juden arg zu bezweifeln. Wie ich schon mehrfach erwähnte, auch ein Hr. Mazyek musste die Empfehlung aussprechen, dass Juden sich in muslimisch geprägten Wohnvierteln Westeuropas am besten nicht als solche zu erkennen geben mögen. Diese Empfehlung wird Hr. Mazyek, der manche Missstände innerhalb der muslimischen Communities teilweise mit haarsträubenden Argumenten negiert, bestimmt nicht leichtfertig getätigt haben Was viele Anti-Islamkritiker und Protagonisten einer mulikutlurellen Gesellschaft arg verschnupfte waren vielmehr Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Studie von Hr. Kooperamnn, da hier die Instrumentalisierung durch rechtspopulistische Kreise befürchtet worden ist. Dieses Argument ist natürlich bedenklich, da es quasi einem Totschlagargument gegen die Veröffentlichung unliebsamer Ergebnisse gleichkommt. Selbst die in diesem Beitrag genannte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass antismetisches Gedankengut mit einem vergleichsweise hohen Anteil in den muslimischen Communities vorhanden ist, allerdings werden Ursachen in der angeblichen Diskriminierung von Muslimen gesehen, womit es sich der Autor ein wenig macht......... Auch Wilhelm Heitmeyer hatte Ende der 90er Jahre eine ähnliche Studie mit vergleichbaren Ergebnissen durchgeführt. An der Methodik ist im Vorfeld nichts beanstandet worden, aber die Ergebnisse haben einen ähnlichen Aufruhr unter Islamvertretern und sogeannten "Islamvestehern" hervorgerufen. Auch Islamvertreter berufen sich natürlich nur auf die Studien, die mit Ihrem Weltbild bzw. Wunschdenkten übereinstimmt. Studien mit konträren Ergebnissen weisen natürlich alle "methodische Mängel" auf :-)
18.03.19
21:14
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