Mit der Einberufung der Deutschen Islamkonferenz entfachte erneut die Debatte um die Imame und deren Ausbildung. Im IslamiQ-Interview sprechen wir mit dem Vorsitzenden des Islamrates, Burhan Kesici, über eine mögliche Imamausbildung in Deutschland.
IslamiQ: Die Imamausbildung ist eines der zentralen Themen der Deutschen Islamkonferenz. Wie beurteilen Sie das Interesse der Regierung an dem Thema?
Burhan Kesici: Die Politik hat ein erhöhtes Interesse an der Imamausbildung. Das ist nicht neu. Das Thema wurde schon 2002 im Bundestag angesprochen. Mit der Zeit rückte die Imamausbildung immer stärker in den Fokus von Politik und Wissenschaft. Anhand der parlamentarischen Debatten zu dem Thema lassen sich grob zwei wesentliche Entwicklungen feststellen:
Zu Beginn der 2000er Jahre wurde die Imamausbildung und das Thema Imame im Allgemeinen unter den Überschriften „Radikalisierung“ und „Auslandsbezug“ behandelt. Anschließend rückte die Ausbildung und Finanzierung in den Vordergrund. Aus der anfänglichen parlamentarischen Neugier entstand eine mittelbare bzw. unmittelbare Bereitschaft zur staatlichen Intervention. Parallel dazu verlief die Ausrichtung der wissenschaftlichen Befassung mit der Thematik. Zusammengefasst kann man sagen: Imame oder die Imamausbildung unterlag zuerst dem Präventionsgedanken und später nationalstaatlichen Erwägungen. Letzteres ist sicherlich auch auf die Verwerfungen zwischen der Türkei und Deutschland zurückzuführen. In der Konsequenz möchte man durch eine Imamausbildung in Deutschland und über hiesige Finanzierungsmöglichkeiten Muslime von ihren Ursprungsländern weitestgehend abkoppeln.
Niemand stellt sich gegen eine Imamausbildung und eine ergänzende Weiterbildung in Deutschland, sie findet de facto vermehrt auch hierzulande statt. Und niemand ist gegen eine Stärkung der Finanzierungsmöglichkeiten. Der theologische Diskurs ist transnational und kann nicht von den Herkunftsländern abgekapselt betrieben werden. Solch eine Theologie würde auch von den Gläubigen nicht angenommen werden.
IslamiQ: Wie beurteilen Sie ein mögliches Verbot der Auslandsfinanzierung von Imamen?
Kesici: Nach nationalem und internationalem Recht sind Möglichkeiten der Auslandsfinanzierung erlaubt. Bei der Diskussion fehlt jedoch die nötige Sachlichkeit und Differenzierung. Man sollte benennen, welche Art der Auslandsfinanzierung nicht passt, denn Auslandsfinanzierung ist nicht gleich Auslandsfinanzierung.
IslamiQ: Wie sieht die Imamausbildung beim Islamrat aus?
Kesici: Zusammen mit unseren Mitgliedern steuern wir unsere Imamaus- und -weiterbildung über drei Bezüge: Theologieabsolventen in Deutschland und solche, die in Deutschland ihr Abitur gemacht und anschließend ihr Theologiestudium in der Türkei absolviert haben, werden während als auch nach ihrem Studium praxisbezogen weitergebildet. Dies erfolgt in der Regel über Seminare vor Ort. Anschließend werden die, die als Imam tätig sein wollen, nach dem Hochschulabschluss in unseren Mitgliedsgemeinden eingesetzt. Weiter gibt es noch den Weg einer Ausbildung zum Imam in privater Trägerschaft. Ein großer Vorteil bei allen Optionen ist, dass die Anwärter junge Leute sind, die größtenteils in Deutschland sozialisiert wurden und in unseren Gemeinden bereits anerkannt und akzeptiert sind.
Inhaltlich orientiert sich die Aus- und Weiterbildung neben der theologischen Grundausbildung an der religiösen Praxis. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass insbesondere der Gottesdienst, die praktische Theologie und die Gemeindepädagogik für die Imamaus- und -weiterbildung relevant sind. Viele Gemeindemitglieder begrüßen einen Hochschulabsolventen der islamischen Theologie. Das Studium verschafft ihnen ein gewisses Ansehen. Aber im Alltag spielt eine Hochschulausbildung keine große Rolle, denn da wollen die Gemeindemitglieder Hilfestellungen in praktischen Fragen, Anleitung in den Gottesdiensten, die teilweise auch kulturell durch die Herkunftsländer geprägt sind. Vor allem erwarten sie von den Imamen, dass sie ihnen zuhören, für sie da sind, und zwar in allen Lebenslagen.
IslamiQ: Politiker fordern, dass Imame künftig in Deutschland ausgebildet werden sollen. Wie sehen Sie das?
Kesici: Wenn man eine Kriterienliste für eine ideale Imamausbildung erstellen würde, würde der Ausbildungsort ziemlich weit oben stehen. Noch weiter oben stünden sicherlich die Qualität der Lehre und ihre Anbindung an die islamische Tradition. Diese Erfordernisse müssen berücksichtigt werden.
Im Gegensatz zur noch recht jungen islamischen Theologie in Deutschland existiert ein großer Erfahrungsschatz über die Imamausbildung in den Herkunftsländern der Muslime. Was dort jedoch fehlt, ist die muslimische Gemeindekultur in Deutschland. Hier sind die Moscheegemeinden nicht nur Gebetsorte, sondern auch Treffpunkte, Begegnungsstätte, soziale Zentren etc. Das ist typisch für Migrationsgemeinden. Wenn man all das berücksichtigt, entsteht ein Mix von Elementen, die für die Imamausbildung relevant sind: die Qualität der Lehre, die traditionelle Anbindung, der Lebenskontext und die damit verbundenen Herausforderungen.
IslamiQ: Viele Imame kommen aus dem Ausland. Würde ein Verbot nicht die theologische und kulturelle Bindung der Muslime an ihre Herkunftsländer beeinträchtigen?
Kesici: Die theologische Bindung und der Austausch mit den Herkunftsländern und -kulturen ist wichtig. Theologie entwickelt sich durch den Austausch und sollte nicht unterbunden werden. Auch der Austausch zwischen religiösem Personal ist für die Weiterentwicklung der Gemeinde von besonderer Bedeutung. Die Behinderung oder Einschränkung eines solchen Austausches wäre kontraproduktiv.
IslamiQ: Wie reagieren die Gemeinden des Islamrats auf die neuen Forderungen bez. der Imamausbildung?
Kesici: Unsere Gemeinschaft begrüßt, dass die Imamausbildung zunehmend auch in Deutschland stattfindet, auch wenn sie weiterhin auf ihre jetzigen Imame und das über Jahre aufgebaute Vertrauensverhältnis zwischen Gemeinde und Imam nicht verzichten möchte.
Die Gemeinden merken aber auch, dass wenn die Politik lautstark nach einer Imamausbildung in Deutschland ruft, dies nicht unbedingt als Sorge der Politik um das Seelenheil der Muslime gedeutet werden muss. Ihnen sind die Ereignisse der letzten Jahre nicht entgangen, darunter die Wahlkämpfe in Deutschland, bei denen sie immer wieder instrumentalisiert und angegriffen wurden, die Forderungen nach Kopftuchverboten, die Schweigsamkeit der Politik, wenn Muslime, ihre Moschee oder ihre Religion angegriffen werden usw. In so einem Kontext wird die Thematisierung der Imamausbildung durch die Politik bei vielen als Interventionismus aufgefasst.