Immer wieder beschäftigt das Kopftuch die Gerichte. Meist geht es um Lehrerinnen und die Neutralität im Staatsdienst. Aber darf auch eine Firma ihren muslimischen Verkäuferinnen das Kopftuch verbieten?
Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht. Doch die Grundrechts-Charta der EU kennt auch das Recht auf unternehmerische Freiheit. Aber wie weit reichen diese Freiheiten, und wo kollidieren sie? Darüber verhandelt am Mittwoch das Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Im vorliegenden Fall geht es um eine frühere Verkaufsberaterin und Kassiererin einer Drogeriekette. Der Muslimin wurde untersagt, ein Kopftuch während der Arbeit zu tragen.
Die türkischstämmige Muslimin arbeitete seit 2002 in einer Filiale im Raum Nürnberg. Zunächst ohne Kopftuch. Als die Verkäuferin nach einer Elternzeit mit Kopftuch in die Firma zurückkehrte, reagierte der Arbeitgeber 2016 mit der Weisung, sie habe „ohne auffällige großflächige religiöse, politische und sonstige weltanschauliche Zeichen am Arbeitsplatz zu erscheinen und ihre Arbeit aufzunehmen“. Die Drogerie berief sich dabei auf die betriebliche Kleiderordnung, nach der unter anderem Kopfbedeckungen aller Art bei Kundenkontakt nicht getragen werden dürfen.
Die muslimische Verkäuferin sieht darin eine unzulässige Diskriminierung. Der Fall landete daraufhin vor dem Arbeitsgericht Nürnberg, das 2017 zugunsten der Frau entschied und das Unternehmen zur Nachzahlung von zwischenzeitlich nicht erfolgter Vergütung verurteilte. Mit einer Berufung gegen das Urteil hatte die Drogeriemarkt-Kette keinen Erfolg: Auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg urteilte im März 2018, dass die Arbeitgeberweisung rechtswidrig und die Arbeitnehmerin aufgrund ihres religiösen Bekenntnisses „mittelbar diskriminiert“ sei, was nicht durch betriebliche Entscheidungen gerechtfertigt werden könne.
In seinem Urteil berücksichtigte das LAG auch zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu dieser Thematik. Dieser hatte unter anderem im März 2017 festgestellt, dass unternehmensinterne Regelungen, die religiöse Kleidung verbieten, durchaus gerechtfertigt sein können. Eine Firmenpolitik, die auf religiöse und weltanschauliche Neutralität gegenüber den Kunden ausgerichtet sei, sei ein legitimes Ziel. Damit hatte auch das beklagte Unternehmen in dem Verfahren argumentiert und auf das EuGH-Urteil Bezug genommen. Die Rechtsvertreter der Drogeriekette betonten zudem, die Weisung habe die negative Religionsfreiheit seiner Kunden berücksichtigt.
Das Landesarbeitsgericht entschied indes, im vorliegenden Fall seien die EuGH-Entscheidungen nicht anwendbar. Denn: Die Ausgangslage sei unterschiedlich, die Fälle nur bedingt vergleichbar. Die EuGH-Fälle beträfen Unternehmen des Dienstleistungssektors, die besonders auf das Wohlwollen ihrer Kunden angewiesen seien, weil ihnen sonst ein wirtschaftlicher Schaden entstehe.
Es lägen aber keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Drogerie-Unternehmen derartige Nachteile zu erwarten hätte, wenn es die Klägerin mit Kopftuch beschäftigen würde, urteilten die Richter. Es handle sich um ein Einzelhandelsunternehmen, in dem Kunden unterschiedlicher Herkunft einkaufen, auch solche mit Kopftuch. Musliminnen mit religiöser Kopfbedeckung „gehören mittlerweile zum Straßenbild und finden sich demgemäß auch im Einzelhandel nicht nur als Kundinnen, sondern auch als Verkaufspersonal wieder“. Außerdem sei der Kontakt zwischen Kunden und Mitarbeitern bei der Firma relativ gering, da man sich in dem Laden selbst bediene.
Im Urteil hieß es dazu, dass es „nicht genügt, wenn der Arbeitgeber sich auf einen lediglich auf subjektiven Befindlichkeiten beruhenden Wunsch beruft, eine Neutralitätspolitik zu betreiben. Eine solchermaßen verordnete Neutralitätspolitik ist kein schützenswertes Gut der unternehmerischen Freiheit an sich.“ Denn diese Ansicht führe dazu, dass der unternehmerischen Freiheit gegenüber anderen gemeinschaftsrechtlichen Grundrechten stets der Vorzug zu geben wäre, so der Nürnberger Gerichtsentscheid. Ob diese Lesart jetzt auch vor dem Bundesarbeitsgericht Bestand hat, bleibt abzuwarten.