Die Landesregierung Baden-Württemberg gründet eine Stiftung für islamischen Religionsunterricht. Lediglich zwei von vier islamischen Religionsgemeinschaften, die an den Verhandlungen beteiligt waren, unterstützen das umstrittene Modell.
Die Landesregierung Baden-Württemberg organisiert den „islamischen Religionsunterricht“ zum Schuljahr 2019/2020 neu und gründet dafür eine Stiftung mit dem Land als Träger. An dieser Stiftung beteiligen sich allerdings nur zwei von insgesamt vier islamischen Religionsgemeinschaften, teilten Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) am Dienstag in Stuttgart mit.
Bislang wird der Unterricht im Rahmen eines Modellprojekts erteilt. Eine Fortsetzung des Provisoriums sei keine Option. Deshalb fanden monatelange Verhandlungen zwischen dem Land und den beteiligten islamischen Religionsgemeinschaften statt.
Das Angebot einer Stiftung unter staatlicher Trägerschaft wurde den islamischen Religionsgemeinschaften schließlich unterbreitet. Die Stiftung wird sich aus einer Geschäftsstelle, einem Vorstand und einer Schiedskommission zusammensetzen.
Die vier islamischen Religionsgemeinschaften, denen die Teilnahme an der Stiftung angeboten wurde, würden fünf Vertreter in den Vorstand entsenden. Bei drei von fünf Vertretern wäre allerdings eine Zustimmung von Seiten der Landesregierung notwendig. Die Geschäftsstelle würde ausschließlich von Vertretern des Landes geführt werden. Und die Schiedskommission soll sich aus sogenannten „unabhängigen muslimischen Experten“ zusammensetzen. Demnach handelt es sich hierbei um ein Modell, in dem die zentrale Entscheidungsmacht beim Staat liegt, und nicht bei den Religionsgemeinschaften.
Bis Montag hatten die einzelnen Religionsgemeinschaften Zeit der Landesregierung eine Rückmeldung zu geben und ihre Teilnahme an der Stiftung zu- oder abzusagen. Der Landesverband der Islamischen Kulturzentren Baden-Württemberg (LVIKZ) und die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland hätten erklärt, bei der Stiftung mitmachen zu wollen. Hingegen lehnten die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) und die Islamische Glaubensgemeinschaft Baden-Württemberg (IGBW) eine Teilnahme ab.
„Wir, die islamische Religionsgemeinschaft DITIB Baden-Württemberg und die Islamische Glaubensgemeinschaft Baden-Württemberg (IGBW) werden uns an dem von der Landesregierung vorgeschlagenen Stiftungsmodell für den Islamischen Religionsunterricht in dieser vorliegenden Entwurfsform nicht beteiligen. Stattdessen werden wir zur Erarbeitung verfassungskonformer Modelle eine unabhängige Expertenkommission einberufen“, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung der beiden Religionsgemeinschaften.
Der islamische Religionsunterricht sei für die Religionsgemeinschaften „ein sehr wichtiges Anliegen“, weshalb sie sich seit Jahren im Rahmen des Pilotprojektes für die Etablierung des Unterrichtsfaches engagierten, allerdings unter der Prämisse, dass wie vereinbart und gesetzlich vorgeschrieben nach Auslauf des Provisoriums die Trägerschaft „für einen verfassungskonformen islamischen Religionsunterricht“ auf die Religionsgemeinschaften übertragen wird.
„Die Errichtung einer staatlichen Einrichtung zur Erteilung von Religionsunterricht ist nach Überzeugung der Unterzeichner verfassungswidrig. Dieses Modell hebelt die Neutralitätspflicht des Staates aus, und greift massiv in die Religionsfreiheit und in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften ein“, erklären die Gemeinschaften weiter.
„Deshalb werden wir eine unabhängige Expertenkommission einberufen, die einerseits die einzelnen verfassungsbedenklichen und -widrigen Punkte des Entwurfes der Landesregierung offenlegt, um im nächsten Schritt verfassungskonforme Modelle zur Erteilung des islamischen Religionsunterrichts erarbeiten“, kündigen die DITIB und die IGBW nun als nächsten Schritt an.
In Deutschland wird Religionsunterricht eigentlich von den Religionsgemeinschaften und nicht vom Staat erteilt. Damit der islamische Religionsunterricht zum Regelunterricht werden kann, braucht der Staat allerdings einen verbindlichen Ansprechpartner, der als Träger des Unterrichts unter staatlicher Aufsicht fungiert. Die Regierung will eine Stiftung des öffentlichen Rechts als Schulrat einrichten, weil sie in den islamischen Religionsgemeinschaften keine „Religionsgemeinschaften“ im verfassungsrechtlichen Sinne und somit auch keine einheitlichen, zuverlässigen Ansprechpartner sieht.
Der Rechtswissenschaftler und Kirchenrechtler Hans Michael Heinig begegnet dem geplanten Stiftungsmodell mit Skepsis. „Staatliche Neutralität und Religionsfreiheit drohen Schaden zu nehmen. Auch als politisches Signal an die Muslime fatal: Statt die verfassungsadäquate Selbstorganisation zu fördern eine staatliche Einrichtung als Religionsgemeinschaftsersatz zu schaffen.“
Im Schuljahr 2018/19 nehmen im Südwesten etwas mehr als 6000 Schüler am „islamischen Religionsunterricht“ sunnitischer Prägung teil. (dpa/iQ)