Autoren schreiben hunderte Seiten. Doch was passiert, wenn sie ihr Buch auf seine Essenz herunterbrechen müssen? Unsere Serie „Nachgefragt“ liefert Antworten. Heute Prof. Dr. Frank Griffel und sein Buch „Den Islam denken“.
IslamiQ: Wem würden Sie ihr Buch „Den Islam denken“ gerne schenken und warum?
Frank Griffel: Herrn Thilo Sarrazin vielleicht, denn der hat recht überholte Vorstellungen über die Geistesgeschichte und Philosophie im Islam. Im Grunde aber allen Deutschen, die meinen, der Islam müsse die Aufklärung nachholen.
IslamiQ: Warum ist die Thematik Ihres Buches im Lichte aktueller Debatten wichtig?
Griffel: Wir sind mit der europäischen Aufklärung, die eng mit Kolonialismus und dem sich herausbildenden weltweiten Kapitalismus verknüpft ist, nun so weit gefahren, dass es vielleicht einmal Sinn macht zu fragen: War das alternativlos? Gab es damals nicht andere Lebensweisen, die vielleicht weniger aggressive und auch weniger selbstzerstörerische Gesellschaftsentwürfe entwickelt haben?
IslamiQ: „Beim Lesen guter Bücher wächst die Seele empor.“ Warum trifft dieses Zitat von Voltaire auf Ihr Buch zu?
Griffel: Weil mein Buch versucht, seine Leser in eine Art Denken über den Islam wie auch über die eigene Kultur einzuführen, mit der sie bisher vielleicht unvertraut waren.
IslamiQ: Ihr Buch „Den Islam denken“ in drei Wörtern zusammengefasst?
Kurz, unterhaltsam, anregend.
IslamiQ: Eine spezielle Frage für Sie: Forderungen nach einer Reform des Islams seitens sogenannter Islamkritiker haben Hochkonjunktur. Was halten Sie von so einer Forderung?
Griffel: Eine der Lehren meiner Forschung über die islamische Philosophie ist, an Meinungsverschiedenheiten mit großer Gelassenheit heranzugehen. Wer weiß schon, was wahr und richtig ist? Wo es Ambiguität gibt, sollte Toleranz darüber walten. Der Meinungen über den Islam gibt es viele. Einige kritisch und manche sogar sehr kritisch. Das ist ganz und gar nicht illegitim.
Ein Vergleich: Angesichts der vielen Fälle sexuellen Missbrauchs fordern viele Nicht-Katholiken die katholische Kirche auf, Priestern die Ehe zu erlauben und das Zölibat aufzuheben. Sie fordern also eine Reform der katholischen Kirche. Die kann die Kirche aber nur selber vornehmen. Man kann diese Forderungen unterschiedlich lesen. Eine gelassene Lesung ist, die Forderungen von Nicht-Katholiken als moralischen Aufruf zu verstehen: „Seid Ihr Katholiken nicht auch der Meinung, dass das Zölibat der freien Entfaltung der menschlichen Natur widerspricht, und wollt Ihr diese nicht selber fördern?“ Es ist dann eine Entscheidung der Katholiken, dem zuzustimmen – oder nicht – und dann zu handeln – oder nicht.
Vielleicht kann man Forderungen an den Islam ähnlich verstehen: „Seid Ihr Muslime nicht auch der Meinung, dass der Islam X braucht?“ Wobei X dann „die Reformation“, „Aufklärung“, „unabhängige Imame“ oder „eine Islam-Steuer“ sein kann. Die Entscheidung sollte dann allein von den Muslimen gemacht werden. Zwischen Forderung und Entscheidung mag eine lange öffentliche Diskussion liegen, die hoffentlich ehrlich, offen, und gleichberechtigt ist. Ich denke, dass die Frustration vieler Muslime daher kommt, dass wir immer noch keine guten Bedingungen für eine solche Diskussion zu haben.