Heute wird der Islam außerhalb Europas verortet. Die Geschichte zeigt: Muslime lebten schon vor Jahrhunderten hier und haben Spuren hinterlassen. Nicht nur im Süden Spaniens, sondern auch in Portugal.
Wenn von al-Andalus gesprochen wird, denken viele an südspanische prunkvolle Paläste mit Sommergärten, durchdrungen von Wasserspielen und Orangenbäumen. So wie die Alhambra in Granada oder die bezaubernde Mesquita in Cordoba. Andalusien erstreckte sich jedoch weiter als viele glauben und reichte bis an den westlichsten Punkt Europas. Heute noch haben viele Städte Spaniens und Portugals arabisch anlehnende Namen.
Meine Reise führte mich in die Hauptstadt Portugals.. Im Jahre 711 bzw. 716 kam die einst römische Provinz ‚Felicitas Julia‘ unter die Herrschaft der Muslime, wurde fortan „al-Ushbuna“ genannt und erlebte wie das restliche Andalusien ihre architektonische und wirtschaftliche Blüte. Noch im 10. Jahrhundert war die offizielle Sprache Arabisch und die Religion der Islam. Heute noch leiten sich die Altstadt Alfama (al-Hamma) sowie die berühmte iberische Fliesen- und Kachelkunst, die die ganze Stadt umschließt, die sog. Azulejo (az-zulaiǧ) vom Arabischen ab. Mit Beginn der Reconquista überrannten unter König Alfonso I. im Jahre 1147 Kreuzritter die Stadt und vertrieben viele Muslime. Lissabon stand fortan unter der Herrschaft der portugiesischen Krone.
Eine weitere Blütezeit erlebte Lissabon mit der Zeit der Entdeckungen portugiesischer Seefahrer, die die Welt erkundeten und Reichtum und Vormachtstellung Portugals sicherten, die König Manuel I. nutzte, um orientalisch-portugiesische Prachtbauten zu verwirklichen, die heute einzigartig sind und unter dem Begriff Manuelinik Erwähnung finden.
Der erste Halt ist das Castello de Sao Jorge, eine mittelalterliche Burgfestung der Mauren, welche eine majestätische Aussicht über die prächtige Stadt besitzt. Heute noch ist der Glanz damaliger Zeiten spürbar und wird durch Mandarinenbäume und den Ruf des Pfaus lebendig gehalten.
Der Rundgang durch die Burgmauern, der Türme, Gärten und Aussichtsplattformen lässt ein Hauch der damaligen Epoche und des luxuriösen Lebensstils arabischer Herrschaften verspüren. Neben Musik, Tanz und Theater wurden üblicherweise religiöse Zeremonien abgehalten und womöglich Ramadan Pavillons aufgestellt. Bis zu ihrer Verbannung residierten sie auf der Zitadelle und erblickten die im Sonnenlicht hell schimmernde Altstadt.
Der zweite Halt liegt unterhalb der Zitadelle, an einem der schönsten Ecken der Stadt, direkt an der sog. Portas do Sol, einer Aussichtsplattform mit iberischer Atmosphäre, von der der Fluss Tejo in den Atlantik mündet. Dort finden wir die Hauptkirche der Stadt, die Kathedrale Santa Maria Major. An ihrer Stelle existierte früher die große Moschee, welche unter König Alfonso abgerissen, und im Jahre 1147 das heutige Gotteshaus erbaut wurde. Damit galt sie als Symbol der Reconquista und markiert weiterhin den Beginn der christlich-portugiesischen Herrschaft.
Angekommen in Belém, einer Ortschaft im Westen Lissabons, stach mir das hell leuchtende Hieronymitenkloster ins Auge. Heute Weltkulturerbe und Vorzeigeobjekt, ähnelt es in seiner Innenarchitektur, besonders mit seinen schlanken, den Palmen ähnelnden Säulen und dem wunderschönen Deckengewölbe an die Mesquita in Cordoba. Das maurische und europäische Baustile verbindende Kloster wurde von Manuel I. in Auftrag gegeben und liegt gegenüber dem Entdeckerdenkmal, welche an die Epoche der Seefahrer erinnert.
Im Kloster steht das Grabmal Vasco da Gamas, stellvertretend als Erbe der arabischen Schifffahrtskunst und den glorreichen Aufstieg Portugals als Weltmacht. Weiter auf der Promenade in Belém liegt das Hauptaugenmerk Lissabons, das Torre de Belem. Die Festung an der Seemündung zum Atlantik kombiniert orientalisch-portugiesische Architektur und markiert den Punkt, von der aus vor 500 Jahren mutige Seefahrer in See stachen, um die Welt zu erkunden. Als sie nach monatiger Überseefahrt in die neue Welt ankamen, eröffneten sie ein neues Kapitel europäischer Geschichte. Das neue Jahrhundert gehörte den portugiesischen Weltumseglern, die im Wettstreit mit ihren spanischen und italienischen Kollegen Nordamerika, Brasilien und Südafrika entdeckten und im Zuge der Indienexpeditionen Handelsrouten muslimischer Seefahrer übernahmen.
Der letzte Halt ist die Zentralmoschee, ein Komplex mit Innenhöfen, Gebetsräumen, einer Fleischerei, Restaurants und der Minarette. Sie ist zentral gelegen, gut erreichbar und bildet die Hauptschlagader muslimischen Lebens in Lissabon.
Nach Angaben der Moscheeleitung leben in Lissabon heute ca. 30.000 Muslime, die in 60-70 Moscheen in ganz Portugal beten können. In der Stadt verteilt liegen Halal-Schlachtereien und Lebensmittelläden, die man aufsuchen kann, um an Halalprodukte heranzukommen.
Die Worte der Reiseführerin schwirren noch immer in meinen Gedanken: „Vor ca. 150-200 Jahren lebten hier noch viele Juden und Muslime. Wir haben leider keine Daten, doch es gab sehr viele Moscheen und islamische Monumente und Denkmäler, die mit der Zeit zerstört, verändert oder zu Kirchen umgewandelt wurden.“ Vom alten al-Andalus ist auf den ersten Blick nicht viel übrig geblieben, doch unter genauer Betrachtung erhebt sich die ehemals prunkvolle, andalusische Stadt Lissabon. Es ist wichtig, die Überbleibsel der glorreichen Kultur zu finden und lebendig zu erhalten, denn die größte Katastrophe ist das Vergessen.