Die christliche Gefängnisseelsorge ist in Deutschland etabliert. Doch wie sieht es mit der islamischen Seelsorge im Gefängnis aus? Der Bedarf ist hoch, das Angebot rar. Die Bedürfnisse der muslimischen Insassen sekundär.
Auch im Gefängnis brauchen Menschen Unterstützung, Halt und Beistand. Der strukturelle Aufbau der christlichen Gefängnisseelsorge in Deutschland ist Jahrhunderte alt. Doch wie sieht es mit der islamischen Gefängnisseelsorge aus? Neben der Etablierung einer Krankenhausseelsorge und einer Militärseelsorge hat sich die Deutsche Islamkonferenz im Zuge der dritten Legislaturperiode auch mit der Gefängnisseelsorge beschäftigt. Im Abschlussdokument wurde das Ziel einer Gefängnisseelsorge wie folgt definiert: „Die Etablierung islamischer Gefängnisseelsorge ist eine Frage der Gewährleistung der Religionsausübung und unabhängig von Fragen der Extremismusprävention und Deradikalisierung im Justizvollzug zu sehen. Seelsorge ist kein Instrument der Radikalisierungsprävention und ersetzt nicht diesbezügliche Programme und Projekte“, heißt es in dem Dokument. Es wird davon ausgegangen, dass eine professionelle und qualitative Seelsorge einen präventiven Begleiteffekt haben wird.
Auch wenn derzeit keine verlässlichen und offiziellen Zahlen über den Anteil muslimischer Gefangenen vorhanden sind, gibt es in einigen Bundesländern Hochrechnungen. So werde der Anteil von muslimischen Insassen in Berlin und Hessen auf 20-25% geschätzt und in Baden-Württemberg sind es ca. 1500 Muslime.
In Deutschland versuchen Vereine und islamische Religionsgemeinschaften Konzepte und Vereinbarungen mit den jeweiligen Ländern zu erstellen, um den muslimischen Insassen ihr Recht auf seelsorgerischer Begleitung geltend zu machen.
In Nordrhein-Westfalen wurde der größte Teil der muslimischen Gefängnisseelsorge von der DITIB übernommen. Im Februar 2015 waren 117 DITIB-Imame tätig, im April 2017 nur noch 12 Imame. Grund dafür sei die Einführung einer Sicherheitsüberprüfung. Diese Voraussetzung wurde von der überwiegenden Zahl der DITIB-Imame nicht erfüllt, so dass die Kooperation mit der DITIB Anfang 2018 beendet wurde, teilte die NRW-Landesregierung mit. Aktuell sind nach Angaben des NRW-Justizministeriums nur noch 26 muslimische Gefängnisseelsorger in den 36 Haftanstalten tätig. Aktuell wirbt NRW offensiv um muslimische Gefängnisseelsorger. Demnach bestehe für Islamwissenschaftler die Möglichkeit, auf Honorarbasis für maximal zehn Stunden pro Woche als Seelsorger tätig zu werden.
Auch wenn in Niedersachsen noch kein Staatsvertrag unterschrieben wurde, haben dort Land und Muslime im Dezember 2012 eine umfassende Vereinbarung für die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten abgeschlossen. Diese Kooperation wurde jedoch Ende Januar seitens des niedersächsischen Justizvollzugs ebenfalls beendet. Nicht betroffen sind laut Ministerium weitere in der Gefängnisseelsorge engagierte Muslime. Auch die Religionsgemeinschaft Schura sei von der Kündigung ausgenommen. Die DITIB hat empört auf den Ausschluss seiner Imame von der Gefängnisseelsorge reagiert. „Indem dem DITIB-Landesverband nun der Vertrag gekündigt wird, entzieht sich die Landesregierung erneut der Verantwortung, die Mehrheit der Muslime in Niedersachsen anzuerkennen“, erklärte der DITIB-Landesvorstand.
In Berlin wurde ein Arbeitskreis für die muslimische Gefängnisseelsorge gebildet, doch bevor dieser mit einem Seelsorgeprojekt für muslimische Insassen starten konnte, wurde die Zusammenarbeit mit Verweis auf Einschätzungen des Verfassungsschutzes vom Berliner Justizverwaltung gestoppt. Trotz dieser Modellversuche und Konzeptgestaltungen fehlt es an einem flächendeckenden Konzept, so dass mangelnde personelle Ressourcen im Vordergrund stehen und die Insassen nur von einigen wenigen Seelsorger begleitet werden können, so wie auch in Hessen. Dort werden alle muslimischen Insassen nur von zwei Seelsorgern betreut.
Aufgrund dieser rechtlichen Problematik fehlt es aktuell an muslimischen Gefängnisseelsorgern, die den Bedürfnissen der muslimischen Insassen gerecht werden. Was ist wichtig, was wird gebraucht? Ramazan Demir, langjähriger Gefängnisseelsorger und Leiter der Islamischen Gefängnisseelsorge in Österreich, beschreibt seine Tätigkeit als Gefängnisseelsorger: „Viele Gefangene benötigen seelischen Beistand, Trost und Hoffnung. Gleichzeitig haben sie ein verstärktes Bedürfnis nach Spiritualität, da die Bedeutung von Religion in Haft zunimmt. Sie brauchen einen Halt, Orientierung und Motivation in der schwierigen Zeit in ihren Zellen, wo sie über den Sinn des Lebens nachdenken und mich letztendlich fragen: „Wird Gott mir verzeihen?“.