Christchurch und die Medien. Manche Berichterstattungen über das Attentat nutzen eher dem Täter als den Opfern und Hinterbliebenen. Neuseeland hingegen zeigt, wie es richtig gemacht werden kann. Ein Beitrag von IslamiQ-Chefredakteur Ali Mete.
Nach jedem Terroranschlag wird reagiert. Menschen trauern, Politik, Medien und Religionsgemeinschaften kondolieren, verurteilen und distanzieren sich. Ob und wie reagiert wird, sagt viel über den Standpunkt aus. So verhält es sich auch mit den Reaktionen und der medialen Berichterstattung nach dem Terroranschlag auf zwei Moscheen in Christchurch.
Am 15.3.2019, kurz vor dem Freitagsgebet, stürmt ein 28-jähriger Terrorist die Al-Nur-Moschee und erschießt am helllichten Tag 49 Menschen. Zwei weitere Menschen erliegen in später ihren Verletzungen. Der Zeitpunkt, der Ort und die Waffen, die mit Hinweisen auf die rassistische Ideologie des Attentäters beschriftet waren, aber auch das sogenannte „Manifest“, lassen keinen Zweifel an dem Hauptmotiv: Islamhass.
Wie gehen Öffentlichkeit und Medien mit dem Anschlag um? Auf der einen Seite der Medaille sehen wir echte Anteilnahme, Empathie und menschliches Mitgefühl. Kurze Zeit nach dem Anschlag sprach Premierministerin Jacinda Ardern von einem „terroristischen Angriff“. In den darauffolgenden Tagen sucht sie persönlich das Gespräch mit der muslimischen Gemeinde und trauert mit ihnen.
In Deutschland, nach Frankreich das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung, reagieren Muslime und Nichtmuslime mit Abscheu und Entsetzen. Die Vertreter der großen Religionsgemeinschaften machen deutlich: Rassismus und Islamfeindlichkeit haben schwere Folgen. Es werden Trauermärsche und Solidaritätsveranstaltungen organisiert, an denen auch die Politik und Zivilbevölkerung teilnimmt.
Für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) handelt es sich bei dem Angriff um einen „perfiden Angriff auf Betende und ihre Gotteshäuser“. „Der gegen muslimische Mitbürger gerichtete Anschlag ist auch ein Angriff auf die neuseeländische Demokratie und die offene und tolerante Gesellschaft.“ Unzählige Menschen in ganz Europa besuchen Moscheen oder hinterlassen Blumen und Beileidsbotschaften vor Moscheen. Das Bistum Limburg ruft die Aktion „Friday‘s for prayer“ ins Leben und lädt Nichtmuslime dazu ein, aus Solidarität das Freitagsgebet zu besuchen. Das ist die eine Seite der Medaille.
Auf der anderen Seite dieser Medaille haben wir eine unverantwortliche, ethisch fragwürdige Berichterstattung. Es ist kein Klischee. Manche Medien tragen mit dazu bei, dass Islamfeindlichkeit und Rassismus eine breite Basis gewinnen. Ein besonders perfides Beispiel hierfür ist die Titelstory des Berliner Blatts „BZ“, einer „modernen Boulevardzeitung“, wie sie sich nennt. Am 16.3.2019 titelt sie: „Er tötete Unschuldige aus Rache für den Terror am Breitscheidplatz“. Darüber ist ein Foto des Terroristen und daneben seine Waffe abgebildet, mit etlichen Hinweisen auf seine zerstörerische Ideologie.
Was möchte die Zeitung, stellvertretend für andere, damit sagen? Einen Tag nachdem Dutzende Menschen kaltblütig ermordet wurden, laut Facebook sogar vor den Augen von mindestens 200 Live-Zuschauern, von denen keiner das Video gemeldet hat? Was soll die Botschaft sein? Selbst schuld? „Wie du mir, so ich dir“? „Auge um Auge, Zahn um Zahn“? Der Titel erweckt jedenfalls den Eindruck, als konnte der Attentäter gar nicht anders als sich zu „verteidigen“. Der Täter handelte quasi aus einer Art kranker „Notwehr“ heraus.
Die BZ, genauso wie einige andere Medien, macht sich mitschuldig. Sie geben dem Terroristen ein Gesicht, nennen seinen Namen, erklären, warum er so gehandelt hat oder sogar so handeln musste. Sie zitieren das Bekennerschreiben, oft ohne es einzuordnen. Das ist ihnen anscheinend nicht wichtig. Manche verbreiten sogar Auszüge aus dem menschenverachtenden Video oder drucken Fotos davon ab. So etwa die „Bild“-Zeitung einen Tag nach dem Anschlag. Inhaltlich nützt das zu nichts anderem, als Angst und Schrecken zu verbreiten. Sie sprechen mehr vom Täter als von den Opfern. Sie analysieren lieber die Tiefen der gestörten Psyche des Täters und die Details der Tat, was eigentlich Sache der Kriminalpolizei ist, anstatt sich den vielen Reaktionen, den Solidaritätsbekundungen und der Trauer zuzuwenden.
Das ist ethisch unverantwortlich, auch aus Sicht des Pressekodexes. Damit spielen sie dem Terroristen in die Hände. Sie unterstützen ihn, bei dem, was er erreichen will: sich und seiner Ideologie Bekanntheit verschaffen. Sie folgen seiner Strategie, wonach Blut fließen muss, um Gehör zu finden. Pure Motivation für Nachahmer.
Es tut gut zu sehen, dass es auch Medien gibt, die verantwortungsvoll handeln, so etwa die Süddeutsche Zeitung, in der Ronen Steinke verdeutlicht, dass Christchurch nicht als lokaler Terrorismus abgetan werden kann. Terroristen sind weltweit vernetzt. Das ZDF verzichtet darauf, das Video oder auch nur Teile davon zu zeigen. Die Hamburger Morgenpost titelt am 16.3.2019 auf der leeren schwarzen Titelseite: „Der Massenmörder von Christchurch filmte sich bei seiner monströsen Tat, damit diese Bilder um die Welt gehen. Von uns bekommt er dafür keinen Platz.“
Auch Neuseeland ist ein gutes Beispiel. Die Premierministerin hat es tunlichst vermieden, den Attentäter beim Namen zu nennen oder von ihm zu sprechen. Stattdessen spricht sie mit den Hinterbliebenen und gedenkt den Opfern. In Zeiten von Populismus und Rassismus ist das ein Verhalten, das den Friedensnobelpreis verdient.