Autoren schreiben hunderte Seiten. Doch was passiert, wenn sie ihr Buch auf seine Essenz herunterbrechen müssen? Unsere Serie „Nachgefragt“ liefert Antworten. Heute Ozan Zakariya Keskinkılıç und sein Buch „Die Islamdebatte gehört zu Deutschland“.
IslamiQ: Wem würden Sie Ihr Buch „Die Islamdebatte gehört zu Deutschland“ gerne schenken und warum?
Ozan Zakariya Keskinkılıç: Auf jeden Fall haben sich Horst Seehofer und viele andere heimatbesorgte Bürger ein signiertes Exemplar verdient. Das Buch ist aber nicht nur für jene relevant, die antimuslimische Rhetorik hegen und pflegen. Auch Muslime und als solche markierte Menschen finden darin wichtige Anhaltspunkte, um die eigene Diskriminierungserfahrung einordnen zu können, eine Sprache für die eigene Situation zu finden, und zu verstehen, dass die Schuld nicht bei einem selbst liegt, sondern dass es die Mehrheitsgesellschaft ist, die einen zum Problem erfindet. Ich halte es da ganz mit James Baldwin: „Das Opfer, das die Situation des Opfers artikulieren kann, ist kein Opfer mehr: Er oder sie ist zu einer Gefahr geworden.“
IslamiQ: Warum ist die Thematik Ihres Buches im Lichte aktueller Debatten wichtig?
Keskinkılıç: Weil antimuslimischer Rassismus das Zusammenleben in Europa weiter überschatten wird und muslimisches Leben gefährdet. Antimuslimische Hetze geht Gewalttaten voraus: Körperliche Angriffe auf Muslime und als solche wahrgenommene Menschen genauso wie Anschläge auf muslimische Einrichtungen gehören mittlerweile zum Alltag. Antimuslimischer Rassismus tötet, nicht nur in Neuseeland. Daran sollte der 1. Juli, der Tag gegen antimuslimischen Rassismus, erinnern. Vor zehn Jahren wurde Marwa el-Sherbini im Dresdener Landgericht während einer Gerichtsverhandlung aus rassistischer Motivation getötet. Das Problem bekommt zu wenig Aufmerksamkeit, während die Verschwörungstheorie einer Unterwanderung durch Muslime weiter umher geistert.
Übrigens wird auch immer wieder nichtmuslimischen, weißen Deutschen eine Beteiligung an der „Islamisierung“ Deutschlands vorgeworfen, wenn sie das Projekt gegen Islam, Migration und Asyl nicht unterstützen. In rechten Internetforen ist die Rede von einer „Selbstislamisierung“. Politik und Medien stünden mit Muslimen unter einer Decke, sie würden das „deutsche Volk“ hinters Licht führen und das Land zerstören wollen. Das heißt antimuslimischer Rassismus ist mehr als ein Vorurteil. Er funktioniert als Ideologie und Machtprogramm. Er produziert Verschwörungstheorien, stellt Grundrechte in Frage und greift die Demokratie insgesamt an.
IslamiQ: „Beim Lesen guter Bücher wächst die Seele empor.“ Warum trifft dieses Zitat von Voltaire auf Ihr Buch zu?
Keskinkılıç: Voltaire passt ganz wunderbar. Der französische Philosoph ist, wie viele andere, ein gutes Beispiel dafür, dass die gefeierten Giganten der Aufklärung keine unschuldigen Lämmer waren. Viele trugen wesentlich zur Meisterzählung des Rassismus und Antisemitismus bei. Voltaire hetzte offen gegen Juden. Türken bezeichnete er neben der Pest als größten Fluch auf der Welt. „Es reicht nicht, sie zu demütigen; sie sollten zerstört werden“, so sein Urteil. Auch seine Tragödie „le fanatisme ou Mahomet le Prophète“ von 1741 kann nicht, wie viele verkürzt behaupten, als unschuldige Warnung vor religiöser Intoleranz abgetan werden. Im Gegenteil funktioniert die Erzählung im Kontext weit verbreiteter Diskurse über die Primitivität der Anderen und den Dominanzanspruch Europas.
Das literarische Bild Muhammads als Lügner, Betrüger und Fanatiker hat sich über transnationale Kommunikationswege weltweit verbreitet und die Aushandlung von nationaler Zugehörigkeit, Identität und Rechten begleitet. Der Takiyya-Vorwurf weckt bis heute Misstrauen gegen Muslime. Sie würden ganz nach dem Vorbild Muhammads und dem Gebot ihres dämonischen Gottes, ihre wahren Absichten verheimlichen und im Stillen die Unterwanderung und Übernahme planen. Auch Voltaire ist in diese Geschichte der kulturellen Tradierung antimuslimischer Feindbilder verstrickt. Trotzdem ist sein Zitat über das Lesen guter Bücher nicht schlecht. Dieses Buch hätte auch seiner Seele gut getan.
IslamiQ: Ihr Buch „Die Islamdebatte gehört zu Deutschland“ in drei Wörtern zusammengefasst?
Keskinkılıç: Islamdebatten erzählen Deutschland.
IslamiQ: Eine spezielle Frage für Sie: Warum wurden Muslime zum Hassobjekt der rechten Bewegungen in Deutschland?
Keskinkılıç: Die Antwort darauf findet man jedenfalls nicht, indem man wie üblich auf Muslime und ihr Verhalten blickt. Muslime provozieren nicht Rassismus und „Konflikte“ durch ihr angebliches Anderssein, wie die Rede vom „Kulturkampf“ und der „Parallelgesellschaft“ suggeriert. Es ist umgekehrt: Rassismus erfindet sie als Mangel und Problem. Gerade weil antimuslimische Denktraditionen bis weit in die Mitte der Gesellschaft reichen, können insbesondere rechtspopulistische Bewegungen und Parteien ungemein vom Islamdebattenwahn profitieren. Sie knüpfen an das gesellschaftliche Wissen über Muslime als Andere an.
Der historische Rückblick, den ich in meinem Buch bemühe, zeigt, dass das kein neues Phänomen ist. Antimuslimischer Rassismus ist eine Leidenschaft und Karriere. Er verspricht Erfolg, weil er sich unter dem Deckmantel der Kultur- und Religionskritik tarnt. Er ist identitätsstiftend, denn in Abgrenzung zum Anderen wird ein idealisiertes „Wir“ konstruiert und Privilegien für „uns“ gesichert. In diesem Prozess erscheinen Muslime als ewig Fremde. Sie werden homogenisiert („Alle sind gleich“), dichotomisiert („Sie sind anders als wir“) und essentialisiert („Sie sind ihrer Kultur und Religion nach einfach so“). Erst wenn dieser Dreischritt der Fremdkonstruktion gebrochen wird, kann der Erfolg rechter Bewegungen und des Rassismus unterbunden werden. Dazu muss der Blick zurückgeworfen werden: Antimuslimischer Rassismus ist nicht das Problem der Muslime, sondern das der hiesigen Mehrheitsgesellschaft.