Akademiker widmen sich den wichtigen Fragen unserer Zeit. IslamiQ möchte zeigen, womit sich muslimische Akademiker aktuell beschäftigen. Heute Elif Köroğlu über die Rolle der Medien in Bezug auf den antimuslimischen Rassismus.
IslamiQ: Können Sie uns kurz etwas zu Ihrer Person und ihrem akademischen Werdegang sagen?
Elif Köroğlu: Ich bin in der Türkei geboren und kam mit acht Jahren nach Deutschland. Ich habe mein Bachelor- und Masterstudium in Politikwissenschaften an der Leibniz Universität Hannover absolviert. Ich habe über mehrere Jahre neben meinem Studium Sprachförderung und Nachhilfebetreuung für Jugendliche mit Migrationshintergrund gemacht, was meine jetzige Arbeit geprägt hat, da ich die Probleme, Sorgen und Wünsche von jungen People of Color sehr gut kenne. Zurzeit arbeite ich an meinem Promotionsprojekt über die Rolle der Medien für den antimuslimischen Rassismus und das Medienempfinden von türkeistämmigen, muslimischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Ich freue mich über jede Möglichkeit, die meinen Forschungsthemen eine Plattform zur Thematisierung bietet, so habe ich in diesem Wintersemester ein Seminar über den antimuslimischen Rassismus an der Leibniz Universität Hannover geleitet. Demnächst steht ein Vortrag im Rahmen einer Ringvorlesung an der WWU Münster an. Außerdem schreibe ich Beiträge über meine Forschungsthemen.
IslamiQ: Können Sie uns Ihre Dissertation kurz vorstellen?
Köroğlu: Im Rahmen meines Dissertationsprojekts befrage ich muslimische Jugendliche und junge Erwachsene zu ihrer Mediennutzung und ihrem Medienempfinden und analysiere die Wirkung von (negativen) Berichterstattungen und Medieninhalten. Ich befasse mich mit antimuslimischem Rassismus, Diskriminierungserfahrungen von muslimischen jungen Erwachsenen in Deutschland, in diesem Zusammenhang sind Begriffe wie Transnationalität und hybride Identitäten von großer Bedeutung für meine Arbeit.
IslamiQ: Warum haben Sie dieses Thema ausgewählt? Gibt es ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?
Köroğlu: Die Themen hybride Identitäten, antimuslimischer Rassismus und die Rassismen in den Medien sind für mich Herzensthemen, so bezeichne ich sie. Natürlich ist dies auch von eigenen Diskriminierungserfahrungen geprägt. Ich denke, dass ein Bewusstsein über die Wichtigkeit dieser Themen nicht wirklich existiert, was sehr schade ist. Bei den Nichtbetroffenen sehe ich wenig Sensibilität und Solidarität, was diese Themen anbetrifft. Aus diesem Grund erachte ich es als sehr wichtig, dass Raum für diese wichtigen Themen geschaffen wird.
Als Schlüsselereignis würde ich mein Praktikum während meines Masterstudiums bei TRT World in Istanbul bezeichnen, wo ich meine ersten Erfahrungen im Journalismus und Medien gesammelt habe. Die Deutungshoheit und Definitionsmacht der medialen Sprache zu sehen, ist natürlich faszinierend und erschreckend zugleich. Die Öffentlichkeitsfunktion der Medien und damit verbunden auch die Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit ist nicht zu unterschätzen. Medien bestimmen nicht nur, was zu einem bestimmten Zeitpunkt diskussionswürdig ist, sondern auch das „Wie“ der Diskurse. Die Rethorik, Agenda Setting oder eben Agenda Cutting, das Phänomen Framing – diese Erkenntnisse waren sehr aufschlussreich für meine jetzige Arbeit. Im Anschluss darauf habe ich mich in meiner Masterarbeit „Zwischen Integration und Diskriminierung: Vom ‚Gastarbeiter‘ zum ‚Muslim‘? – Ein kritischer Blick auf die muslimische Minderheit in Deutschland” eine Diskursanalyse gemacht und die Medienberichterstattungen über Muslime sowie ihre Rolle beim antimuslimischen Rassismus analysiert.
Zudem hat mich mein Nebenjob, die Arbeit mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund sehr geprägt, was letztendlich dazu geführt hat, mich mit diesem Thema zu beschäftigen. Ein wichtiger Einschnitt war also die Erkenntnis, die ich während meiner Arbeit gewonnen habe; die Entfremdung junger People of Color muslimischen Glaubens gegenüber den „Leitmedien“ und den negativen Berichterstattungen.
IslamiQ: Haben Sie positive/negative Erfahrungen während Ihrer Doktorarbeit gemacht? Was treibt Sie voran?
Köroğlu: Ich befinde mich zurzeit noch in der Anfangsphase meines Promotionsprojekts. Während des Seminars, das ich im Wintersemester an der Universität hatte, habe ich durchaus negative Erfahrungen gemacht, da manche Seminarteilnehmer sich damit schwergetan haben, meinen Forschungsfokus zu verstehen und mit Aspekten wie Kopftuch als Unterdrückung der Frau oder Terrorismus etc. argumentieren wollten. Da war die Atmosphäre zum Teil sehr gespannt und mit hochgeladenen Emotionen verbunden. Es gibt Menschen, die überrascht fragen: „Antimuslimischer Rassismus in Deutschland, wo gibt es denn so etwas?“ Diese Reaktion kann man natürlich nur beschmunzeln und sagen, dass antimuslimischer Rassismus ein großes Problem in Deutschland ist und dass es gerade wegen solcher Reaktionen wichtig ist, darüber zu forschen und zu schreiben.
Ich denke, dass die Annahme, man könne als Betroffene die Objektivität zu einem Thema nicht bewahren, sehr irreführend ist. Das heißt z. B., ich solle nicht über den antimuslimischen Rassismus forschen, weil ich selbst davon betroffen bin. Doch die Soziologie des 20. Jahrhunderts ist von Köpfen gesteuert, die selbst Betroffene sind. Beispielsweise Foucault, der sich als Homosexueller mit Homosexualität befasst hat, Bourdieu, der als Betroffener über soziale Ungleichheit und Reproduktion von sozialer Ungleichheit schrieb, oder eben Butler als queere Person über die Queer Theory. Die falsche Annahme, dass lediglich Nichtbetroffene oder weiße Menschen sich mit Problemen objektiv befassen können, sollte eigentlich mit den genannten Beispielen widerlegt sein.
IslamiQ: Inwieweit wird Ihre Doktorarbeit der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland nützlich sein?
Köroğlu: Unsere Gesellschaft wandelt sich ständig und wird immer diverser. Die Debatten, ob Muslime oder der Islam zu Deutschland gehören etc. führen ad absurdum. Es ist viel wichtiger, sich mit den Herausforderungen und Chancen der wandelnden Gesellschaft zu befassen. Zu diesen Fragestellungen soll mein Promotionsprojekt einen Beitrag leisten. Auch soll meine Arbeit dazu dienen, den oft ignorierten Alltagsrassismen, denen die Muslime in Deutschland ausgesetzt sind, eine Plattform zu bieten und diese und die Hintergründe wissenschaftlich zu erforschen.
Das Interview führte Muhammed Suiçmez.