Gewerkschaften setzen sich gegenüber Arbeitgebern für Arbeiternehmerinteressen ein. Sind auch Muslime gewerkschaftlich organisiert? Und bieten Gewerkschaften spezielle Leistungen für Muslime an? Ein Beitrag von IslamiQ-Redakteurin Kübra Layık.
Seit den 1960er Jahren spielen muslimische Arbeitnehmer auf dem deutschen Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle. Die ersten Gastarbeiter, meist türkisch-muslimischer Herkunft, waren als Hilfskräfte in Fabriken oder auf dem Bau beschäftigt. Ihr Einsatz trug erheblich dazu bei, Deutschland nach dem Krieg rasch wiederaufzubauen.
Aus Gastarbeitern wurden Bürger. Vor allem die zweite Generation der zugewanderten Muslime kann sich mittlerweile auf dem Arbeitsmarkt sehr gut behaupten. Laut einer 2017 veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung arbeiten derzeit 60 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime in Vollzeit, 20 Prozent in Teilzeit. Auch die Arbeitslosenquote gleicht sich immer mehr dem gesamtgesellschaftlichen Durchschnitt an. Deutschland bekommt deshalb mit Abstand die besten Noten bei der Integration von Einwanderern in den Arbeitsmarkt.
Aber wie steht es eigentlich um die Interessen der muslimischen Arbeitnehmer? Werden diese bedacht? Sind Muslime gewerkschaftlich organisiert? Eine Gewerkschaft ist eine Organisation, deren Aufgabe in der Interessenvertretung der Arbeiternehmer gegenüber den Arbeitgebern besteht. Wichtige Ziele gewerkschaftlicher Arbeit sind z. B. die Arbeitsplatzsicherung und Lohnerhöhungen im Rahmen von Tarifverhandlungen. Um ihre Forderungen durchzusetzen, setzen Gewerkschaften z. B. auf den organisierten Streik als Druckmittel.
Der „Deutsche Gewerkschaftsbund“ (DGB) wurde 1949 gegründet und vereint acht Mitgliedsgewerkschaften unter seinem Dach. Er vertritt die sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Gewerkschaftsmitglieder gegenüber politischen Parteien, Entscheidungsträgern und Verbänden, informiert politische Akteure über gewerkschaftliche Forderungen und nimmt gemeinsame Aufgaben in den EU-Gremien wahr.
Der DGB setzt sich entschieden gegen Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Alter, ethnischer Herkunft, sexueller Orientierung, Behinderung, Weltanschauung und Religion ein. Auf Anfrage teilte uns die Pressestelle des DGB mit: „Wir wollen, dass sich alle Arbeitnehmer in ihren eigenen Interessen vertreten werden, egal welcher Religion oder Nationalität. Dies geben wir auch unseren Mitgliedern für ihre Gewerkschaften weiter.“
Einen weiteren Arbeitsschwerpunkt des DGB bildet der Einsatz gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz im Rahmen der Europäischen Migrations- und Antirassismuspolitik. Der DGB unterstützt die Initiative „Gelbe Hand“, die sich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit einsetzt.
Die „Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft“ (ver.di) wurde 2001 in Berlin gegründet. Zu ihren Mitgliedern zählen Angestellte, Selbstständige und Beamte aus über 1000 Berufen, aber auch Studierende. Ver.di setzt sich für sozial gerechtere Rahmenbedingungen in der Arbeitswelt, Teilhabe, Integration und die soziale, betriebliche und rechtliche Gleichstellung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Migrationshintergrund ein. „Wir wollen, dass die Leistungen der Menschen anerkannt und wertgeschätzt werden. Wir setzen uns ein für menschengerechte Arbeitsbedingungen und kämpfen für den Erhalt von Arbeitsplätzen. Wir geben unseren vielen Mitgliedern mit Migrationshintergrund eine Stimme in der Politik und in der Gesellschaft“, betont ein Sprecher von ver.di Düsseldorf gegenüber IslamiQ.
Mitglieder mit Migrationshintergrund können sich aktiv bei ver.di einbringen. Durch den Status als Personengruppe haben Muslime seit 2011 die Möglichkeit, auf allen ver.di-Ebenen eigene Migrationsausschüsse unter dem Dach des ver.di-Bundesmigrationsausschusses zu gründen.
Ver.di ist aktiv im Verein „Mach mein Kumpel nicht an! – für Gleichbehandlung, gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus e.V.“ mit Sitz in Düsseldorf. Der Verein ist Teil des gewerkschaftlichen Engagements gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus, und setzt sich seit 30 Jahren für Gleichberichtigung und Chancengleichheit, insbesondere in der Arbeitswelt, ein.
Die Branchengewerkschaft IG Metall zählt aktuell 2,2 Millionen Mitglieder. In mehreren IG Metall-Bezirken gibt es inzwischen einen Arbeitskreis Migration, so auch im Bezirk Köln-Leverkusen, in dem seit 2016 21 Mitglieder mehrheitlich türkisch-muslimischer Herkunft aktiv sind.
Neben betrieblichen Themen, wie beispielsweise der Aus- und Weiterbildung von Muslimen oder dem hohen Anteil von Migranten in prekären Beschäftigungsverhältnissen, sollen zukünftig auch gesellschaftspolitische Fragen, z. B. das kommunale Wahlrecht für Migranten, diskutiert werden. „Neben der Problematisierung bestimmter Entwicklungen möchten wir auch aufzeigen, mit welchen Chancen und Potentialen Diversität und kulturelle Vielfalt – betrieblich wie gesellschaftlich – verbunden ist“, berichtet ein Mitglied des Arbeitskreis Migration IG Metall Köln-Leverkusen.
Gesprächsrunden, Vorträge und Seminare, zu denen Politiker und Experten eingeladen werden, sollen für das Thema Rassismus und Diskriminierung in der Gesellschaft, aber auch kulturelle Vielfalt sensibilisieren. Daneben organisieren die Mitglieder des Arbeitskreises Schulungen und Weiterbildungen für Gewerkschaftsmitglieder und betreiben politische Aufklärung.
Laut Vertretern des DGB, von ver.di und der IG Metall habe man in der Vergangenheit schon einige Anti-Rassismusinitiativen gestartet, Netzwerke gebildet und mit Migrantenverbänden kooperiert. Trotzdem sei das Engagement von Muslimen in Gewerkschaften weiterhin eher gering. „Die Interessen der Arbeitnehmer können nur dann vertreten werden, wenn sich auch jeder einbringt. Von jeder Nationalität, Religion und sexuellen Orientierung“, so ein DGB-Sprecher.
„Muslime können eigene Gewerkschaften aufbauen und für ihre Rechte und Interessen einstehen“, heißt es vonseiten der IG Metall. Wichtig sei nur, dass die Toleranz, Offenheit und Einigkeit der Gewerkschaften gesichert werde. Muslime gestalten die Gesellschaft in Deutschland mit, Deshalb sollten sie auch als Arbeitnehmer ihre Rechte nutzen und für ihre Interessen eintreten.