Gewerkschaften sind kollektive Organisationen, deren Ziel die Interessenvertretung und Förderung von Arbeitnehmern ist. Es existieren jedoch länderspezifische Unterschiede, die nicht nur Strukturen und Handlungsweisen betreffen. Ein Gastbeitrag von Theresa Schulz.
Gewerkschaften sind potentiell einflussreiche und mächtige Institutionen innerhalb westlicher Volkswirtschaften. Als Verhandlungspartner von Regierungen und Arbeitgeberverbänden spielen sie eine wichtige Rolle im sozioökonomischen Entscheidungsprozess. Aus diesem Grund mussten nicht nur Politik und Arbeitgeber, sondern auch die Gewerkschaften als wichtige Bindeglieder Strategien für den Umgang mit Einwanderung und den ins Land kommenden Migranten formulieren, deren Interessen als Beschäftigte die Gewerkschaften ebenfalls zur vertreten hatten. Das machte Gewerkschaften zu einem wichtigen Faktor für die sozioökonomische Position ausländischer Arbeitskräfte in den jeweiligen Gastländern.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ist die Dachorganisation aller Gewerkschaften in Deutschland. Die größten Einzelgewerkschaften sind die Industriegewerkschaft (IG) Metall und die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di). Zusammen vertreten sie fast 70% aller DGB-Mitglieder. Im Kontext der Vereinigungsrechte von Einwanderern ist die Tatsache relevant, dass Gewerkschaften in Deutschland „Einheitsgewerkschaften“ sind, d. h. sie stehen allen Beschäftigten unabhängig von deren ideologischer Ausrichtung oder politischen Überzeugung offen.
Die IG Metall gründete schließlich die Abteilung „Ausländische Arbeitnehmer“. Die damaligen Gastarbeiter wurden also zu einem wichtigen Teil der gewerkschaftlichen Zielgruppenpolitik. Der 2012 durchgeführte European Social Survey zeigte jedoch, dass lediglich 10,1% aller ausländischen Beschäftigten in Deutschland gewerkschaftlich organisiert sind. Unter den einheimischen Beschäftigten lag die Mitgliedschaftsquote dagegen bei 14,9%.
Ähnlich wie in Deutschland gibt es auch in Österreich nur einen Gewerkschaftsdachverband, den ÖGB (Österreichischer Gewerkschaftsbund), in dem sich alle Einzelgewerkschaften zusammengeschlossen haben. Laut einer ESS-Erhebung von 2014 lag die Quote der gewerkschaftlich organisierten Österreicher bei 28%. Ausländische Arbeiternehmer machen demgegenüber nur 14% der Gewerkschaftsmitglieder aus. Seit Januar 2006 können sich aber auch Beschäftigte aus Nicht-EU-Staaten zur Betriebsratswahl aufstellen lassen. Seitdem scheinen die Zahlen der ausländischen Betriebsratsmitglieder zu steigen. Im Jahre 2013 hat der ÖGB-Bundeskongress beschlossen, sich künftig für die bessere Anerkennung ausländischer Qualifikationen, den Ausbau kostenloser Weiterbildungsmöglichkeiten, z. B. Deutschkurse, und einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylbewerber einsetzen zu wollen.
Gewerkschaften in den Niederlanden nehmen sich in erster Linie als Verteidiger von Arbeitsrechten, weniger als soziale oder politische Akteure wahr. Die größten niederländischen Gewerkschaften sind die sozialdemokratische FNV, ein Zusammenschluss sozialistischer und katholischer Gewerkschaften, der christdemokratische CNV und die VCP, eine Gewerkschaft für hochqualifizierte Fachkräfte. Mit rund 1,2 Millionen Mitgliedern ist die FNV der größte Verbund, gefolgt vom CNV mit 341,000 und der VCP mit 132,000 Mitgliedern.
Der FNV hat seit 2006 zahlreiche Kampagnen zum Schutz der Rechte von Beschäftigten im Niedriglohnsektor, z. B. Reinigungskräfte, Hausangestellte und Supermarktpersonal, geführt, die explizit auch die Interessen von Arbeitnehmern mit Migrationshintergrund einschließen.
Trotz verschiedener gewerkschaftlicher Programme zur Förderung gleicher Rechten und Arbeitsbedingungen für ausländische Beschäftigte bleiben Einwanderer in niederländischen Gewerkschaften weiterhin unterrepräsentiert. 2012 waren laut ESS lediglich 18,1% aller ausländischen Beschäftigten in den Niederlanden gewerkschaftlich organisiert, verglichen mit einer Mitgliederquote von 22,5% unter den einheimischen Arbeitnehmern.
Auch in Schweden gibt es einen gewerkschaftlichen Dachverband, den Schwedischen Gewerkschaftsbund (LO), in dem hauptsächlich Arbeiter organisiert sind. Die Schwedische Angestelltengewerkschaft (TCO) und der Schwedische Bund der Berufsgenossenschaften (SACO) vertreten mehrheitlich Angestellte.
Der LO und seine Mitgliedsgewerkschaften sind stehen den Sozialdemokraten nahe, während der TCO und der SACO politisch unabhängig sind. Obwohl der LO weiterhin der einflussreichste Gewerkschaftsbund ist, hat er inzwischen aus finanziellen Gründen, aber auch aufgrund korporatistischer Verbindungen mit dem Staat an Macht verloren. Zumindest bis vor kurzem waren schwedische Gewerkschaften im Hinblick auf Flüchtlinge und Migranten bzw. die Einflussnahme auf Einwanderungspolitik und -gesetzgebung eher passiv, da sie dies als Verantwortungsbereich der politischen Parteien ansahen. Ihr Hauptaugenmerk richtete sich eher auf inklusive integrationspolitische Maßnahmen wie die schnellere Erteilung des unbegrenzten Aufenthaltsrechts bzw. der Staatsbürgerschaft. Laut dem ESS waren 2012 jedoch nur 58,6 % der ausländischen Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert, gegenüber einem Anteil von 64,9% unter den einheimischen Arbeitnehmern.
Die drei großen Gewerkschaften Großbritanniens, Unite (Privatwirtschaft), UNISON (öffentlicher Sektor) und GMB (eine allgemeine Gewerkschaft mit Mitgliedern aus beiden Sektoren) stehen im Zusammenhang mit dem Thema Einwanderung in keiner direkten Verbindung zu staatlichen Ausschüssen. Trotz dieser relativen Zurückhaltung von Arbeitervertretungsorganen im Hinblick auf Migrationsfragen haben britische Gewerkschaften gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren und Nichtregierungsorganisationen unlängst eine vielbeachtete nationale Kampagne gegen den Aufstieg xenophober und populistischer politischer Bewegungen gestartet.
Ähnliche Aktionen fanden auch in Deutschland und Frankreich statt. GMB und Unite nutzen ihre Organisierungskampagnen aktiv dazu, auch ausländische Beschäftigte einzubeziehen, indem sie sich vor allem auf diejenigen Bereiche konzentrieren, in denen die Zahl ausländischer Arbeitnehmer innerhalb des letzten Jahrzehnts besonders stark gestiegen ist. Dennoch zeigen die Daten des ESS von 2012 auch für Großbritannien mit nur 14,6% einen geringen gewerkschaftlichen Organisierungsgrad von Einwanderern an (zum Vergleich: unter den einheimischen Beschäftigten sind es 19,6%).
Mit einer Mitgliedsquote von nach Angaben des Arbeitsministeriums lediglich 11% gehören französische Gewerkschaften zu den schwächsten in Europa. Die Vertretungsrechte auf der nationalen, lokalen, regionalen, sektoralen und Firmenebene wurde den fünf großen Verbänden seitens des Staates automatisch zuerkannt. Gemäß der 2017 ermittelten Repräsentativität ist die CFDT mit 26,37 % der abgegebenen Stimmen und 700,000 Mitglieder die größte Gewerkschaft, direkt gefolgt von der CGT mit 24,85% der Stimmen. Im Verlauf der vergangenen zwanzig Jahr hat die CGT immer wieder versucht, ihren nationalen Vorstand auch mit ausländischen Mitgliedern zu besetzen. Die CFDT hat ihre Mitgliedsgewerkschaften überprüft, um die Zahl der in lokalen Komitees organisierten Mitglieder festzustellen, die aus ethnischen Minderheiten stammen. Einwanderungspolitische Maßnahmen werden jedoch als Konsequenz kapitalistischer Ausbeutung betrachtet, welche die Gewerkschaften offensichtlich nur ungern mittragen wollen. Sie fokussieren sich ausschließlich auf solche Aspekte, die die Position der Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt schwächen. Die Mitgliedsquoten sind mit 5,4% unter ausländischen und 7,8% unter einheimischen Beschäftigten sehr niedrig (ESS 2012).
Zusammengefasst stellen europäische Gewerkschaften ein kollektives Mittel zum Schutz der Rechte und Interessen von Beschäftigten sowie zur Konzeption neuer Maßnahmen und Kampagnen dar. Obwohl Gewerkschaften viele verschiedene Kampagnen zum Schutz der Rechte ausländischer Arbeitnehmer und zur Verteidigung ihrer Menschenrechte durchgeführt haben, bleibt ihr Erfolg doch fraglich. Laut dem ICTWSS von 2014 beträgt die Gewerkschaftsdichte in Großbritannien 26%, in Deutschland und den Niederlanden dagegen nur 18%. Mit gerade einmal 8% ist die Gewerkschaftsdichte in Frankreich die niedrigste in Europa. Selbst wenn wir annehmen, dass der Status als Migrant die Wahrscheinlichkeit einer Gewerkschaftsmitgliedschaft signifikant beeinflusst, wären die Prozentraten unter Migranten dramatisch niedrig. Die geringe Gewerkschaftsdichte und Wahrscheinlichkeit einer Gewerkschaftsmitgliedschaft unter Migranten wirken sich daher auf die Inklusivität gewerkschaftlicher Kampagnen und Strategien eher ungünstig aus.