Die Kadr-Nacht findet in den letzten zehn Tagen des Ramadans statt. Verbringt man die Nacht in Reue, können alle Sünden verziehen werden. Trotzdem sollten wir es uns nicht zu einfach machen, schreibt Debora Mendelin heute in ihrem Ramadan-Journal.
Sie ist die Nacht der Nächte. Die Nacht, in der die Herabsendung des Korans begann. In dieser Nacht bekommen wir die Möglichkeit, eine riesige Belohnung von Gott zu erhalten, wenn wir sie im Gebet und der Koranrezitation verbringen. Es ist die Nacht, in der unsere Sünden von Gott vergeben werden, sofern wir aufrichtig Reue zeigen. Doch es ist ein Geheimnis, wann diese Nacht ist, und wir Muslime sind angehalten, dieses Geheimnis zu lüften. Glücklich kann sich schätzen, wer die Kadr-Nacht findet, denn nur wenige Muslime habe das Glück.
Denn klar ist ja nur, dass sie irgendwann in den letzten zehn Nächten ist. Viele Gelehrte, jedoch nicht alle, sind sich außerdem einig, dass sie auf einen ungeraden Tag in diesen letzten zehn Tagen des Ramadans fällt. Einige von diesen Gelehrten wiederum glauben, dass sie am 27. Ramadan stattfindet. Hiervon gehen auch viele Laien aus. Sicher ist dies jedoch nicht. Es wäre meiner Meinung nach also hoch gepokert, würde man sich auf die 27. Nacht festnageln und nur in ihr ausgiebig beten und um Vergebung bitten. Aber ehrlich gesagt, ich pokere auch, aber nicht so hoch. Ich bete nur die ungeraden Nächte vermehrt und es sind auch die einzigen Nächte, an denen ich das Tarâwîh-Gebet bete.
Ich habe festgestellt, dass es nach dem Ischa-Gebet sehr anstrengend für mich ist, noch weiter zu beten. Ich bin nachts um halb zwölf einfach unglaublich müde und kann mich dann nicht mehr auf das Gebet konzentrieren, schlafe tatsächlich manchmal sogar im Stehen dabei ein. Deshalb hat es sich für mich bewährt, eine Stunde vor dem Sahûr wieder aufzustehen, meine Gebetswaschung vorzunehmen und mich dann zum Gebet aufzustellen. So schaffe ich dann einige Gebetseinheiten und habe vor dem Sahûr noch Zeit, um aus dem Koran zu lesen.
Es ist eine angenehme Zeit, draußen ist es dunkel und die Welt um einen herum steht still. Jeder schläft und es gibt nur mich und Allah. Die Herausforderung, nicht an die Arbeit, meine Familie oder an meine Probleme zu denken, besteht natürlich auch in den ungeraden letzten zehn Nächten, aber die Bitte um Vergebung steht doch im Vordergrund meines Bewusstseins. Die Rezitation ist ohne eine Geräuschkulisse im Hintergrund besonders angenehm, da dürfen es auch gerne mal ein paar Seiten mehr sein. Ich sage drei mal die Sure Ihlâs auf und rezitiere zusätzlich die Sure Yâsîn. Die Kadr-Nacht ist irgendwie eine ziemliche Abkürzung zu Allahs Belohnung und Vergebung. Es heißt, wenn man die Sure Yâsîn liest, dann ist es so, als hätte man den ganzen Koran gelesen, da sie das Herz des Korans ist. Das habe ich zumindest irgendwo gelesen und versuche, es jetzt umzusetzen. Ob es stimmt? Ich weiß es nicht.
Alles was ich weiß, ist dass ich es bitter nötig habe, die Nacht der Bestimmung zu erwischen, denn ich kann von mir nicht gerade behaupten, dass ich nichts hätte, für das ich um Vergebung bitten sollte. Und da wir alle Menschen sind, die in ihrer Natur nicht perfekt sind, geht es wohl jedem einzelnen Muslim so, der sich aufrichtig die Frage stellt, wo seine Schwächen liegen und wo er oder sie gegen den Willen Gottes gehandelt hat.
Und es ist eine unglaublich große Barmherzigkeit von Gott, denjenigen, die wirklich von Herzen bereuen und fest an das jenseitige Leben glauben, in nur einer Nacht die Möglichkeit zu geben, all ihre schlechten Taten nicht nur zu verzeihen, sondern ganz aus den Büchern der Engel zu löschen. So, als wären sie nie geschehen. Doch wir Muslime müssen Gott dafür beweisen, dass wir es ernst meinen, und je ausgiebiger wir nach dieser Nacht suchen und uns in ihr Gott hingeben, desto aufrichtiger scheint doch unser Wunsch nach Vergebung und auch unser Glaube an ihn und seine Gnade.
Allerdings finde ich, dass wir uns auf diese schnellen Möglichkeiten zur Auslöschung der schlechten Taten nicht verlassen sollten. Sondern ständig daran arbeiten sollten, uns als Menschen und Gläubige zu verbessern und seinen Geboten zu folgen. Zumindest ist das der Anspruch, den ich an mich stelle. Mir wäre es wirklich lieber, ich hätte nichts, um das ich um Vergebung bitten müsste. Ich weiß schließlich nicht, ob Gott meine Bitte annimmt, auch wenn ich darauf hoffen darf. Zudem braucht es eine offene Selbstkritik und den Willen, sich selber stetig zu verbessern, um auch im Hier und Jetzt eine bessere und friedlichere Gesellschaft zu schaffen. Immer wiederkehrende Fehler, die sich auf andere auswirken, sind schließlich auch dann noch schädlich für die Menschen, wenn man sie bereut. Zuletzt sollten wir die Barmherzigkeit Gottes nicht nur erwarten, sondern sie uns als Beispiel für unser eigenes Handeln nehmen.