Autoren schreiben hunderte Seiten. Doch was passiert, wenn sie ihr Buch auf seine Essenz herunterbrechen müssen? Unsere Serie „Nachgefragt“ liefert Antworten. Heute Susannah Heschel und ihr Buch „Jüdischer Islam“.
IslamiQ: Wem würden Sie Ihr Buch „Jüdischer Islam“ gerne schenken und warum?
Susannah Heschel: Ich würde mich freuen, wenn mein Buch ins Arabische übersetzt und von Muslimen gelesen werden würde, die vielleicht nicht wissen, dass sich europäische Juden mit dem Islam beschäftigt haben. Auch die jüdische Gemeinde, die Muslimen im Moment sehr skeptisch gegenübersteht, sollte mein Buch kennen. Ich möchte dieses Misstrauen überwinden und daran erinnern, dass es einmal bessere Zeiten gegeben hat.
IslamiQ: Warum ist die Thematik Ihres Buches im Lichte aktueller Debatten wichtig?
Heschel: Gerade unter dem Eindruck wachsender Islam- und Judenfeindlichkeit hoffe ich, dass mein Buch ein Beispiel dafür aufzeigt, wie deutsche Juden im 19. Jahrhundert versucht haben, Antisemitismus zu beseitigen, indem sie auf Gemeinsamkeiten zwischen dem Judentum und dem Islam hinwiesen. Beide Religionen, so argumentierten sie, basieren auf einem moralischen Gesetz, beide sind monotheistisch, beide lehnen die bildliche Darstellung Gottes ab, beide stehen sowohl Naturwissenschaften, Mathematik und Philosophie als auch internationalem Handel und kosmopolitischem Denken offen gegenüber.
IslamiQ: „Beim Lesen guter Bücher wächst die Seele empor.“ Warum trifft dieses Zitat von Voltaire auf Ihr Buch zu?
Heschel: Die Recherche für das Buch „Jüdischer Islam“ war faszinierend. Die Juden, die sich dem Studium einer anderen Religion widmeten, haben mich beeindruckt. Rabbi Ludwig Ullmann z. B., der aus reiner Bewunderung für die Poesie und religiöse Bedeutung der Suren die gewaltige Aufgabe einer Übertragung des Korans ins Deutsche auf sich genommen hat. Diese Juden haben sich dem Islamstudium größtenteils deshalb zugewandt, weil sie genug hatten von der schlechten Behandlung durch christliche Theologen.
IslamiQ: Ihr Buch „Jüdischer Islam“ in drei Wörtern zusammengefasst?
Heschel:Spannend, neu, inspirierend.
IslamiQ: Eine spezielle Frage für Sie: In Deutschland wird Antisemitismus als importiertes muslimisches Phänomen dargestellt. Wie erklären Sie sich das?
Heschel: Judenfeindlichkeit gibt es in Deutschland und anderswo in Europa schon seit Jahrhunderten. Das ist kein neues Phänomen und kein Resultat muslimischer Einwanderung. Der Antisemitismus hat viele Formen. In Hass und Verachtung gegenüber Juden drücken sich abstoßende politische Positionen aus, sie dienen aber auch dazu, sich selbst als überlegen zu präsentieren. Es gibt christliche und islamische Formen des Antisemitismus – beide Religionen liefern dahingehende Argumente – sowie links- und rechtsgerichtete Judenfeindlichkeit. Es gibt visuelle und verbale Ausdrucksformen einer antisemitischen Ideologie. Es wird noch Generationen dauern, um Judenfeindlichkeit zu überwinden. Um dieses große Ziel zu erreichen, braucht es Allianzen. Ich hoffe, mein Buch kann dazu beitragen.