Islamunterricht in NRW

„Kommissionsmodell ist ein Eingriff in die Selbstbestimmung“

Die Zukunft des Islamunterrichts in NRW bleibt weiterhin offen. Die Landesregierung möchte mit einem Kommissionsmodell weitermachen. IslamiQ befragte die einzelnen Vertreter der im Koordinationsrat der Muslime (KRM) vertretenen Religionsgemeinschaften. Heute mit Nurhan Soykan (ZMD).

19
06
2019
Nurhan Soykan über das neue Kommissionsmodell in NRW
Nurhan Soykan © ZMD

IslamiQ: Wie beurteilen Sie das neue Kommissionsmodell für den islamischen Religionsunterricht in NRW?

Soykan: Das neue Modell sieht vor, dass das Land mit „muslimischen Organisationen“ Verträge schließt und diese dann gemeinsam die Idschaza erteilen.

Dabei liegen die Kriterien, wer das sein kann, wesentlich unter den Voraussetzungen einer Religionsgemeinschaft. Während man jahrzehntelang eine einzige Religionsgemeinschaft der Muslime gefordert hat, sollen es jetzt alle sein. Kriterien wie etwa die Bekenntnisgebundenheit, die allseitige Aufgabenerfüllung, die Gewähr der Dauer etc. fallen weg. Somit können Organisationen eingebunden werden, die nicht mal im Ansatz einer Religionsgemeinschaft entsprechen, bspw. keinerlei Moscheebindung aufweisen, und damit anders als die vier großen islamischen Religionsgemeinschaften keinerlei Basis haben oder nur eine unwesentliche Zahl von Muslimen vertreten. Diese sollen in der Kommission aber gleiche Stimmgewichtung haben, wie eine Religionsgemeinschaft. Daher sehen wir das Kommissionsmodell als sehr problematisch an.

IslamiQ: Wie hat die bisherige Arbeit im Beirat geklappt?

Nurhan Soykan: Dank des ehrenamtlichen Einsatzes der Beiratsmitglieder ganz gut. An vielen Wochenenden wurden Gespräche mit Lehrern geführt, die im Anschluss eine Idschaza bekommen haben. Einige, die die Kriterien noch nicht erfüllten, wurden zu Fortbildungen geschickt. Sicherlich gab es aber auch Mängel, die auch in der Stellungnahme des Beirates angebracht wurden, z. B. die mangelnde Zusammenarbeit mit den Schulen, da keine Hospitationsmöglichkeiten angeboten wurden.

IslamiQ befragte die einzelnen Vertreter der im Koordinationsrat der Muslime (KRM) vertretenen Religionsgemeinschaften über das neue geplante Kommissionsmodell:

Dr. Zekeriya Altuğ (DITIB): „Staatlich aufgezwungene Modelle sind zum Scheitern verurteilt“
Erol Pürlü (VIKZ): „Klärung der Statusfrage wichtiger als Kommissionsmodell“
Murat Gümüş(Islamrat): „NRW will mit Kommissionsmodell die Statusfrage umgehen“

IslamiQ: Die neue Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium und der jeweiligen islamischen Religionsgemeinschaften oder Organisationen soll in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag geregelt werden. Durch diesen können mehrere muslimische Vertreter in der Kommission sitzen, im Gegensatz zum aktuellen Beiratsmodell. Sehen Sie Vorteile einer solchen Kommission?

Soykan: Das größte Problem ist, dass das Land entscheidet, mit wem es den Vertrag schließt und mit wem nicht. Es kann ihn auch kündigen. Das Land könnte auch Vereine hineinnehmen, die nicht bekenntnisgleich sind mit den etablierten Religionsgemeinschaften. Man hätte gar keine gemeinsame theologische Grundlage und müsste sich in der Kommission über die theologische Grundlage streiten.

Es könnte die Situation entstehen, dass die vier großen Religionsgemeinschaften und fünf kleinere Vereine in der Kommission sitzen mit gleicher Stimmberechtigung. Damit könnten die Religionsgemeinschaften von kleinen Vereinen, die einige Personen vertreten, überstimmt werden. Die Zusammensetzung der Kommission liegt in der Hand des Landes, was ein Eingriff in die Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften ist.

IslamiQ: Die Landesregierung möchte mit einem weiteren Übergangsmodell weitermachen. Sie sagt, es gebe keine Religionsgemeinschaft in NRW? Wie sehen Sie das?

Soykan: Ich denke, dass man diese Frage aussitzen möchte und nicht beantworten möchte, solange es geht. Seit drei Jahrzehnten steht diese Frage im Raum, seit drei Jahrzehnten reden wir mit dem Land darüber. Es gab Gutachten, die die Frage beantworten sollten, die nicht veröffentlicht werden. Es gab einen Arbeitskreis in der Staatskanzlei, der eingefroren wurde. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Mitglieder des Koordinationsrats Religionsgemeinschaften sind. Nur gibt es keinen Mut, dieses in der politischen Debatte auszusprechen. Stattdessen versucht man Übergangslösungen zu verstetigen und eine Sonderbehandlung für Muslime zu rechtfertigen.

IslamiQ: Die Landesregierung sagt, dass ihr Übergangsmodell den verfassungsrechtlichen Anforderungen näherkommt, als das bisherige Übergangsmodell. Vor allem deshalb, weil in der vorgeschlagenen Kommission nun nicht mehr staatlich ernannte Personen sitzen würden, wie es im jetzigen Beirat der Fall ist. Das hatten Sie ja bis jetzt immer kritisiert. Kommt man so Ihren Vorstellungen nicht näher?

Soykan: Zunächst möchte ich anmerken, dass es mit den staatlichen Vertretern im Beirat keine theologischen Differenzen gab. Die Gefahr besteht beim Kommissionsmodell sehr wohl. Solange der Staat die Zusammensetzung bestimmt, ist der staatliche Einfluss weiterhin gegeben.

IslamiQ; In der Erklärung zum Gesetzesentwurf steht, dass man die gesamte Vielfalt der Muslime in NRW abbilden möchte. War das bis jetzt nicht der Fall?

Soykan: Die im Koordinationsrat der Muslime organisierten Religionsgemeinschaften betreuen ca. 2000 Moscheen von 2500. Immer mehr kommen dazu. Damit decken sie die Mehrheit des muslimischen Lebens ab. Außerdem ist der Beirat bzw. die Kommission nicht der richtige Ort, um Vielfalt abzubilden. Es geht um bekenntnisorientierten Unterricht, d. h. die Mitglieder müssen bekenntnisgleich sein. Vielfalt kann man in vielen anderen staatlichen Gremien abbilden, wie z. B. dem Gremium des Integrationsministeriums oder der Deutschen Islam Konferenz (DIK).

Das Interview führte Muhammed Suiçmez.

Leserkommentare

grege sagt:
soso, "Vielfalt" besitzt bei der Gestaltung und Organisation des Religionsunterrichts keine Bedeutung gemäß der Antwort von Fr. Soykan auf die letzte Frage in dem Interview. Gerade innerhalb der Schülerhaft spiegelt sich genau die Heterogenität von Religionen wieder, weil Schüler und derenunterschiedliche Herkunfte ein Abbild der Gesellschaft darstellen. Welchen Religionsunterricht sollen denn Muslime erhalten, die sich von den konservativen und extremismusnahen Islamverbänden nicht vertreten fühlen? Solange diese Islamverbände die Vielfalt ihrer eigenen Religion ausschließen und andersgesinnte Glaubensanhänger ihrer eigenen Religion verleugnen, sollten staatlichene Behörden zu diesen "Wichtigtuern" auf Distanz gehen.
22.06.19
14:45
Abdellah sagt:
Immer diesen Mär vom bösen Muslim wenn er tatsächlich seinen Glauben praktiziert. Wenn er Alkohol trinkt, gerne auch heimlich seine Frau betrügt und sonst nur zu zwei Feiertagen im Jahr seinen Glauben wieder entdeckt dann fühlt sich Michel gut. Denn einerseits erscheint ihm dieser nicht besser als einem selbst und man kann sich einreden wie tolerant man gegenüber so einem selbstgebastelten Muslim ist. Sollte dieser trotzdem böse Dinge machen, dann kann mann noch immer sagen das war der böse Muslim. Ganz offen gesagt einen islamischen Unterricht, der, wie oben erwähnt, den Michel zufriedenstellt hilft Niemanden. Denn letztendlich muss er die Akzeptanz der Bürger mit muslimischen Hintergrund genießen. Einerseits beäugt man den Unterricht in den Moscheegemeinden, die durch viel ehrenamtlichen Einsatz, die Lücke füllt die der Staat sträflich hinterlässt, andererseits bietet man selber keine an. Der ehrenamtliche Einsatz ist zugegeben nicht immer professionell - Allerdings das Agieren der Landesregierungen sind in diesem Punkt nicht minder unprofessionell. Als wir unser Kind einschulten und bemerkten dass es bis heute, nach über 50Jahre islamischen Lebens, keinen islamischen Unterricht angeboten wird waren wir doch sehr verwundert. Man kann meinen, dass das eine Verhinderungstaktik ist oder man bis heute ein gesundes Mistrauen pflegt. Ziehen von Parallelen zu dem Verhalten der Sicherheitsbehörden zu den sogenannten „Döner-Morde“ hier unvermeidlich. Zum Schluss muss ich sagen - es ist gut dass hier auch andere Meinungen willkommen sind. Manche empfinde ich als falsch oder nicht den Tatsachen entsprechend. Allerdings, ..jedem das Seine. So muss kein Kind an einem Religionsunterricht jedweder Couleur teilnehmen. Aber wenn einer angeboten wird, dann sollte dieser authentisch dem Bekenntnis nach unterrichtet werden. Alles andere ist Etikettenschwindel - Da hilft keine Zutatenliste - in Form von 30% Meinung/Wunsch des Ministerpräsidenten, 20% kritische Nichtmuslime, 20% Salafisten, 20% Michel u.s.w. Der Unterricht sollte nach der anerkannte islamischen Wissenschaft der vier Rechtsschulen gehen und selbstverständlich im Rahmen der deutschen Rechtsordnung bewegen. Das ist möglich und braucht keine 50Jahre.
23.06.19
22:05
Dilaver Çelik sagt:
"Der Unterricht sollte nach der anerkannte islamischen Wissenschaft der vier Rechtsschulen gehen und selbstverständlich im Rahmen der deutschen Rechtsordnung bewegen. Das ist möglich und braucht keine 50Jahre." Sehr gut auf den Punkt gebracht. Danke dafür.
24.06.19
18:57
Ute Fabel sagt:
"Der Unterricht sollte nach der anerkannten islamischen Wissenschaft der vier Rechtsschulen gehen" Religion ist eine Form des Aberglaubens. Die Existenz und der angebliche Wille Allahs ist daher der Wissenschaft ebenso wenig zugänglich wie Richtigkeit von Horoskopen in der Astrologie. Was wissenschaftlich untersucht werden kann, ist, wie und unter welchen historischen Einflüssen sich Religionen entwickelt und verändert haben. Für alle Schüler sollte es daher ein konfessionsübergreifendes Unterrichtsfach "Ethik und Religionskunde" geben. Das würde verbinden und zum Nachdenken anregen, währen der konfessionelle Religionsunterricht spaltet, für den in Wahrheit nur Machtinteressen religiöser Gruppierungen und nicht das Wohl von Kindern und Jugendlichen sprechen.
26.06.19
13:43
R2D2 sagt:
Wenn ich merke, mein Kind interessiert sich stark für xy, dann guck ich, was es für AG (Arbeitsgemeinschaften) oder Hobbyvereine es in der Gegend gibt, wo soetwas angeboten wird. Und erwarte nicht von der Schule, dass sie alles erbringt. Reiten wird nicht angeboten - verdammt ^^ Dann helfen auch Bücher im Regal, an denen Kinder sich selber bedienen können. So sind sie jedenfalls frei, sich selber ihrem Bedürnis nach zu bilden. Schule indoktriniert und starre Rel.Gemeinschaften indoktrinieren. Ist eine Sache stark genug, wird es sich durchsetzen, aber die Kinder sind frei. Es geht nur darum, etwas anzubieten. Die Kompetenz haben - und sollten sie haben - die Kinder.
27.06.19
11:59
Johannes Disch sagt:
Das Problem liegt nicht bei der Regierung in NRW. Das Problem liegt bei den islamischen Verbänden, die zusammenarbeiten sollen, sich zum Teil aber gegenseitig nicht anerkennen. Die Mitgliedschaft der DITIB im Arbeitskreis "IRU" ("Islamischer Religionsunterricht") ruht wegen ihrer Nähe zur türkischen Regierung. Es muss sichergestellt sein, dass keine ausländische Regierung in den Unterricht reinregiert. Bildung ist in Deutschland Ländersache. Und die Länder haben das Recht, bei Bildungsinhalten mitzubestimmen. Das gilt auch für das Fach Religion. Es liegt also keineswegs ein illegitimer Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht vor. Das Problem sind-- mal wieder-- die islamischen Verbände. Richtschnur für islamischen Religionsunterricht sind nicht die 4 großen sunnitischen Rechtsschulen. Richtschnur dafür ist unsere Verfassung! Es muss sichergestellt sein, dass ein künftiger islamischer Religionsunterricht einen liberalen Islam lehrt bzw. die Pluralität der islamischen Religion abbildet und nicht einseitig einen konservativen oder gar politischen Islam propagiert.
01.07.19
9:19
grege sagt:
@ Herr Disch Ihren Ausführungen kann man nur zustimmen. Leider Gottes sind auf Seiten der Landespolitik haarsträubende Fehler gemacht worden. In Niedersachsen und in Hamburg haben sich betreffende Moscheegemeinden und Islamvereine zur Schura zusammengeschlossen, darunter das "Islamische Zentrum Hamburg" sowie der "Islamische Weg". Beide Organisationen sind Sprachrohr der iranischen Mullahdiktatur. Wie kann es sein, dass die Politik solche Moscheegemeinden akzeptiert als Ansprechpartner für die Gestaltung des Religionsunterrichtes??? Nebenei sei natürlich angemerkt, dass solche Zusammenschlüsse natürlich zusätzlich das Vertrauen in die konsverativ geprägten Islamverbände erschüttert.
01.07.19
20:17
Johannes Disch sagt:
@grege Ich gebe Ihnen völlig recht. Die deutsche Politik tut sich nach wie vor schwer und macht haarsträubende Fehler. Und wie Sie richtig sagen, gibt es gewisse Organisationen, die dem iranischen Mullah-Regime nahestehen. Da kann man nur den Kopf schütteln, dass die deutsche Politik solche Organisationen als Ansprechpartner akzeptiert. Es geht aber noch absurder. Diese Organisationen bekommen noch immer jährlich Millionenbeträge für "Integrationsprojekte." Die DITIB hat kürzlich in Köln eine eigene "Islamkonferenz" veranstaltet, bei der international bekannte Islamisten geladen waren.
03.07.19
11:24
Onelove sagt:
Der Plakatspruch "Müssen über Hass sprechen", hat mich berührt. Denn ich selbst kann den von beiden Lagern ausgehenden Hass nur schwer ertragen. Der Plakatspruch hat mir Mut gemacht, dass sich die Stimmung in diesem Land doch noch verändern kann. Sprich, dass wir es schaffen, Verständnis für einander zu entwickeln, indem wir offen und respektvoll über unsere insgeheimen Ressintements sprechen, welche auf beiden Seiten bestehen. Ich dachte, es ginge hier darum "über Hass" zu sprechen und nicht darum "hasserfüllt" zu sprechen. Ich sehe Religionsunterricht an Schulen im allgemeinen sehr kritisch und befürworte vehement einen alle Kinder und Jugendliche vereinenden Ethikunterricht, der es möglich macht, dass man sich untereinander austauscht und eine echte und nicht nur aufgesetzte Toleranz entwickelt. Einige der Kommenare haben mich sehr enttäuscht, denn ich empfinde sie als emotional, unreflektiert, beleidigend und herablassend und demnach respektlos. Ich selbst bin weder Moslem/Moslimin, noch Christ/in. Aber ich fühle mit diesen Menschen dennoch mit, wenn mit/von Ihnen auf derartige Weise gesprochen wird. Sie dürfen alle denken, was Sie wollen und es ist wichtig, dass Sie sich mitteilen und wir somit darüber sprechen können. Aber ich finde, man sollte in der Lage sein, seine Kritik auf eine respektvolle Weise anzubringen. Es lohnt sich, den eigenen Kommentar nochmal durchzulesen, bevor man ihn veröffentlicht. Man sollte sich, meiner Meinung nach, bewusst machen, dass die eigene Meinung immer nur eine Meinung unter vielen und somit nicht in Stein gemeißelt ist.
11.07.19
11:12
Johannes Disch sagt:
Der letzte Satz von Frau Soykan ist tatsächlich entlarvend. Von wegen, es ginge um "bekenntnisorientierten Unterricht." Vielfalt ist für Frau Soykan offenbar zweitrangig. Sie will eine "Bekenntnisgleichheit" der Schüler. "Bekenntnisgleichheit" ist gewährleistet dadurch, dass wohl alle Schüler/innen, die am Islamunterricht teilnehmen, Muslime sein dürften. Aber das war es dann auch schon mit der "Bekenntnisgleichheit." Ansonsten muss die Vermittlung der Vielfalt des Islam gewährleistet sein. Das will Frau Soykan offenbar nicht. Es drängt sich der Eindruck auf, hier soll eine bestimmte Lesart des Islam vermittelt werden. Kein Wunder, dass die Zusammenarbeit schleppend verläuft und man muslimische Verbände und deren Vertreter immer mehr als Bremser wahrnimmt, die jegliche Kooperation und jeglichen Kompromiß mit dem fadenscheinigen Hinweis auf einen angeblich Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht verweigern.
12.07.19
12:54
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