Der sogenannte „politische Islam“ taucht immer öfter in den Islamdebatten auf. Doch was genau ist dieser „politische Islam“? IslamiQ-Chefredakteur Ali Mete kommentiert den neuen Kampfbegriff.
Ein Kampfbegriff ist im Anmarsch. Nach „Fundamentalismus“, „Radikalismus“, „Extremismus“, „Islamismus“, „Salafismus“ und „Dschihadismus“ folgt nun: der „politische Islam“. Der Begriff taucht langsam wieder in Zeitungen und wenigen populären Buchtiteln auf. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung fehlt bislang.
Das erinnert an die Zeit als man aus einem vermeintlich sicherheitspolitischen Kalkül heraus den Begriff „Salafismus“ kreierte, ohne über absehbare Assoziationen nachzudenken. Wie beim „Salafismus“ kommt diese Reflexion vermutlich erst dann, wenn die heiße Phase der Diskussion vorbei ist. Nämlich dann, wenn alle möglichen Forderungen nach Eindämmung, Bekämpfung und Prävention des „politischen Islam“ gestellt und Maßnahmen auf den Weg gebracht worden sind. Danach kann man sich in Ruhe darüber unterhalten, was das denn ist, dieser „politische Islam“.
Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls nach der Lektüre des Sammelbandes „Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland“. Dessen Herausgeber, Carsten Linnemann (CDU) und Winfried Bausback (CSU), sind übrigens ausgerechnet zwei Politiker, in deren Parteien die Religion schon im Namen steckt. Das Buch ist aufschlussreich für die Beschäftigung mit dem Thema, da es sprachlich und inhaltlich so ziemlich alles enthält, was in den Diskussionen über den „politischen Islam“ und verwandte Themen immer wieder auftaucht.
Die Logik des Buches ist schnell ausgemacht und lässt sich in fünf Thesen wiedergeben, die meiner Meinung nach wesentlich für die versammelten Aufsätze sind:
Außen vor lasse ich die
Das verwundert bei vielen der Autoren nicht wirklich, ist aber in der thematisch vielfältigen und sprachlichen Wucht recht markant. Es wird quasi kein gutes Haar an Islam und Muslimen gelassen. Schon der erste Aufsatz des Politikwissenschaftlers Ruud Koopmans mit dem Titel „Gehört der real existierende Islam zu Deutschland?“ (S. 11) macht das deutlich. Koopmans findet bei jeder islamischen Gemeinschaft in Deutschland durchweg nur Probleme, so wie er auch in der islamischen Welt nichts Gutes erkennen kann. Lediglich ein „hohes Maß an Reformarbeit in den eigenen Reihen“ könne Abhilfe schaffen, damit niemand mehr „unter dem real existierenden Islam leiden“ (S. 23) müsse.
Dem schließt sich der Politikwissenschaftler und ausgediente Islamkritiker Bassam Tibi an, der vor langer Zeit den überholten und ausdiskutierten Begriff des „Euro-Islam“ geprägt hat. Ihm zufolge stehe jede Form des „politischen Islam“ der Integration im Weg. Nur wenn er im Sinne eines ‚säkularen Islams‘ europäisiert und reformiert werde, könne von Integration gesprochen werden (S. 41).
Während dem Islamwissenschaftler und LKA-Mitarbeiter Marwan Abou-Taam zufolge die Muslime „für die freie Gesellschaft gewonnen werden“ (S. 60) müssten, was vermutlich nicht nur in meinen Ohren ziemlich anmaßend klingt, nennt Düzen Tekkal die „Verbände“ im selben Atemzug mit dem „IS“. Denn „wir“ hätten die „Zukunft deutscher Muslime in die Hände dieser Verbände gelegt“, in denen „immer wieder (…) junge Menschen zu IS-Kämpfern radikalisiert“ worden seien (S. 173).
Das eigentlich Unerträgliche ist die ständige Assoziation von allem Muslimischem mit so vielen schlechten Dingen, die ich hier nicht aufzählen möchte. Da hilft es auch nicht, wenn man nebenbei mal anmerkt, dass natürlich nicht alle, sondern nur die ‚bösen Muslime‘ gemeint seien. Nicht nur dem aufmerksamen Leser wird recht schnell klar, dass es hier um mehr geht als nur einige wenige Personen muslimischen Glaubens, die sich daneben benommen haben oder sogar straffällig geworden sind. So platt das auch klingen mag, ist die Botschaft: Das Problem ist der Islam, sind die Muslime.
Wer so denkt, wird das in seiner Sprache nicht verbergen können. Immer wenn in den verschiedenen Aufsätzen von der Grundordnung, Werten und Gesetzen gesprochen wird, sind es „unsere“, denen sich die Muslime und Migranten, die „zu uns gekommen sind“ und bei „uns“ leben möchten, anzupassen haben. Damit wird Muslimen pauschal die Rechtstreue abgesagt, so als würden Muslime und Migranten nicht zu dem „Wir“ gehören und müssten ständig daran erinnert werden, sich an Recht und Ordnung zu halten.
Es wird unmissverständlich deutlich, dass Muslime, auch wenn sie seit Jahrzehnten in Deutschland leben, immer die „Mitbürger aus anderen Kulturen und mit anderen religiösen Überzeugungen“ (S. 223) sind. Sie sind Fremde, weil ihre ‚Kultur‘ ‚unserer‘ widerspricht, wie Linnemann meint. Ein solches Wir-ihr-Denken lässt die Kritik von Linnemann (S. 229) und anderen Autoren des Bandes an dem Schwarz-Weiß-Weltbild der Radikalen nicht gerade glaubwürdig erscheinen.
Für Linnemann und die meisten anderen Autoren des Buches ist Migration eine potenzielle Gefahr, „die zu Konflikten führen kann“, vor allem dann „wenn die kulturellen Unterschiede zwischen Einwanderern und Einheimischen besonders groß sind“ (S. 224). Es führt also kein Weg daran vorbei: „Es kann nur eine Rechts- und Werteordnung geben: die unsrige.“ (S. 224).
Glaubt Linnemann wirklich, dass Muslime und Geflüchtete eine ernsthafte Bedrohung für die Grundordnung darstellen? Oder sollte er sich nicht viel mehr Sorgen um die Rechten in den Parlamenten machen, die tatsächlich die Möglichkeit und auch den erklärten Willen haben, grundrechtliche Freiheiten einzuschränken oder sogar aufzuheben. Aber das fordert Linnemann in einigen Bereichen ja auch!?
Die meisten Autoren des Sammelbandes sprechen sich für (am besten gesetzliche) Verbote und Sanktionen aus. Winfried Bausback möchte, dass bei der Strafbemessung der religiöse/kulturelle Hintergrund keine Rolle spielt (S. 63ff.). Dabei ist der persönliche Hintergrund bei der Strafbemessung von Bedeutung. Wie er hier geltende Rechtspraxis aufheben möchte, ist unklar.
Ferner fordert er ein Verbot von „Kinderehen“, Polygamie und Vollverschleierung. Zudem sollen muslimische Richterinnen keine religiösen Symbole (z. B. ein Kopftuch) tragen (S. 65ff.), so wie es natürlich Bayern und andere europäische Länder vorgemacht haben. Diese Forderungen sind nicht neu. Aber auch die Erkenntnisse und Argumente, vor allem die Tatsache, dass es sich hierbei um Symbolpolitik handelt und nicht ein akut existierendes ‚Problem‘ ist bekannt. Denn der Andrang muslimischer Juristinnen an die Gerichte oder der massenhafte Burka-Trend sind bisher ausgeblieben. Und wenn irgendein Land wegen „Kinderehen“ kritisiert werden sollte, dann am ehesten die USA, wo zwischen 2000 und 2010 rund 248.000 Kinder verheiratet wurden.
Den zuvor genannten Forderungen Bausbacks folgend erklärt Linnemann, nachdem er ein äußerst verstörendes und verzerrtes Bild gezeichnet hat (S. 238), dass Kopftücher an Grundschulen verboten sein sollten. Genauso wie Bausback nennt er aber weder irgendwelche Zahlen noch Studien, die diese Forderung untermauern, ja irgendwie relevant machen könnten. Ohne diese sind solche Forderungen nichts anderes als Populismus. Dadurch wird nicht den ‚armen Mädchen‘ geholfen, sondern ihren Gegnern, den Rechten.
Dasselbe gilt für die Forderung in Bezug auf fastende Grundschulinder. Hierzu gibt es, wenn überhaupt, vereinzelte Meldungen. Eine religiöse Pflicht zum Fasten besteht für diese Altersgruppe ohnehin nicht, aber eine kindgerechte Annäherung ist durchaus üblich. Nüchterne Feststellungen, die Linnemann anscheinend anders einordnet, wenn er in polemischem Ton von „Problemen mit Grundschülern“ schreibt, „die im Ramadan strikt fasten und damit mehr Ehrgeiz im Erlernen religiöser Riten als im Erlernen von Lesen, Schreiben und Rechnen an den Tag legen.“ (S. 241).
Kelek meint etwa, das Kopftuch könne nicht mit Kreuz oder Kippa verglichen werden, denn – aufgepasst – das Kreuz stünde für Glauben und Demut vor Gott, das Kopftuch aber Respekt und Achtung gegenüber dem Mann (S. 95). Eine aus vielerlei Sicht sehr fragwürdige These, was Kelek aber nicht daran hindert, basierend auf dieser Logik ein Kopftuchverbot an Schulen zu fordern (S. 101).
Obwohl Sascha Adamek im Kapitel über Geld aus dem Ausland für Moscheen sich bewusst ist, dass seine Forderungen „viele verfassungsrechtliche Probleme“ (S. 81) aufwerfen, hält ihn das nicht davon ab, zu fordern, dass das Steuergeheimnis für alle Vereine, oder zumindest weltanschauliche und religiöse Vereine aufgehoben wird (S. 82f.) und Grundbucheinträge immer – und ohne Anlass – mit internationalen Terrorlisten abzugleichen (S. 88).
Der „politische Islam“ als ein Kampfbegriff wird uns noch beschäftigen. Weitere Publikationen und Veranstaltungen sind angekündigt. Wir werden sehen, ob der „politische Islam“ tatsächlich einer sinnvollen, da realen Einordnung dienen wird oder zur Dämonisierung und Kriminalisierung „des Islams“. Momentan scheint es eher so zu sein, dass der Begriff dazu verwendet wird, um jene auszugrenzen, die man mit „Islamismus“ und auch „Salafismus“ nicht packen konnte, wie z. B. die DITIB, aber auch andere. Von daher ist es angenehmer, ihn möglichst undefiniert zu lassen, um den Rahmen weit zu halten.
Wir werden auch sehen, ob der „politische Islam“ ein Totschlagargument wird, das letzten Endes jegliches politisches Engagement, das auch religiös begründet sein kann, aber nicht muss, in eine zwielichtige, gefährliche Ecke rückt. Politische Betätigung von Muslimen, sagen wir Wählen-Gehen, aber auch jede politische Positionierung kann schnell als Teil der ‚Agenda des politischen Islam‘ gedeutet werden. Und wenn man sich nicht an den Wahlen beteiligt, liegt der Verdacht nahe, man würde die ‚Grundordnung‘ missachten oder zumindest nicht voll hinter ihr stehen. Diesem Spannungsverhältnis zu entkommen ist nicht leicht.
Im Grund fasst Necla Kelek die Meinungen und Methode der Akteure mit folgenden Satz gut zusammen: „Eine lebendige Religion passt sich an oder muss zu ihrem Glück gezwungen werden“ (S. 100).