Religiöse Toleranz ist laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung in Deutschland weit verbreitet – nur der Islam wird nicht mit einbezogen.
Das Ergebnis einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung ist auf den ersten Blick erschreckend: Die Hälfte der Deutschen empfindet den Islam als Bedrohung. Ist damit das gesellschaftliche Zusammenleben in Gefahr? Gerät die im Grundgesetz verankerte religiöse und weltanschauliche Pluralität ins Wanken? Nein – sagt die von dem Leipziger Religionssoziologen Gert Pickel verfasste Studie und mahnt zu einem differenzierten Blick auf gesellschaftliche und religiöse Entwicklungen.
Die Bertelsmann Stiftung nimmt den 70. Geburtstag des Grundgesetzes zum Anlass, das Zusammenspiel von Religion, religiös-weltanschaulichem Pluralismus und politischer Kultur in der Demokratie in Deutschland – und auch in einigen Nachbarländern – näher zu analysieren. Der Studie „Weltanschauliche Vielfalt und Demokratie“ liegen zum einen die Daten des letzten Religionsmonitors der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2017 zugrunde. Zum anderen wurden in einer Nacherhebung in diesem Jahr rund 1.000 Deutsche repräsentativ befragt.
Ein erstes Ergebnis: Die Deutschen – egal ob religiös oder nicht – sind mehrheitlich davon überzeugt, dass die Demokratie eine gute Regierungsform ist. Laut der Studie sprechen sich 89 Prozent der deutschen Bevölkerung für die Demokratie aus. Unter den Christen liegt der Anteil bei 93 Prozent der Befragten, unter Muslimen bei 91 Prozent und unter Konfessionslosen bei 83 Prozent.
Bei der Anerkennung religiöser Vielfalt attestiert die Untersuchung allerdings Nachholbedarf: Grundsätzlich sind 87 Prozent der Befragten offen gegenüber anderen Weltanschauungen. Etwa 70 Prozent sprechen anderen Religionen auch einen Wahrheitsgehalt zu. Doch nur knapp jeder Zweite in Deutschland meint, dass religiöse Pluralität die Gesellschaft bereichert. Mit Blick auf den Islam sinkt dieser Anteil noch einmal: Nur ein Drittel der Bevölkerung betrachtet den Islam als Bereicherung. Christentum, Judentum, Hinduismus und Buddhismus werden hingegen von einer Mehrheit als bereichernd empfunden. Insgesamt empfindet sogar rund die Hälfte der Befragten den Islam als Bedrohung.
Skepsis gegenüber dem Islam bedeute aber noch keine Islamfeindlichkeit, betont die Religionsexpertin der Bertelsmann Stiftung, Yasemin El-Menouar. Nur eine Minderheit der Bürger zeige eine deutlich islamfeindliche Sicht und fordere etwa, die Zuwanderung von Muslimen zu unterbinden. Der Anteil von Menschen mit einer islamfeindlichen Einstellung ist im Verlauf der vergangenen Jahre insgesamt gesunken: Betrug er 2017 in Deutschland noch 20 Prozent, liegt er 2019 bei nur noch 13 Prozent. Zugleich sinkt die Zustimmung zur Demokratie unter Personen mit einer klar islamfeindlichen Haltung auf einen Anteil von 68 Prozent – und liegt damit mehr als 20 Prozentpunkte niedriger als in der Gesamtbevölkerung.
Wichtigstes Fazit laut El-Menouar: „Religiöse Vielfalt allein ist nichts, was eine stabile Demokratie gefährden könnte.“ Die eigentliche Gefahr seien vielmehr religiöser Dogmatismus und geschlossene Weltbilder. „Diese Gefahrenquellen sind in Deutschland relativ schwach ausgeprägt.“
Die verbreitete Islamskepsis gibt ihr dennoch Grund zur Sorge: „Bestehende Vorbehalte bieten rechtspopulistischen Gruppierungen und Parteien Anknüpfungspunkte“, so El-Menouar. Eine Ursache für das vorherrschende Bild des Islams sieht El-Menouar übrigens in den gesellschaftlichen Debatten und Medienberichten der vergangenen Jahre, die den Islam ihrer Ansicht nach häufig in einen negativen und kritischen Zusammenhang rücken.
Dies beklagte auch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek. „Mir fehlt in der Politik der sensible Umgang mit antimuslimischen Argumenten im öffentlichen Diskurs“, sagte er der Katholische Nachrichten-Agentur (KNA). Er kritisierte eine häufige „Monokausalität“. Vorfälle sollten nicht nur religiös zugeordnet werden, sondern auch beispielweise im sozialen Kontext gesehen werden. Auch Vertreter der anderen islamischen Religionsgemeinschaften prangern regelmäßig die steigende Islamfeindlichkeit an. Zuletzt nach den häufigen Bombendrohungen gegen Moscheen.
Ein weiteres Ergebnis der Studie lautet, dass Menschen, die regelmäßig Kontakt zu Angehörigen anderer Religionen haben, religiöse Vielfalt und den Islam seltener als Bedrohung empfinden. „Genau an diesem Punkt können Praxisprojekte ansetzen und den Austausch und die persönliche Begegnung gezielt fördern“, so El-Menouar. (KNA – Michael Althaus -, iQ)