Nachgefragt

Feindbild Islam – Über die Salonfähigkeit von Rassismus

Autoren schreiben hunderte Seiten. Doch was passiert, wenn sie ihr Buch auf seine Essenz herunterbrechen müssen? Unsere Serie „Nachgefragt“ liefert Antworten. Heute Farid Hafez und sein Buch „Feindbild Islam“.

29
08
2019
Feindbild Islam - Farid Hafez
Feindbild Islam - Farid Hafez

IslamiQ: Herr Hafez, wem würden Sie ihr Buch „Feindbild Islam“ gerne schenken und warum?

Farid Hafez: Allen Menschen, die selbstständig denken und bereit sind, sich selbst und scheinbare Gewissheiten zu überdenken. Sowie Menschen, die vielleicht in einem zweiten Schritt sich selbst und die Welt sowie ihre Rolle darin neu zu denken wagen würden.

IslamiQ: Warum ist die Thematik Ihres Buches im Lichte aktueller Debatten wichtig?

Farid Hafez
Feindbild Islam – Über die Salonfähigkeit von Rassismus
153 Seiten
ISBN: 978-3-205-20783-2
Böhlau Verlag Wien
August 2019

Hafez: Der antimuslimische Rassismus ist derzeit aus meiner Sicht eine gesellschaftsprägende und treibende Kraft auf globaler Ebene, von der kalifornischen Westküste über Myanmar und Indien bis nach Australien oder Neuseeland. Bedeutungen und Relevanz sowie Funktion dieses Rassismus herauszuarbeiten scheint mir vor diesem Hintergrund sehr wichtig, weil manchmal mehr Verwirrung statt Klarheit besteht. Hier möchte ich etwas Abhilfe leisten.

IslamiQ: „Beim Lesen guter Bücher wächst die Seele empor.“ Warum trifft dieses Zitat von Voltaire auf Ihr Buch zu?

Hafez: Ich freue mich, wenn mein Buch dem einen oder anderen Einsichten schenkt, Fragen aufwerfen lässt und damit insgesamt ein kritisches Bewusstsein fördert.

IslamiQ: Ihr Buch „Feindbild Islam“ in drei Wörtern zusammengefasst?

Hafez: Islamophobie global verstehen.

IslamiQ: Eine spezielle Frage für Sie: Islamfeindliches Denken prägt zunehmend unsere Gesellschaft. Wie schätzen Sie zukünftige Entwicklungen ein? Und Wie kann man diesem Trend entgegenwirken?

Hafez: Dass rassistisches Denken im Zuge spezieller politischer Konstellationen wieder salonfähiger wird, ist eine Seite der Medaille. Die andere, genauso gefährliche, aber weniger offensichtliche ist die strukturelle Dimension von Rassismus, die unsere globalen Gesellschaften strukturiert. Das Offensichtliche aber erlaubt die Legitimation offensichtlicher Diskriminierung und trägt damit zur Erodierung der Idee bei, wonach alle Menschen gleich sind. In totalitären und autoritären Regimen sehen wir bereits, zu welchem Ausmaß von Unterdrückung dies führt. In westlichen Demokratien gibt es noch am ehesten die Möglichkeiten, diesen Trends entgegenzuwirken.

Es bedarf einer breiten Koalition aller gesellschaftlichen Kräfte, welche ökonomische Ausbeutung, ökologische Zerstörung, politische Marginalisierung sowie Rassismus als Querschnittsmaterie betrachten und damit das Patriarchat, Klasse und Rasse gemeinsam denken können, um darauf aufbauend auch zu handeln.

 

 

 

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (09.11., 7:03) -- "Nett, aber intellektuell unredlich!" (Ute Fabel über Koranexegese). Na, dann bestimmen wohl Sie, was die richtige Auslegung einer Koransaure ist. Das ist dann wohl intellektuell redlich.... Koran-Exegese ist keineswegs nur Auslegung bzw. willkürliche Auslegung. Es geht dabei auch um harte Fakten: Wann ist eine Sure entstanden? Vor welchem historischen, politischen und sozio-kulturellem Hintergrund. So gibt es beispielsweise einen entscheidenden Unterschied zwischen mekkanischen und medinensischen Suren. Das ist die gröbste Unterscheidung. Es gibt noch viele andere und feinere Differenzierungen. Wie stehen gewisse Suren untereinander in Beziehung? Wie erklären sich widersprüchliche Aussagen? Etc.
12.11.19
23:05
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (09.11.19, 7:03) Lesen Sie sich einfach mal aufmerksam den ausführlichen Beitrag von "Tarik" durch (02.11.19, 13:23, hier auf Seite 5). Das ist eine gute erste Einführung in eine ernsthafte Beschäftigung mit der islamischen Theologie und Philosophie. Zur wirklich seriösen Beschäftigung mit dem Koran gehört ein bisschen mehr als nur wahllos einige Suren aneinander zu reihen.
13.11.19
9:11
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (09.11.19, 7:03) --- ".... eigene Ethik...die tatsächlich durch die aufgeklärt-säkularen Fortschritte gesellschaftlicher Wertvorstellungen geprägt wurde." (Ute Fabel). Auch das ist nicht exakt. Unsere westliche Kultur beruht zu großen Teilen auf dem Christentum. Die modernen religiösen Begriffe und Institutionen sind "säkularisiertes Christentum", wie es der Kulturwissenschaftler Jan Assmanns mal treffend auf den Punkt brachte. Ohne Religion ist unsere Kultur und Geschichte nicht denkbar. Religion war der erste Versuch des Menschen, sich die Welt zu erklären und ihr Sinn zu geben. Um eine Religion zu verstehen, reicht es nicht, sich einige Stellen aus dem Basistext herauszusuchen. Religion ist mehr. Religion als "kulturelles System" (Max Weber). "Religion als "soziale Tatsache" (Emile Durkheim). Womit wir bei der Religionssoziologie wären und zweien ihrer prominentesten Vertreter. Religion wird durch die sozio-kulturellen und politischen Umstände geprägt und auch verändert, wirkt aber ebenso auf die Gesellschaft ein. Es ist eine interdependente Beziehung. Es reicht auch nicht, sich auf den Basistext zu konzentrieren. Natürlich ist und bleibt der Koran-- um beim Islam zu bleiben, denn dies hier ist ein islamisches Forum-- der wichtigste Text. Aber wie er zu verstehen ist, darüber streiten Laien und Gelehrte nun bereits seit Jahrhunderten. Die endgültige und unwiderrufliche Deutung des Koran hat niemand. Deshalb steht auch über jeder Koranausgabe "Die ungefähre Bedeutung des Koran." Von wegen, man würde "etwas herauslesen, was nicht drinsteht." (Ute Fabel). Aber Sie, Ute Fabel, was drinsteht und was nicht drinsteht! Eine unglaubliche Anmaßung! Um sich nein einigermaßen umfassendes Bild von dieser Religion zu machen bedarf es etwas mehr, als nur selektiv einige Suren aneinanderzureihen. Man wissen, wie der Koran aufgebaut ist. Wie er entstanden ist und vieles mehr. Man kann nicht einfach den Koran aufschlagen und ihn wörtlich nehmen. Das ist genau die banale Lesart, die islamistische Terroristen an den Text anlegen und damit diese vielfältige Religion und Zivilisation seit einigen Jahren in Verruf bringen. Was diese Islamisten betreiben, das ist eine ungeheure Vulgarisierung einer vielfältigen Religion. Aber man kann es nicht alleine beim Koran belassen. Für ein einigermaßen umfassendes Bild braucht es Kenntnisse der Hadithe (Mitteilungen über Handlungen und Sprüche des Propheten), Kenntnisse der "Sira" (Prophetenbiografie), Kenntnisse der "Sunna" (Bräuche, Handlungsweisen und einige andere Bedeutungen, die dieser für sunnitische Muslime so wichtige Begriff noch hat. Aber das würde jetzt den Rahmen sprengen. Übrigens sind über 90% der Muslime Sunniten. Bei den Schiiten liegen die Dinge wieder anders. Sie sehen, "Den Islam" gibt es nicht). Dazu kommen die unterschiedlichen Rechtsschulen, vor allem die 4 großen sunnitischen Rechtsschulen (Schafiiten, Hanafiten, Malikiten, Hanbaliten). Sie alle beziehen sich auf denselben Text-- den Koran-- kommen aber häufig zu völlig unterschiedlichen Schlussfolgerungen und einer daraus folgenden Praxis. Sie sehen, sich einfach einige Suren rauszusuchen und die hintereinander zu reihen, erklärt nicht viel! Ach, nicht zu vergessen die vielfältige islamische Theologie und Philosophie (Ibn Sina, Ibn Rushd, Ibn Khaldoun, um nur 3 der wichtigsten zu nennen). Und nicht zu vergessen die islamische Mystik, den Sufismus. Das alles ist Islam. Vielleicht greifen Sie mal zu einem kleinen, aber feinen Buch: "Den Islam denken. Versuch, eine Religion zu verstehen" von Frank Griffel (Reclam 2018, 97 Seiten, 6 Euro). Dann bekommen Sie vielleicht mal einen anderen Blick auf diese Religion. Daran hapert es nämlich vor allem bei Ihnen: verstehen zu wollen. Unvoreingenommen verstehen zu wollen. Stattdessen dominiert ihre chronische Abneigung gegen alles religiöse im allgemeinen und gegen den Islam im besonderen. Und diese Abneigung führt zu selektivem Zitieren und verhindert Erkenntnisfortschritt.
13.11.19
14:35
Tarik sagt:
@ Johannes Disch Das sehe ich auch so, gelegentlich macht die Diskussion hier Spaß. Vor allem dann, wenn es Gesprächspartnern darum geht, etwas verstehen zu wollen, statt - wie andere - schlicht Ihr Programm durchziehen zu wollen. Ute Fabels verzweifelter Kampf gegen Religion an sich gleicht bsp. einem Kampf gegen des Menschen gegen sich selbst. Denn Religion gehört ebenso wie Dinge wie Lachen zu uns. Das sehen wir kontinenten- und kulturübergreifend deutlich. Mag sein, dass man als fundamentalistischer Atheist dies - also den Glauben an einen Schöpfer - als eine Art evolutionär bedingten Denkfehler des Menschen betrachtet. Es ist letztlich alles eine Frage des Blickwinkels. Der Versuch, Religion an sich mit Ideologien wie Kommunismus oder Faschismus zu vergleichen, zeugt von einer mangelnden Kenntnis von Ideengeschichte, und zwar von relevanten und wesentlichen Teilen (den Bereich der Anthropologie mal ganz außen vor gelassen). Gerne nennt FAbel Leute wie Leibniz oder Spinoza als leuchtendes Vorbild, vergisst jedoch, dass diese Denker wie auch die meisten führenden Köpfe der "Erleuchtung" ("Aufklärung" auf deutsch) an einen Schöpfer glaubten. Nur die wenigsten waren wirkliche Atheisten, die meisten entpuppten sich bei genauerer Betrachtung entweder als Deisten oder schlicht als Unitarier, die mit der Kirchenlehre schlicht nicht zu Rande kamen - das Problem heute ist, dass der sich daraus entwickelte Atheismus aus der Ablehnung gegen christliche Dogmen fußt. Dogmen, die von der Reformationsbewegung des 7. Jahrhundert, dem Islam, schon lange abgelehnt wurden (Dreieinigkeit, kirchliche Macht, Erbsünde, etc.) .
13.11.19
16:04
Tarik sagt:
Ohne Religion ist unsere Kultur und Geschichte nicht denkbar. Religion war der erste Versuch des Menschen, sich die Welt zu erklären und ihr Sinn zu geben.(Johannes Disch) Sehr Richtig. Lesenswert und ergänzent dazu ist John Grays "Seven Types of Atheisms". Ute Fabel ist offensichtlich eine Vertreterin jener aggressiv-religionsfreindlichen Strömung wie sie von der atheistisch-fundamentalistischen "Bright"-Bewegung postuliert wird. Hier gilt: Es gibt keinen Gott und John Dawkins ist sein Prophet. Die Basis für diese ARt des Atheismus beruht auf einer äußerst oberflächlichlen Befassung mit grundsätzlichen religionsphilosophischen Fragen. Tatsächlich sehen wir, dass es sich um Kritiker eines puritanischen Protestantismus aus dem Viktorianischen Zeitalters handelt. Also, sagen sich die Nachfahren dieser Denkrichtung, wieso das ganze nicht einfach auf den Islam ummünzen - den man noch weniger versteht und kennt, als das eigentliche Christentum. Viel Spaß bei den daraus resultierenden hanebüchenen Schlussfolgerungen, die bemerkenswerter Weise nur dort passen, wo wir es bei salafistischen Tendenzen zu tun haben. Nicht zufällig bezeichnet Angelika Neuwirth - Expertin in Sachen Koranforschung - genau jene Richtung auch als "Protestantisierung des Islams". Um es mit Tim Winters Worten sinngemäß übersetzt zu sagen: Die wahre Religion lehrt uns, bessere Menschen zu werden. Die Irrlehre sagt uns, dass dies bereits geschehen sei!
13.11.19
16:56
Ute Fabel sagt:
"Die wahre Religion lehrt uns, bessere Menschen zu werden." Ein besserer Mensch zu werden gelingt viel besser, wenn man sich mit verschiedenen philosophischen Strömen auseinandersetzt. Die Bibel und der Koran strotzen hingegen nur so vor einem alleinigen arroganten Wahrheitsanspruch und großer Abschätzigkeit gegenüber Andersgläubigen. Das ist wahrlich kein gutes Fundament, um ein besserer Mensch zu werden. "Religion war der erste Versuch des Menschen, sich die Welt zu erklären und ihr Sinn zu geben" Das mag zutreffen, im 21. Jahrhundert gibt es viel bessere Möglichkeiten. "Ohne Religion ist unsere Kultur und Geschichte nicht denkbar." Eine kulturelle Blüte fand in der Geschichte häufig gerade dann statt, wenn es den Menschen gelang, sich gegenüber religiösen Dogmen zu emanzipieren. Das trifft auf die italienische Renaissance genauso zu wie auf die kulturelle Blüte der Niederlande im 17. Jahrhundert.
19.11.19
13:42
Ute Fabel sagt:
@Johannes Disch: „Koran-Exegese ist keineswegs nur Auslegung bzw. willkürliche Auslegung. Es geht dabei auch um harte Fakten: Wann ist eine Sure entstanden? Vor welchem historischen, politischen und sozio-kulturellem Hintergrund.“ Gilt das für Sie auch für die Exegese des Buch Mormon, das Joseph Smith offenbart worden sein soll oder die Dianetik-Exegese der Scientology-Kirche. Oder diskriminieren Sie da zwischen den Religionen? Verhindert hier eine Abneigung vielleicht auch wichtigen Erkenntnisfortschritt? Oder sollte man sich doch besser überhaupt mit anderen interessanteren Büchern befassen als dem Koran, dem Buch Mornon oder Dianetik?
19.11.19
20:52
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (19.11.19, 20:52) -- Scientology gilt nur in den USA als Kirche/als Religionsgemeinschaft. -- Zum Buch Mormon: Natürlich kann man auch dieses einer Exegese unterziehen, genauso wie jeden anderen religiösen Basistext.
20.11.19
12:24
Tarik sagt:
"Ein besserer Mensch zu werden gelingt viel besser, wenn man sich mit verschiedenen philosophischen Strömen auseinandersetzt. Die Bibel und der Koran strotzen hingegen nur so vor einem alleinigen arroganten Wahrheitsanspruch und großer Abschätzigkeit gegenüber Andersgläubigen. Das ist wahrlich kein gutes Fundament, um ein besserer Mensch zu werden." (Zitat von Ute Fabel) Ich werde Ihnen meinen Satz erläuern, indem ich ihn leicht abwandele: "Der wahre Glaube lehrt uns, ein besserer Mensch zu werden, die Irrlehre sagt uns, dass dies bereits geschehen sei." Denken Sie über die Tragweite des Satzes nach, indem Sie "Glaube" und "Irrlehre" mit allen möglichen Ansichten zu ersetzen. Wenn Sie natürlich Glaube oder Religion mit "religiösen Dogmen" - die historisch lediglich mit europäischer Kirchenlehre zu tun haben, und nicht mit Religion(en) per se - gleichsetzen, können Sie nur zu irrigen Schlussfolgerungen gelangen. Die klingen zwar logisch, basieren jedoch auf falschen Annahmen. Und bedenken Sie auch die tatsächlichen historischen Fakten. Beispiel: In Frankreich revolutionierte man u.a. gegen einen geistigen Klerus und dessen Anteil an der Macht. [Anm.:Dasselbe kritisierte auch eine religiöse Reformationsbewegung im 7. Jahrhundert, nämlich der Islam, mit dem Ergebnis, dass es keinen Klerus gab, der Macht aussübte, sich an den Ärmeren bereicherte oder den Zugang zur "Wahrheit" lenkte - im Gegenteil, der Islam entwarf ein Gebetsprinzip, dass genau jene Mittlerrolle einer Priesterkaste abschaffte] Zurück zu Frankreich: Dort ersetzte man einfach ein religiöses Dogma durch ein anderes: Nämlihc den Glauben an a) lumières (Erleuchtung, auf deutsch bezeichnet man das als "Aufklärung") und b) la grande nation. Das heißt nichts anderes als der Glaube an ein erleuchtetes, überlegenes Volk, dass sich berufen fühlt, seine Ansichten in die Welt hinauszutragen. Mit Gewalt, versteht sich. Schon mal mit der blutigen französischen Kolonialgeschichte, die AUS DER "AUFKLÄRUNG" (lies: Erleuchtung) heraus sich entwickelte? Nur wer sich mit der europäischen Philosophiegeschiche GRÜNDLICH und TIEFGEHEND befasst, versteht auch, wieso der große Aufklärer und Demokrat Tocqueville das äußerst brutale und rücksichtslose Vorgehen der französischen Truppen gegen den Aufstand der Algerier unter Abdel Qadir u.a. durch die Taktik der verbrannten Erde rechtfertigte. Insofern unterstreiche ich nochmal: "Der wahre Glaube lehrt uns, bessere Menschen zu werden, während die Irrlehre uns sagt, dass dies bereits geschehen sei." Weiterhin schreiben Sie: "Eine kulturelle Blüte fand in der Geschichte häufig gerade dann statt, wenn es den Menschen gelang, sich gegenüber religiösen Dogmen zu emanzipieren. Das trifft auf die italienische Renaissance genauso zu wie auf die kulturelle Blüte der Niederlande im 17. Jahrhundert." Auch hier sind zwei Dinge auffällig. 1) Sie kennen europäische Ideen- und PHilosophiegeschichte anscheinend nur oberflächlich (und eurozentrisch) und 2) Sie setzen "Religion" mit "Kirchengeschichte" gleich. Es trifft zu, dass die Abschaffung aus einengenden kirchlichen Dogmen und Lehren einen auch kreativen Befreiungsprozess zur Folge hatte. Aber es ist ebenso zutreffend, dass anhand von weiteren Beispielen von kulturellen Blüten (Bagdad, Andalusien, das alte Indien) wir sehen, dass es auch ganz andere Triebfedern und Gründe gibt, wieso es zu solchen Hochphasen kommt. It's the economy, stupid - um einen Wahlslogan fremdzuzitieren. Geld ist das Schmiermittel für solche Blütezeiten. Das gilt sowohl für Norditalien als auch für Holland. Die Spanier lieferten das Gold, das man kaperte - egal ob Holländer oder Briten. Doch im Gegensatz zu den Iberern wussten die westeuropäischen Kaufleute, dass Geld zirkulieren muss und nicht als Schatz in Schlössern gehortet. Die Revolutionen im Bankenwesen - sowohl in Italien des 13. Jahrhunderts (mit arabischer Hilfe, man denke an typisch arabische Begriffe wie "Scheck" oder "Tarif") als auch in Holland (die Erfindung der ersten modernen BAnk, der "Bank of Amsterdam") Erst ein finanzieller Reichtum ermöglicht es, dass Leute finanziert werden, die sich entweder mit naturwissenschaftlichen Experimenten befassen können oder in Ruhe irgendeine Abhandlung schreiben können. Das zeigen auch die Beispiele in Griechenland, Bagdad, Andalusien oder Samarkand. Das zeigt auch die gegenwärtige Forschungslandschaft. Und wiederum: Die absolute Mehrheit sowohl der Rennaissancedenker als auch später, in der sogenannten Aufklärung, waren wie auch immer gläubig. Spinoza war Pantheist, Kant, Newton und Goethe waren Deisten, Thomas Jefferson war schlicht ein Unitarier usw. Nur die wenigsten waren tatsächlich Atheisten a la de Sade... Es ist nachvollziehbar, dass durch die Abschaffung von lange Zeit einengenden Dogmen und Lehren (und auch Unterdrückung) durch die Kirche man zu einer Ansicht kam, wonach man als gottloser Mensch sozusagen erwachsen geworden ist und man auf religiöse Menschen wie auf Kinder herabschaut, die noch eines göttlichen Vaters bedürfen. Währenddessen schaut der gläubige Mensch (also nicht der Eiferer) auf den Atheisten wie auf eine Babyschildkröte, die das Meer vergessen hat.
21.11.19
11:09
Ute Fabel sagt:
@Tarik: "Die absolute Mehrheit sowohl der Rennaissancedenker als auch später, in der sogenannten Aufklärung, waren wie auch immer gläubig" Das Wesen des Christentums und des Islams besteht aber nicht daraus, dass man "wie auch immer" gläubig ist, sondern Jesus für den Sohn Gottes bzw. Mohammed für den letzten Propheten Allahs hält. "Spinoza war Pantheist" Ich halte den so genannten Patheismus für nichts anderes als aufgepeppten Atheismus. Wenn man Gott einfach in allem sieht, bleibt für Gott selbst in Wahrheit nichts mehr übrig. Das sahen die jüdischen Geistlichen im 17. Jahrhundert verständlicherweise auch schon so. Spinoza wurde aus der Synagoge exkommuniziert und mit dem rituellen Bannfluch belegt. "Währenddessen schaut der gläubige Mensch (also nicht der Eiferer) auf den Atheisten wie auf eine Babyschildkröte, die das Meer vergessen hat" Ich finde es sehr wichtig, dass man auf die Kulturgeschichte, zu der auch die Religionen gehören, nicht vergisst. Dafür braucht man aber nicht an Gottheiten wie Zeus, Isis, Odin, Vishnu, Allah, Quetzalcoatl oder Jahwe glauben
25.11.19
13:23
1 4 5 6 7