Das Schächten von Tieren ist in Europa umstritten. Warum Muslime im Mittelpunkt dieser Debatte stehen, erklärt Fachjournalist Peter Ziegler im IslamiQ-Interview.
IslamiQ: Sie beschäftigen sich mit dem Thema Schächten? Worüber wollen Sie die Menschen aufklären?
Peter Ziegler: Ich bin Anfang 2003 an der Al-Azhar in Kairo zum Islam konvertiert. Es lag deshalb nahe mir über meine Lebensführung Gedanken zu machen. Dazu gehörte natürlich auch die Auseinandersetzung mit den Speisegeboten. In der Jugend hatte ich auch jüdische Lehrer gehabt, und heute sage ich den militanten Tierschützern, dass das älteste Tierschutzgesetz von den Juden stammt. In der schriftlichen Tora, den Fünf Büchern Mose und der mündlichen Tora sind Gebote des schonenden Umgangs und schonenden Tötens von Tieren enthalten. Diese sind Grundlage des jüdischen Tierschutz- und Tierrechtes, wie es im Verbot, Tieren Leiden zuzufügen (Tza’ar baalei chajim), zum Ausdruck kommt.
Im Islam sind Umweltschutz und Tierschutz keine neuzeitliche Errungenschaft der Aufklärung und des zivilisatorischen Fortschritts, sondern immanenter Bestandteil des islamischen Wertesystems und integraler Teil von Lehre und Praxis. Eine ganz andere Sache ist es, dass leider viele ungebildete Muslime diese Gebote nicht achten.
IslamiQ: Warum gilt Halal-Fleisch nicht als Bio-Fleisch? Was ist die Problematik dahinter?
Ziegler: Halal-Fleisch ist für mich als Fachmann auch Bio, wenn es die Bedingungen für Bio-Zertifikate erfüllt. Punkt. Das Gerichtsurteil des EuGH, islamkonformen Fleisch dieses Gütesiegel zu verweigern, ist ein politisches und kein fachliches Urteil und dem derzeitigen Populismus und der Islamphobie geschuldet. Es wird keinen Bestand haben. Schon jetzt ist erkennbar, dass dieses Urteil dem Siegel sehr geschadet hat. Man nimmt es weniger ernst.
IslamiQ: Immer mehr Menschen entscheiden sich für eine vegetarische oder vegan Ernährungsform. Denken Sie, dass eine vegetarische oder vegane Ernährung eine Alternative für Muslime ist?
Ziegler: Ich weiß von sehr vielen Muslimen, dass sie ihren Fleischkonsum reduziert haben und ihre Lieferanten kritischer hinterfragen. Die Regel: „Ich kaufe beim Türken und dort ist das Fleisch halal“, gilt schon lange nicht mehr. Logischerweise verzichten diese Muslime irgendwann ganz auf den Fleischkonsum. Es gibt bereits etliche muslimische Vegetariergruppen, auch bei mir in der Schweiz. Bekannt ist uns ja, dass vor allem im Sufismus der Verzicht auf Fleisch und Alkohol ein hohes religiöses Ideal ist und als Voraussetzung zur Verinnerlichung des Geistes und zur ekstatischen Gottesschau gilt. Ansonsten gibt es klare Regeln für die Vergabe von Halal-Zertifikaten. Diese basieren u. a. auf Beschlüssen der OIC (Anm. d. R.: Organisation von 56 islamischen Staaten).
IslamiQ: Es werden inzwischen Halal-Messen veranstaltet, sowohl in Deutschland als auch international. Denken Sie, dass trotz der Schwierigkeiten beim Schächten der Markt wächst? Wie schätzen sie dieses Wachstum ein?
Ziegler: Wir sollten uns in diesem Kontext nicht nur einseitig mit Halal-Food befassen, sondern ganzheitlich von einer „Halal-Industrie“ reden, auch wenn dies zunächst ein hässlicher Begriff ist. Er beinhaltet 1) Nahrungsmittel, Kosmetik, Kleidung, aber vor allem aber auch 2) Islamic Finance und Islamic Banking und, last but not least, den boomenden 3) Halal-Tourismus. Muslimischer Lifestyle kommt auch bei Andersgläubigen an.
Inzwischen schreibt die kuwaitisch-türkische KT Bank in Frankfurt, Mannheim, Köln und Berlin eine Erfolgsgeschichte, u. a. mit islamkonformen Krediten. Viele wertekonservative deutsche Nichtmuslime verbringen zum Schutz ihrer Kinder den Urlaub in einem türkischen Halal-Hotel, auch wenn dieses teurer ist als eine normale Herberge. Viele westliche Damen genießen es dort beim Baden unter sich zu sein.
Schauen wir uns die weltbekannte Hannover Messe an. Die Computermesse CeBit wurde kürzlich abgeschafft, jetzt wird es eine Halal-Messe geben. Die Halal-Industrie wird heute nicht in Milliarden, sondern in Billionen Dollar gemessen. Die Agentur Reuters meldete kürzlich: „The global halal market size is expected to reach USD 9.71 trillion by 2025.“ Das sind in deutschen Zahlen 9,71 Billionen USD oder 8,62 Billionen Euro. Da erübrigen sich doch weitere Fragen.
Explizit nochmals zum Halal-Food: Nur ein geringerer Teil aller Zertifikate für Lebensmittel betreffen die Erzeugung von Fleisch. Beispielsweise muss auf Verlangen aus Malaysia und Indonesien ab sofort auch Mineralwasser zertifiziert werden. Warum dies, Wasser ist doch Wasser? Nein! Die Abfüller von Wasser verwenden zum Filtrieren Schweineknochen. Das sei besonders effizient. Welcher Muslim, welche Muslima, möchte Wasser trinken, das zuvor durch Schweineknochen tropfte?
IslamiQ: Wie steht die deutsche Politik zum Schächten? Was könnte die Politik diesbezüglich noch unternehmen oder verändern?
Ziegler: Politiker sind in westlichen Staaten tagesaktuelle Opportunisten. Sie werden auch in dieser Sache nicht agieren, sondern nur reagieren. In der Schweiz sollte Anfang 2001 das dortige „Schächtverbot“ aufgrund einer Studie des Bundesveterinäramtes aus sachlichen Gründen aus der Verfassung gestrichen werden. Dann kam der Anschlag von 9/11 und die Angelegenheit war über Nacht erledigt. In Deutschland ist das Verhältnis zwischen Juden und Muslimen leider angespannt. In den Niederlanden und Belgien haben die Juden auch für uns Muslime gekämpft und dieses „Schächtverbot“ verhindert.
IslamiQ: Ist die rituelle Schlachtung überhaupt ein politisches Thema?
Ziegler: Das war in Deutschland schon immer ein sehr politisches Thema. Das erste Gesetz, dass die Nazis nach ihrer Machtergreifung 1933 beschlossen, war das Verbot der rituellen Schlachtung. Heute benutzt die islamfeindliche AfD den Tierschutz wieder als politische Waffe. Sie verbreitet Fake-News, erzählt Gräuelmärchen und zeigt Horrorfilme. Unsere Politiker wissen das, aber sie kommen gegen die antimuslimische Propaganda nicht an.
IslamiQ: Was müssen Muslime besser machen, damit in Europa das Schächten nicht mehr als Problem gesehen wird?
Ziegler: Wir Muslime müssen die Menschen aufklären. Es gibt ein riesiges Informationsdefizit und jede Menge gezielter Desinformationen, sogar bei Medizinern. Es gibt aber de facto auch zahlreiche wissenschaftliche Gutachten, die sachgerechtes „Schächten“ als tierschutzkonform erklären, u. a. in zahlreichen Staaten der USA. Auch von der Tierhochschule Hannover gab es in den 1960er-Jahren ebenfalls ein inzwischen berühmtes Gutachten, das heute unter Verschluss gehalten wird. Nur mit guten Beziehungen gelang es mir, dieses weltweit in englischer Übersetzung verbreitete Werk in deutscher Originalfassung zu erhalten. Was allerdings wirklich nicht geht, das ist, wenn ein sachfremder muslimischer Informatiker einen Bauern besticht und dann in dessen Scheune mit einer Art Brotmesser den Hals eines Schafes durchsäbelt. Wird eine solche Freveltat aufgedeckt, so ist es zum Schaden aller Muslime.