Wer darf in europäischen Ländern Lebensmittel als „halal“ zertifizieren? Wie zuverlässig sind Halal-Siegel und worauf müssen muslimische Verbraucher beim Kauf achten? Ein Gastbeitrag von Yusuf Çalkara.
Die Geschichte der Halal-Zertifizierung in Europa beginnt mit dem Aufbau langfristiger Handelsbeziehungen zu Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit. Vor allem arabischen Länder forderten eine Begutachtung von Import-Fleisch aus Europa durch zuverlässige Imame. Dadurch sollte man gewährleisten, dass das zur Ausfuhr bestimmte Fleisch von Rindern und Schafen, den Halal-Kriterien entsprach. Inzwischen gibt es in Europa über vierzig Halal-Zertifizierungsstellen, die meisten davon in Deutschland (6), Frankreich, Polen und den Niederlanden (jeweils 5). In Skandinavien und Portugal gibt es dagegen jeweils nur eine Zertifizierungsstelle. Ein Großteil der europäischen Halal-Zertifizierungsunternehmen gehört arabischstämmigen Muslimen, obwohl sie u. a. in Deutschland eine Minderheit unter der muslimischen Bevölkerung bilden.
Das Fehlen einer übergreifenden Institution mit einem einheitlichen Regelwerk sowie die Bandbreite an Halal-Lebensmitteln hat in den letzten Jahren zur Gründung zahlreicher Zertifizierungsstellen für Halal-Lebensmittel geführt. Deren Personal ist für diese Aufgabe theologisch jedoch oftmals nicht ausreichend qualifiziert. Auch nichtmuslimische Inverstoren versprechen sich vom Geschäft mit halal-zertifizierten Lebensmitteln maximalen Profit. Wie zuverlässig derartige Zertifizierungsstellen sind, wird letztlich der persönlichen Beurteilung eines jeden muslimischen Konsumenten überlassen.
Verbraucherschutzverbänden fehlt häufig das nötige Hintergrundwissen zu den Kriterien. Die Frage, ob und wie Produkte mit einem Halal-Siegel versehen werden, hat für sie deshalb nur nachrangige Priorität. Aber auch muslimische Konsumenten sollten sich nicht einfach auf das Halal-Siegel verlassen. Viele dieser sogenannten „einfachen“ Halal-Siegel kommen zwar rein optisch „islamisch“ daher, d. h. sie zeigen Moschee- oder Halbmondsymbole, meistens in Grün, jedoch lässt sich für Verbraucher nicht nachvollziehen, ob und wenn ja von welcher zuverlässigen islamischen Institution sie vergeben wurden. Tatsächlich handelt es sich hier nicht um Halal-Siegel, deren Nutzung von islamischen Institutionen kontrolliert, bestätigt und freigegeben wurde.
Sich nach islamischen Speisevorschriften zu ernähren ist für Muslime eine religiöse Pflicht. Das betrifft nicht nur Fleisch und Fleischprodukte, sondern auch „gesunde“ Lebensmittelzusatzstoffe. Lebensmittel werden heutzutage als Massenware produziert. In vielen Produktionsbereichen werden dabei auch Stoffe verarbeitet, die aus Schweinen gewonnen werden, z. B. Gelatine. Aus diesem Grund zögern viele muslimische Konsumenten entweder vor dem Kauf bestimmter Lebensmittel oder verzichten gänzlich darauf.
Die Frage, ob bestimmte Lebensmittel halal sind oder nicht, bezieht sich längst nicht mehr ausschließlich auf den Aspekt der Schlachtung. Inzwischen wird auch unter der der wachsenden muslimischen Bevölkerung in Europa der Ruf nach einer Halal-Zertifizierung lauter. Nicht nur muslimische Gemeinschaften richteten daraufhin Halal-Zertifizierungsstellen ein, auch Privatpersonen mit teils fragwürdigen Motiven haben die bestehende Lücke genutzt und eigene Unternehmen gegründet.
Eine transparente Halal-Zertifizierung wird aber nicht nur durch fehlende einheitliche Vorgaben und Beschränkungen erschwert, sondern auch durch kulturelle und religiöse Unterschiede zwischen den Muslimen in Europa und das geltende Recht der jeweiligen Länder, Rein islamrechtlich betrachtet, müssen alle Halal-Kriterien aus dem Koran und der Sunna entnommen werden. Das heißt: Die Grundzüge der Halal- und Haram-Kriterien müssen grundsätzlich überall identisch sein. Auf der Grundlage dieser gemeinsamen Kriterien gelten die folgenden Produkte und ihre Derivate für muslimische Konsumenten als verboten:
Blut und jede Form von Rauschmitteln, die wie Drogen und alkoholhaltige Getränke je nach Rechtsschule und geografischen Gegebenheiten gibt es noch weitere Kriterien.
Die Problematik der Halal-Zertifizierung, die sich aus dem geltenden Recht europäischer Staaten ergibt, lässt sich am anhand der Debatte um das betäubungslose Schächten verdeutlichen. In Ländern wie Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden werden grundsätzlich Sondergenehmigungen für die islamische Schlachtung ohne vorherige Betäubung erteilt, weshalb das Fleisch von Tieren, die betäubt geschächtet wurden, von den örtlichen Halal-Zertifizierungsstellen als „nicht halal“ eingestuft wird.
In Deutschland, Österreich, der Schweiz, Dänemark sowie in den skandinavischen Ländern sieht die Situation hingegen anders aus. Hier ist die Schächtung ohne vorherige Betäubung gesetzlich nicht erlaubt, auch Sondergenehmigungen gibt es nicht. Deshalb bestehen zwischen dortigen Halal-Zertifizierungsstellen Meinungsunterschiede im Hinblick auf die Auswirkung der Betäubung auf die Einstufung von Fleischprodukten.
Unter den gegebenen Bedingungen geht es in Europa also nicht nur darum, Fleisch und Fleischprodukte zu überprüfen. Daneben sollte man auch die Inhalte und Zusatzstoffe anderer Lebensmittel beachten. Eine bloße Auflistung islamkonformer Lebensmittel- und Lebensmittelzusatzstoffe (E-Nummern) reicht nicht aus, da diese je nach Hersteller oft nicht einheitlich verwendet werden und sowohl pflanzliche als auch tierische Zusatzstoffe bezeichnen können. Einige Zusatzstoffe müssen gemäß dem Lebensmittelkodex (Codex Alimentarius) nicht einmal in der Zutatenliste angegeben werden, solange sie einen bestimmen Grenzwert nicht überschreiten. Dies ist z. B. bei Fruchtsäften der Fall, die man mit Schweinegelatine filtert.
Verlässliche Halal-Siegel, deren Vergabe von kompetenten islamischen Institutionen geprüft und genehmigt wurden, sind der Ausgangspunkt für eine sichere Halal-Ernährung. Solange sie fehlen, ist der muslimische Endverbraucher gut beraten, beim Einkauf vorsichtig zu sein und die Halal-Siegel kritisch zu hinterfragen.