Muslime sind ein lukrativer Kundenkreis für Halal-Produkte. Warum das die Wirtschaft in Deutschland noch nicht wahrgenommen hat, schreibt Kemal Çalık.
Eine Frau mit einem pinken Kopftuch blickt cool in die Kamera und isst dabei Fruchtgummis. Vor einem Jahr hat der Süßwarenhersteller Katjes mit dieser Werbekampagne für Aufsehen gesorgt. Die nicht überraschende Aufregung war gewaltig, vor allem im Internet. Eigentlich haben drei Frauen in unterschiedlichen Videos und Plakaten dafür geworben, dass alle Katjes-Fruchtgummis nun vegetarisch sind. Dennoch schlug nur die Kampagne mit der „Kopftuch-Frau“ hohe Wellen.
Der Gesellschafter Tobias Bachmüller sagte im Interview mit dem Marketing-Fachmagazin W&V: „Wir wollten zeigen, dass wir gelatinefrei produzieren und auf Schweinefleisch verzichten. Nicht mehr und nicht weniger.“ Die Marketing-Maßnahme soll für Katjes ein voller Erfolg gewesen sein. Laut Medienberichten soll der Süßwaren-Produzent danach 28 Prozent mehr Verkäufe und jede Menge Besucher auf seinen sozialen Kanälen verzeichnet haben. Wo könnte der Haken für den muslimischen Verbraucher sein? Mit dem Kopftuch-Model suggeriert das Unternehmen, dass seine Produkte ab sofort schweinefrei und daher auch für die Muslime geeignet sind. Stimmt aber nicht immer. Vegetarische und vegane Produkte könnten etwa Alkohole enthalten(1).
Bemerkenswert ist die Strategie von Haribo, der seine Halal-Fruchtgummis mit Rindergelatine in Istanbul für den globalen Markt herstellt. Die importierten Gummibärchen mit Halal-Siegel werden in Deutschland in türkischen und arabischen Ethnoläden verkauft, selten aber in den Filialen deutscher Handelsketten. Während das Bonner Unternehmen in muslimischen Ländern offensiv für seine Halal-Süßwaren wirbt, hält es sich hier eher bedeckt. Auf der Haribo-Webseite gibt es nur einen Hinweis über den Vertriebspartner.
Für die großen Handelsketten in Großbritannien und Frankreich sind Muslime längst eine wichtige Zielgruppe. So bieten seit etlichen Jahren Lebensmittelhändler wie Morrisons, Tesco, Asda, Sainsbury’s, Auchan, Carrefour und Intermarché Halal-Produkte mit Halal-Siegel an. Einige Lebensmittelhändler haben gar ihre Halal-Eigenmarken (2).
Deutsche Supermärkte und Discounter hingegen haben nur wenige halal-zertifizierte Produkte in ihren Regalen. So verkaufen etwa Rewe und Edeka in einigen Filialen Wiesenhof-Geflügel, Wurst und Sucuk von Yayla und Fleischspezialitäten von Mekkafood. Metro verkauft frisches Lammfleisch aus Neuseeland. Immer noch „beobachten“ die Händler den Markt. In Deutschland wird das Marktvolumen für Halal-Lebensmittel auf mehr als fünf Milliarden Euro geschätzt. Aber auch diese Zahl ist einige Jahre alt. Das Volumen dürfte heute um einiges höher sein.
Dennoch gibt es auf dem deutschen Lebensmittelmarkt einige wenige Vorreiter. Der Real-Markt in Berlin-Neukölln hat zum Beispiel mehr als 600 Halal-Produkte im Sortiment und bietet insgesamt rund 80.000 Food- und Nonfoodprodukte an. Real bietet bei den Halal-Produkten die Top-Artikel an, die sich am besten verkaufen (3).
Was sind die Gründe dafür, dass die deutschen Handelsketten nach wie vor so wenig Halal-Produkte anbieten? In den Medien wird immer wieder berichtet, dass die Händler negative Reaktionen nichtmuslimischer Kunden befürchten. Außerdem würden viele bei Halal-Schlachtungen an Tierquälerei denken (4). Wenn das stimmen würde, dann würde etwa der deutsche Fleisch-Produzent Meemken seine Halal-Produkte wie Salami, Sucuk, Geflügel-Bratwurst in einigen Filialen des Discounters Netto nicht verkaufen können. Die Produkte sind in den Regalen in einer Reihe platziert und das Halal-Logo ist sehr gut zu sehen.
Der Wirtschaftswissenschaftler Tanju Aygün hat in der Studie „Deutschtürkisches Konsumverhalten“ herausgefunden, dass die Deutschtürken den größten Teil ihrer Grundnahrungsmittel bei den Discountern kaufen, den kleineren Teil wie Halal-Produkte in den ethnischen Supermärkten. Nach wie vor ist die Halal-Fleischtheke in den Händen der türkischen Lebensmittelhändler (5). Auch Real Neukölln bietet an der Fleischtheke verschiedene Fleischsorten, unter anderem auch Schweinefleisch, an. „Diese kommen alle aus der gleichen Tür“, sagt Marktleiter Wolfgang Paulini. Das frische Halal-Fleisch müsse in einer separaten Theke angeboten werden, dass sei jedoch zu kostenintensiv. Daher biete Real tiefgefrorenes Halal-Fleisch an. „Das funktioniert und wird von unseren Kunden sehr gut angenommen“, berichtet der Marktleiter.
Die Gründe für das enttäuschende Angebot an Halal-Waren im deutschen Lebensmittelhandel dürfte andere Gründe haben. Daten zum Beispiel. So gibt es über den Halal-Markt in Deutschland keine verlässlichen Zahlen, Daten und Fakten. Wir wissen nicht, wie viele der fünf Millionen Muslime sich bewusst an die Halal-Vorschriften hielten. Wer kennt die Kriterien der Halal-Zertifizierer? Sprich: Wie groß ist die Nachfrage nach Halal-Produkten?
Zudem gibt es in Deutschland keine Zahl darüber wie viele Tonnen betäubtes und betäubungsloses Halal-Fleisch in Deutschland produziert werden. Nur eine Zahl kann das Bundesagrarministerium liefern: Eine Anfrage der Europäischen Kommission habe ergeben, dass in den Jahren 2014 und 2015 in Deutschland 4.322 Schafe und Ziegen und 4.470 Geflügel betäubungslos geschlachtet wurden. Betäubunglos geschlachtete Rinder gab es keine (6). Somit kann man davon ausgehen, dass in Deutschland wenige betäubungslose Schlachtungen stattfinden. Ein genaueres Bild würde sich ergeben, wenn man die Import-Zahlen kennen würde. Die können aber weder das Ministerium, noch die Fleischverbände liefern.
Es kann auch nicht an dem fehlenden Angebot an Halal-Waren liegen. Deutsche Lebensmittelhersteller könnten ohne Probleme halal-zertifizierte Produkte auf dem deutschen Markt anbieten. So haben Produzenten wie Dr. Oetker (7), Nestlé, Storck Halal-Waren im Programm. Diese werden allerdings hauptsächlich exportiert. So gelten in Ländern wie Indonesien und Malaysia besonders strenge Halal-Vorschriften. Die Unternehmen müssen nachweisen, dass ihre Produkte die Halal-Standards erfüllen. Ansonsten erhalten sie keinen Marktzugang. Einer der wichtigsten Akteure im globalen Halal-Business ist seit den achtziger Jahren Nestlé. Das Unternehmen aus der Schweiz produziert weltweit in 150 Fabriken halal und exportiert die Produkte in mehr als 50 Länder. Bekannt ist der Konzern für Marken wie Kitkat, Maggi und Nescafé.
Aktuell ist der deutsche Lebensmittelhandel für Muslime sicher nicht die Einkaufsstätte für Halal-Produkte. Die Händler haben bis auf wenige Ausnahmen zu wenig halal-zertifizierte Artikel in den Regalen. Somit bleiben die Umsätze der Handelsketten mit Halal-Waren klein. Wie die meisten Deutschen kaufen auch die Muslime hauptsächlich beim Discounter ein. Sie haben aber nicht immer die Fläche für Halal-Produkte, die aus wirtschaftlicher Sicht nur die Waren anbieten, die den höchsten Umsatz bringen. Folgerichtig sagt Kirsten Geß, Leiterin Kommunikation von Aldi Süd: „Wir führen derzeit keine halal-zertifizierten Produkte in unserem Angebot (8).“ Dennoch haben einige Discounter, wie das Netto-Beispiel zeigt, einen Weg gefunden um mit Halal-Produkten Kasse zu machen.
Am ehesten lässt sich eine umfassende Halal-Strategie in Supermärkten umsetzen. Sie haben die Fläche. Müssten allerdings mit einem entsprechenden Marketing dafür sorgen, dass die Muslime den Weg zu ihnen finden.
Auf das globale Geschäft mit Halal-Lebensmitteln setzen auch die Messeunternehmen. Auf der Lebensmittelmesse Anuga gibt es in Köln in diesem Jahr wieder die Sonderschau „Anuga Halal Market“, in Sarajevo die „Sarajevo Halal Fair“ und in Barcelona im kommenden Jahr auf der Lebensmittelmesse Alimentaria erneut eine Halal-Sonderschau mit einem internationalen Kongress (9).
Im kommenden Jahr findet die „Halal Hannover“ Premiere statt. „Mit mehr als 30 Millionen muslimischen Einwohnern ist Europa einer der wichtigsten Märkte für Halal-Produkte weltweit“, sagt Christoph Schöllhammer, Projektleiter bei der Deutschen Messe AG. Mit dem neuen Format aus Ausstellung, Konferenzprogramm und gastronomischer Sonderfläche wolle die Messegesellschaft der Halal-Industrie eine Plattform für den geschäftlichen und fachlichen Austausch in Deutschland anbieten. Die Messe richte sich an Groß- und Einzelhandel, Supermärkte, Gastronomie (Restaurants, Imbisse, Catering), Hotellerie, Lebensmittellabore, Hersteller von Kosmetikprodukten und Vertriebsfirmen, Reiseveranstalter und -büros sowie Verbraucher.
Fazit: Unternehmen interessiert der Umsatz. Wenn sie neue Wachstumsmärkte erreichen können, sind sie dabei. Ganz gleich, ob es sich um bio, regional, vegan, halal oder koscher handelt. Am Ende müssen die deutschen Lebensmittelhändler auch mit Nischen Geld verdienen. Wenn Muslime Halal-Produkte stärker nachfragen, wird das Angebot steigen. Die Bevölkerungsstruktur und das Kaufverhalten haben sich in Deutschland in den vergangenen Jahren rasant verändert. Nur Händler, die sich ganz auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Kunden konzentrieren, werden überleben.
(1) „Wir werden einer der größten Tierschutzvereine sein“, https://halal-welt.com/wir-werden-einer-der-groessten-tierschutzvereine-sein/
(2) Frankreich: Supermärkte haben Halal-Eigenmarken, https://halal-welt.com/frankreich-supermaerkte-haben-halal-eigenmarken/
(3) Real Neukölln: Halal für den Kiez, https://halal-welt.com/real-neukoelln-halal-fuer-den-kiez/
(4) „Islam fordert den schonenden Umgang mit Tieren ein“, https://halal-welt.com/islam-fordert-den-schonenden-umgang-mit-tieren-ein/
(5) Türkische Supermärkte: weniger Läden, aber mehr Umsatz, https://halal-welt.com/tuerkische-supermaerkte-weniger-laeden-aber-mehr-umsatz/
(6) Halal-Produktion: Ein Markt mit vielen Unbekannten, https://halal-welt.com/wp-content/uploads/2018/10/Fleischwirtschaft_Oktober-2018.pdf
(7) Dr. Oetker: Halal-Pizzen nur für den Export, https://halal-welt.com/dr-oetker-halal-pizzen-fuer-den-export/
(8) Deutsche Supermärkte scheuen Ramadan-Aktionen, https://halal-welt.com/deutsche-supermaerkte-scheuen-ramadan-aktionen/
(9) Expo Halal: Alimentaria shows Halal Food Trends, https://halal-welt.com/en/expo-halal-alimentaria-shows-halal-food-trends/