Nachgefragt

“Al-Andalus war ein Land der Fortschritte”

Autoren schreiben hunderte Seiten. Doch was passiert, wenn sie ihr Buch auf seine Essenz herunterbrechen müssen? Unsere Serie „Nachgefragt“ liefert Antworten. Heute Brian A. Catlos und sein Buch „Al Andalus“

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10
2019
Al-Andalus Geschichte des islamischen Spanien
Al-Andalus Geschichte des islamischen Spanien

IslamiQ: Wem würden Sie ihr Buch „Al Andalus – Geschichte des islamischen Spaniens“ gerne schenken und warum?

Brian Aivars Catlos: Jedem, der fälschlicherweise glaubt, dass es so etwas wie den “Kampf der Kulturen” gibt oder der das mittelalterliche Spanien für ein Paradies der “Toleranz” hält.

IslamiQ: Warum ist die Thematik Ihres Buches im Lichte aktueller Debatten wichtig?

Catlos: Ich denke, es ist wichtig, weil es zeigt, dass die religiöse Kultur nur ein Faktor für die Identitätsbildung ist und es viele andere Möglichkeiten gibt, mit denen Menschen Gemeinschaften, Freundschaften und Allianzen aufzubauen. Diese gehen über viele religiöse oder kulturelle Trennungen hinaus.

Al-Andalus – Geschichte des islamischen Spanien
Brian A. Catlos
C.H. Beck
ISBN: 978-3-406-74233-0
491 Seiten
Oktober 2019

IslamiQ: „Beim Lesen guter Bücher wächst die Seele empor.“ Warum trifft dieses Zitat von Voltaire auf Ihr Buch zu?

Catlos: Ich hoffe es trifft zu. Und wenn ja, denke ich, weil es im Grunde genommen ein optimistisches Buch ist – und es konzentriert sich auf die Menschlichkeit, die uns alle zusammenhält – ein Menschengefühl, das zu großem Altruismus fähig ist, aber leider auch großen Schmerz und Kummer verursacht.

IslamiQ: Ihr Buch „Al Andalus – Geschichte des islamischen Spaniens“ in drei Wörtern zusammengefasst?

Catlos: Bricht alte Vorurteile.

IslamiQ: Eine spezielle Frage für Sie: Inwieweit ist Andalusien ein sehenswerter Ort, insbesondere für Muslime?

Catlos: Die Geschichte von Al-Andalus zeigt uns, dass die islamische Geschichte Teil der europäischen Geschichte ist und umgekehrt. Sie zeigt uns, dass das Christentum und der Islam wie das Judentum Kulturen sind, die zusammen das bilden, was wir “den Westen” nennen, und dass es eine lange Geschichte der Zusammenarbeit und Integration gibt.

Es war natürlich auch ein Land des Konflikts, doch dieser Konflikt war nicht unvermeidlich. Aber: Obwohl dieser Konflikt oft in religiöser Sprache ausgedrückt wurde, war Religion selten die Ursache. Dies gibt uns Hoffnung. 

Al-Andalus war kein Paradies, aber es war ein Land, in dem enorme kulturelle, intellektuelle und technologische Fortschritte erzielt wurden, die Europa verwandelten und den Weg für die Moderne ebneten.

 

Leserkommentare

Ute Fabel sagt:
„Die Geschichte von Al-Andalus zeigt uns, dass das Christentum und der Islam wie das Judentum Kulturen sind, die zusammen das bilden, was wir “den Westen” nennen.“ Die kulturelle Blüte der Niederlande im 17. Jahrhundert war keine Errungenschaft des Christentums, sondern ganz im Gegenteil gerade ein Produkt der gesellschaftlichen Emanzipation von religiösem Dogmatismus. Islamvertreter schmücken sich wahrlich mit fremden Federn, wenn sie diese tolerante Phase in der Geschichte Andalusiens als Leistung des Islam verkaufen wollen. Die Herrscher dort kümmerten sich in dieser Zeitspanne erfreulicherweise nicht viel um religiöse Vorgaben aus den weit entfernten religiösen Zentren. Dieser Umstand hat die kulturelle Blüte ausgelöst!
26.10.19
17:42
Kritika sagt:
L.S. Alcázar in Sevilla und Alhambra in Granada sind sicher bemerkenswerte und Besuchens werte alte Baudenkmäler, wie andere in Spanien auch. Arglose Muslims sollten wissen, dass Spanier -- diplomatisch ausgedrückt -- nicht gerade auf Muslims stehen. Die Reconquista, die Rück-Eroberung ihres Landes von den Muslims, welche sie als Besatzer empfanden, ist heute noch sehr gegenwärtig. Die Muslims werden verächtlich ' los Moros ' genannt. Um keine Provozierungs-Probleme zu bekommen sollten Muslimische Besucher lieber ' incognito ' gehen. Also nicht als Muslim aufgetakelt und erkennbar. Na dann ¡ Divertete en España! Gruss, Kritika
27.10.19
19:47
Emanuel Schaub sagt:
Den "hartgesottenen" Propagandisten ,dass das Christentum zu Europa gehört (siehe Weihnachten mit Tannenbaum etc.) und der..Islam aus Nahost..) hier Fremdkörper sei , könnte jetzt (spätestens ) das er ein wesentlicher Teil ist. Dass das Christkind... aus Nahost stammt ,könnte sich mittlerweilen rumgesprochen haben.. Ob der Islam in Spanien so verheerend gewirkt wie das... Christentum (Inquisition) ist wohl keine Frage! gruß emanuel
28.10.19
13:13
Ute Fabel sagt:
@ Emanuel Schraub: Die britische Autorin Catherin Nixey stellt in ihrem Buch "Heiliger Zorn: Wie die frühen Christen die Antike zerstörte" sehr gut dar, wie religiöse, philosophische und kulturelle Vielfalt nach der politischen Machtergreifung eines fanatischen, abergläubischen und einem absoluten Wahrheitsanspruch beseelten Fremdkörpers Christentums im 4. Jahrhundert brutal zerstört wurden. Tannenbäume zum Winteranfang zu Hause aufzustellen, ist ein schöner heidnischer Brauch aus dem Norden, der sich erst vor etwa zweihundert Jahren zu verbreiten begann. Der erste historisch belegte Christbaum in Wien wurde 1814 von Fanny Arnstein aufgestellt, einer nicht religiösen Gesellschaftsdame mit jüdischen Vorfahren. Das Fundament der europäischen Kultur ist die Aufklärung!
31.10.19
13:46
Tarik sagt:
Und dieses Fundament wurde in der islamischen Welt gegossen und gelang - vor allem über die Brücke Andalusien - nach Europa. Allerdings nennt man den Islam nicht gerne als einen der Erzväter Europas. Athen, Rom und Jerusalem - ja. Aber der Islam ist so etwas wie der reiche Onkel aus Übersee, der Familienmitgliedern einst Geld fürs Studium überwiesen hat - aber man spricht nicht gern darüber. Ohne Zweifel zählt der spanischstämmige Kanadier Catlos ebenfalls zu der von mir in anderen "Andalusien-Debatten" erwähnten Riege jüngerer Autoren, die mit dem gleichermaßen ideologiebehafteten wie auch überholten Weltansichten nationalkonserativer Europäer nur noch wenig gemein haben. Trotzdem ist es noch ein langer Weg raus aus der "akademischen Blase" - also den Erkenntnisen der Forschung bis zum Mainstream. Bleiben wir optimistisch: Die Zukunft gehört letztlich der interkulturellen Forschung und der Bündelung von universalem Wissen. Peter Adamsons "History of Philosophy WITHOUT ANY GAP" ist ein Musterbeispiel dafür.
13.11.19
16:46