In Deutschland leben mehr als fünf Millionen Muslime. Wie viele kennen Sie? In dieser IslamiQ-Serie stellen wir querbeet Menschen vor, die eine Gemeinsamkeit teilen: Sie sind Teil der Umma Deutschlands. Heute Naomi Afia Brenya Güneş-Schneider.
Naomi Afia Brenya Güneş-Schneider ist 1993 in Engelskirchen geboren. Seit 2013 lebt die verheiratete Designerin in Wien, wo sie ein Kolleg für Mode- und Textildesign absolvierte und nebenbei Publizistik und Kommunikationswissenschaft sowie islamische Theologie studierte. Ihre Erfahrungen als afro-deutsche, sichtbare Muslimin thematisiert Naomi Afia in eigenen Modekollektionen mit Titeln wie „Our Bodies Our Business“ oder “_ Pieces of Identity_“. Im Interview lernt ihr sie kennen: Naomi Afia Brenya Güneş-Schneider.
IslamiQ: Sie studierten Publizistik und islamische Theologie, und machten eine Ausbildung zur Modedesignerin. Warum dieser Wandel?
Naomi Afia Brenya Güneş-Schneider: Während des Studiums bereitete ich im Rahmen eines PR Seminars eine Präsentation zur Krisen-PR von Primark vor. Anlass war der Brand der Fabrik Rana Plaza in Bangladesch im selben Jahr. Die Fotos und Videos der Opfer und deren Angehörigen gingen mir auch Wochen nach der Präsentation nicht aus dem Kopf. Ich konnte mit dem Wissen um den Preis der Billigmode nicht mehr mit ruhigem Gewissen Fast Fashion kaufen. So begann ich für mich selber zu schneidern und bekam rasch Anfragen von Schwestern. Doch meine Künste an der Nähmaschine waren eher laienhaft. Je mehr ich experimentierte und je mehr die Nachfrage stieg, begann ich mit dem Gedanken zu spielen, eine Ausbildung zu machen, um die Fertigung von der Pike auf zu lernen.
IslamiQ: Wie verbinden Sie diese verschiedenen Themenbereiche in Ihrem heutigen Beruf als Schneiderin und Modemacherin?
Güneş-Schneider: Im Grunde gehen für mich vor allem islamische Prinzipien und die Mode, die ich mache, Hand in Hand. Die Motivation „Modest Fashion“ zu kreieren, die transparent und ethisch hergestellt ist, kam vor allem auch, weil ich es als Muslimin überhaupt nicht mit meinem Glauben vereinbaren konnte, die Produktionsbedingungen der Fast-Fashion-Industrie wissentlich zu unterstützen. Slow-Fashion als bewusster Gegenpol zu unbewusstem, gierigem Konsum auf Kosten von Menschenleben ist für mich nichts anderes, als die Art zu leben, die uns die Religion empfiehlt. Aspekte wie Vermeidung von Verschwendung, bewusster und schonender Umgang mit Umwelt und Mensch sowie Rechte der Arbeiter sind Aspekte, die wir Koran und Sunna entnehmen können und sollten. So besagt ein Ausspruch unseres Propheten (s) sinngemäß, dass der Lohn eines Arbeiters ausgezahlt werden soll, bevor dessen Schweiß trockne.
Auch mein Publizistikstudium kommt mir nach wie vor zu Gute. Themen wie Bildsprache, Werbung, verschiedenste Diskurse. die Schwerpunkte, die ich mir im Studium setzte, beschäftigen mich nach wie vor. Welche Körper werden wie präsentiert bzw. finden Platz auf Laufstegen und Werbungen? Wie kann ich die Missstände, die ich in der Modewelt sehe, zumindest in meiner Praxis ändern und eine Alternative schaffen? Und auch in Bezug auf Artikel, Interviews, Kommunikation mit Kunden und Medien helfen mir die theoretischen Kenntnisse aus dem Studium weiter.
IslamiQ: Sie gründen gerade Ihr eigenes Modelabel. Was zeichnet Ihre Mode aus?
Güneş-Schneider: Zum einen das Wissen um die Herkunft der Materialien und die Transparenz in Bezug auf die Produktionsweise. Momentan fertige ich alles vom Entwurf, zum finalen Design, den Prototypen bis zum fertigen Kleidungsstück. Des Weiteren arbeite ich hauptsächlich mit Naturfasern, Baumwolle und Leinen. Wenn es geht, arbeite ich möglichst mit regional produzierten Stoffen, zum Beispiel mit Leinen und Viskose aus Österreich. Die Schnitte sind nach gewissen Kriterien verschiedener „modesty“-Konzepte, da zum einen nicht nur Muslime meine Zielgruppe sind und zum anderen selbst unter ihnen schon verschiedenste Konzepte zu „modesty“ existieren, von denen ich mich nicht auf eines beschränken möchte.
Meine Mode soll alle Menschen ansprechen, die sich mit dem Konzept hinter dem Label und meinen Designs identifizieren können und sich darin wohlfühlen. Ich arbeite gerne mit schlichten, einfarbigen Stoffen, die ich dann bedrucke oder batike, auch das ist, so denke ich, ein Wiedererkennungsmerkmal meiner Mode. Ein weiterer Punkt ist meine Schnittkonstruktion und Bundlösung bei Hosen und Röcken. Ich arbeite meist mit größenvariablen Schnitten, sodass ein und dieselbe Jacke an einer Person mit Größe 34 genauso toll aussieht wie an einer Person mit Größe 50.
IslamiQ: Nachhaltigkeit ist ein großes Thema für Sie. Wie gewährleisten sie nachhaltige Mode in der heutigen Zeit?
Güneş-Schneider: Es ist definitiv nicht einfach, vor allem auch deshalb nicht, weil die Produktion von Baumwolle rein ökologisch nicht unproblematisch ist. Momentan versuche ich aber zumindest die Herkunft der Stoffe, die ich verwende, zu erfahren und mitzugeben. Ich arbeite auch viel mit Stoffen zweiter Hand oder recycle Dinge.
IslamiQ: Wie fällt die Resonanz auf Ihre Mode aus?
Güneş-Schneider: Alhamdulillah sehr gut. Es ist spannend, dass ich vor allem Schwarze Menschen anspreche. Dadurch, dass ich nach den Bedürfnissen gehen, die ich als Schwarze Frau und heute Muslimin an die Mode habe, decke ich bestimmte Dinge und Wünsche der Zielgruppe ab. Die Verwendung von Adrinka-Symbolen oder der Umriss des afrikanischen Kontinentes auf klassischen Schnitten oder den Bauchtaschen ist zum Beispiel etwas, das ich immer gesucht habe und was gut ankommt. Aber grundsätzlich kommt positives Feedback quer durch die Bank von allen möglichen Menschen, Muslime und Nichtmuslime.
IslamiQ: Sie sind auch sozial aktiv. Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?
Güneş-Schneider: Als Schwarze Person, als Frau und als sichtbare Muslimin habe ich nicht die Wahl, mich nicht zu engagieren. Ich wünsche mir, dass sich irgendwann nicht mehr hauptsächlich die Betroffenen engagieren müssen, sondern die Mehrheitsgesellschaft erkennt, dass Rassismus ihr Problem ist. Solange die Menschen, die in bestimmten Situationen bzw. in bestimmten Identitätsaspekten privilegiert sind, ihre Privilegien und die Ungleichheit nicht sehen und in Frage stellen, wird sich nicht viel ändern. Marginalisierte Menschen machen permanent auf Diskriminierung, Rassismus etc. aufmerksam, doch es kann sich erst strukturell etwas tun, wenn diejenigen reflektieren, bewusster handeln und Strukturen ändern, die nicht betroffen sind.
IslamiQ: Welche Hobbies haben Sie, wie gestalten Sie ihre Freizeit am liebsten.
Güneş-Schneider: Freunde und Freundinnen treffen, lesen, nähen, mit meinem Ehemann und der Familie zusammensein.
IslamiQ: Lieblingsbuch?
Güneş-Schneider: Da kann ich mich nicht festlegen, es gibt zu viele gute Bücher. Momentan aus gegebenem Anlass: „Die Hebammensprechstunde“.
IslamiQ: Ihr Lieblingsfilm?
Güneş-Schneider: Die Biografie von Malcolm X mit Denzel Washington.
IslamiQ: Was bedeutet Familie für Sie?
Güneş-Schneider: Geborgenheit, Loyalität, Liebe, Spaß, Ehrlichkeit und blind Vertrauen können/dürfen.
IslamiQ: Der schönste Moment in Ihrem Berufsleben?
Güneş-Schneider: Da das Berufsleben gerade startet, fällt mir die Antwort noch nicht schwer: die Möglichkeit mit zwei Exponaten bei der Ausstellung „Contemporary Muslim Fashions“ in Frankfurt vertreten und Teil eines Forums im Rahmen der Eröffnung gewesen zu sein.
IslamiQ: Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?
Güneş-Schneider: Da müsste man sie selber fragen. Mir wird immer wieder zurückgemeldet, dass ich eine sehr positive und lebenslustige Ausstrahlung habe.
IslamiQ: Ihr Lebensmotto?
Güneş-Schneider: „O ihr, die ihr glaubt! Steht als Zeugen für Gott ein für die Gerechtigkeit, auch wenn es gegen euch selber ist oder die Eltern und Verwandten! Ob es ein Reicher oder ein Armer ist – Gott ist beiden näher.“
IslamiQ: Können Sie sich an eine Situation erinnern, in der Sie erstmals mit der Identitätsfrage konfrontiert waren?
Güneş-Schneider: „Die“ Identitätsfrage gibt es so für mich nicht, aber ich erinnere mich an eine Situation aus meiner Kindheit, als wäre es gestern gewesen: Mein Vater, der aus Ghana ist, hat mich vom Kindergarten abgeholt. Am nächsten Tag fragten mich zwei Kinder, ob wir uns nicht waschen würden, ob unsere Haut abfärbe. Kurze Zeit später fragte mich eine alte Frau aus meinem Dorf, wie es denn sei, adoptiert zu sein, und bis heute erinnere ich mich an die Verwirrung über den Ausdruck, den ich bis dato nicht kannte, und die Steigerung meiner Verwirrung, als meine Mutter mir erklärte, was Adoption ist. Ich war vier Jahre alt.
IslamiQ: Was ist Ihr größtes Ziel in diesem Leben? Wie möchten sie es erreichen?
Güneş-Schneider: Bei allem, ob privat oder beruflich, versuche ich nach Gerechtigkeit zu streben und stets unseren Propheten Muhammad (s) und seine Ahl al-Bayt als Vorbild zu nehmen, sodass ich im Dies- und Jenseits mit reinem Gewissen vor unseren Schöpfer treten kann.
IslamiQ: Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Für sich selbst, für Ihre Familie, für alle Muslime in Europa?
Güneş-Schneider: Ein Leben in (sozialem) Frieden, mehr Selbstverwirklichung der unzähligen Talente, die wir in unseren Reihen haben. Streben nach Gerechtigkeit und mehr Fürsorge und Bewusstsein für unser Handeln, auch in den Moscheen und anderen Einrichtungen. Wir achten auf „Halal“-Fleisch, aber kaufen ausschließlich Eier aus Bodenhaltung. Halal als ganzheitliches Konzept konsequenter und ehrlicher leben, nicht zuletzt in Bezug auf Kleidung.
IslamiQ: Was muss passieren, damit Muslime als selbstverständlicher Teil Deutschlands angesehen werden?
Güneş-Schneider: Für mich sind Muslime ein selbstverständlicher Teil. Ich denke, gesellschaftlich gibt es sowohl in der Eigen- als auch Fremdwahrnehmung einiges zu tun. Zum einen gibt es strukturelle Hürden, die es zu überwinden gilt, zum anderen gibt es genug Handlungsbedarf innerhalb der Communities. Bevor wir uns permanent um Anerkennung von außen abrackern, sollten wir Ungerechtigkeiten und Missstände innerhalb unserer Gemeinden ändern, Frauen- Kinder und Jugendarbeit sinnvoll ausbauen und dafür sorgen, dass wir unsere Strukturen und Unternehmen aufbauen.