Akademiker widmen sich den wichtigen Fragen unserer Zeit. IslamiQ möchte zeigen, womit sich muslimische Akademiker aktuell beschäftigen. Heute mit Hureyre Kam über die Theodizee-Frage bei Mâturîdî.
IslamiQ: Können Sie uns kurz etwas zu Ihrer Person und ihrem akademischen Werdegang sagen?
Dr. Hureyre Kam: Ich bin 1981 in der türkischen Ägäis geboren. Als ich schulreif war, sind wir nach Berlin gezogen. Als ein Kreuzberger Junge habe ich dort meine Schullaufbahn abgeschlossen. Meinen Magister habe ich an der Freien und der Technischen Universität Berlin in den Fächern Islamwissenschaft und Philosophie erworben. 2017 bin ich mit meiner Dissertation „Das Böse als ein Gottesbeweis. Die Theodizee al-Māturīdīs im Lichte seiner Epistemologie, Kosmologie und Ontologie“ an der Goethe Universität Frankfurt promoviert. Im Anschluss hatte ich die Möglichkeit, in Frankfurt und auch in der Schweiz am dortigen Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG) an der Universität Fribourg als Post-Doc zu lehren und zu forschen. Gegenwärtig bin ich Vertretungsprofessor an der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg.
IslamiQ: Können Sie uns Ihre Dissertation kurz vorstellen?
Kam: Das Thema meiner Arbeit ist „Theodizee“. Das ist die Frage, wie wir das Üble, Böse, Schlechte in der Welt angesichts eines absoluten und guten Gottes zu erklären haben. Ich diskutiere das Problem anhand eines zentralen Textes von Mâturîdî, einem bedeutenden islamischen Theologen aus der Frühzeit (4./10. Jh.). Er lebte und wirkte in Samarkand und gehört zu einem der zentralen Figuren des sunnitischen Islams während der formativen Periode. Die theologische Schule der sog. „Mâturîdîya“ fußt auf seiner Autorität, obschon diese Schule erst einige Generationen nach ihm in Erscheinung trat. Der Großteil der Muslime in der Türkei beispielsweise identifizieren sich mit dieser Schule.
IslamiQ: Warum haben Sie dieses Thema ausgewählt? Gibt es ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?
Kam: Das ich in der Türkei geboren bin, war nicht Grund, warum ich Mâturîdî für meine Forschung gewählt habe. Es war der Umstand, dass er in seinem Ansatz zur Theodizeeproblematik einzigartig innerhalb der islamischen Theologie ist. Seine Position, dass das Böse in der Welt als ein Beweis für die Existenz eines weisen und gerechten Gottes anzusehen ist, hat mich auf Anhieb fasziniert. Ich habe das als einen „game changer“ empfunden und wollte dringend wissen, wie das denn eigentlich zu verstehen ist – ob das in sich kohärent und warum das eigentlich nicht bekannt geworden ist. Zumal Mâturîdî ja auch keine Randerscheinung innerhalb des sunnitischen Islams war.
IslamiQ: Haben Sie positive/negative Erfahrungen während Ihrer Doktorarbeit gemacht? Was treibt Sie voran?
Kam: Natürlich, viele positive und negative Erfahrungen, woran ich sehr gewachsen bin. Was mich vorantreibt? Ich habe eine große Abneigung gegen Langeweile und lerne am liebsten jeden Tag etwas Neues. Ich versuche dann eine eigene Perspektive zu den Dingen zu entwickeln und frage mich immer, was wohl dabei herauskommt, wenn ich mit einem ganz anderen, manchmal abstrus scheinenden Ansatz an die Sachen, die mich faszinieren, herangehe. Auch wenn am Ende nichts dabei rauskommen sollte, hat mir der Versuch dann Spaß gemacht.
IslamiQ: Inwieweit wird Ihre Doktorarbeit der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland nützlich sein?
Kam: Das kann ich nicht wissen. Vielleicht gar nicht und vielleicht mehr als ich erhofft habe. Bleiben wir realistisch: Niemand, der nicht gerade an einer Forschung sitzt oder ein genuines Interesse an einem bestimmten Thema hat, steht morgens auf und denkt sich „Welche Doktorarbeit will ich heute lesen?“. Ich bin froh, wenn sich meine Arbeit für die künftige Forschung als nützlich erweisen sollte.
Das Interview führte Kübra Zorlu.