Eine Schwangerschaft ist in den meisten Fällen ein Grund für große Freude. Doch manchmal kommt es anders. Im IslamiQ-Interview erklärt Frauenärztin Houaida Taraji wie Musliminnen mit dem Thema Fehlgeburt umgehen.
IslamiQ: Auf was sollte ein Frau nach einer Fehlgeburt sowohl aus medizinischer als auch religiöser Sicht achten?
Taraji: Der Verarbeitungsprozess ist sehr wichtig. Medizinisch gesehen kann eine Frau nach einer Fehlgeburt, sofern keine schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme aufgetaucht sind, wieder schwanger werden. Auch aus islamischer Sicht spricht einer zeitnahen Schwangerschaft nach einer Fehlgeburt nichts. Wichtig ist, dass sich die Frau dazu bereit fühlt. Eine Frau sollte sich schonen und die Trauer verarbeiten. Jede zweite Frau erleidet einmal in ihrem Leben eine Fehlgeburt. Wiederholte Fehlgeburten sind natürlich besonders belastend und sollten medizinisch abgeklärt werden.
IslamiQ: Was sind die häufigsten Ursachen einer Fehlgeburt?
Taraji: Die Faktoren sind sehr vielfältig. Meistens sind es Ursachen, die mit dem Embryo selbst zu tun haben. Es kann sein, dass die Frucht (Embryo) erkrankt, eine Hormonstörung oder Mangel auftaucht, so dass sich der Embryo in der Gebärmutter an einer falschen Stelle einnistet. Die Ursachen sind sehr vielfältig und haben größtenteils nie was mit der Mutter zu tun, sondern von vornerein mit dem Embryo selbst.
IslamiQ: Wie gehen vor allem Ihre muslimischen Patientinnen mit dem Thema Fehlgeburt um? Was empfehlen Sie ihnen?
Taraji: Viele meiner Patientinnen, die eine Fehlgeburt erleben mussten, sind an erster Stelle immer sehr erschüttert, egal, ob sie Musliminnen sind oder nicht. Bei meinen muslimischen Patientinnen ist häufig das Bewusstsein da, dass es Gottes Wille ist und wir Muslime dies akzeptieren müssen. Der Glaube und das Vertrauen, dass alles aus einem bestimmen Grund geschieht, gibt vor allem meinen muslimischen Patientinnen viel Hoffnung und hilft bei der Trauerbewältigung. Ich versuche ihnen klar zu machen, dass vieles nicht in unseren Händen liegt, wir keinen Einfluss auf das Geschehen nehmen können. Der Schöpfer gibt und der Schöpfer nimmt.
Zu wissen, dass Allah es am besten weiß und alles zu unserem Guten geschieht, macht es für uns viel einfacher solche Momente zu „verstehen“. Dies gilt auch für mich als Ärztin. Denn eine Fehlgeburt ist nun mal ein Verlust. Das darf und sollte man nicht klein reden. Auch meinen Patientinnen empfehle ich immer, die Trauer auszuleben und sich Zeit zu nehmen. Ein Verlust, egal welches, muss immer „gesund“ verarbeitet werden. So kann das Gebet, das Rezitieren von Koranversen oder ein Gespräch mit muslimischen Seelsorgern eine sehr große Stütze sein. Sich zu sammeln und das Geschehene zu realisieren wird Zeit in Anspruch nehmen. Jede Frau geht mit einem Verlust anders um. Daher empfehle ich auch immer, in dieser Phase, dass die Frau nur auf sich selbst konzentriert.
IslamiQ: Was sind die am häufigsten gestellten Fragen von muslimischen Frauen bei einer Fehlgeburt?
Taraji: Oft bekomme ich die Frage, warum eigentlich eine Fehlgeburt zu Stande kommt. Ob sie vielleicht religiös gesehen etwas „falsch“ gemacht haben oder ob sie religiösen Vorschriften nicht gefolgt sind. Doch viele meiner Patientinnen sind sich bewusst, was eine Fehlgeburt ist und gehen sehr gut mit dieser Situation um. Patientinnen, die sich selbst die Schuld geben, fragen: „Was hätte ich besser machen können?“, „War ich keine gute Muslimin?“, „Was habe ich falsch gemacht, dass mich Gott so bestraft?“ Das sind in der Tat nur Einzelfälle, aber leider noch vorhanden. Ich versuche dann meinen Patientinnen klar zu machen, dass alles einen höheren Sinn hat und wir nicht alles von Anfang an verstehen können.
Viele Frauen geben sich selbst die Schuld, machen sich Vorwürfe. „Hätte ich doch lieber mehr aufgepasst“ oder „Ich habe bestimmt etwas Schweres getragen“. Eine Schuldzuweisung ist weder hilfreich noch richtig. In vielen kulturell geprägten Communitys sind die Frauen noch oft die Leidtragenden. Es muss häufiger und viel offener über das Thema gesprochen werden. Es muss weiterhin aufgeklärt werden. Es darf kein Tabuthema bleiben. Ich sage es noch einmal und immer wieder: „Allah gibt und Allah nimmt. Darauf haben wir keinen Einfluss“.
IslamiQ: Wie sollte das Umfeld, wie die Familie, Freunde etc. die Frau während und nach einer Fehlgeburt unterstützen? Gibt es aus islamischer Sicht Empfehlungen und wenn ja, welche?
Taraji: An erster Stelle muss man die Frauen, die so einen Verlust erleben, ihre Trauer ausleben lassen. Das ausleben der Trauerphase nach einer Fehl- oder Todgeburt ist immer unterschiedlich. Familie und Freunde sollten den trauernden Eltern eine diskrete kompetente und einfühlsame Begleitung anbieten und auch akzeptieren, wenn die Eltern nicht darüber reden wollen. Man sollte sich mit gutgemeinten Ratschlägen zurückhalten und der Mutter auf keinen Fall Vorwürfe machen, wie z. B. „Du hättest dich mehr schonen sollen“. Die Familie und Freunde müssen den Frauen dann die Zeit geben, die sie brauchen, um bestmöglich aus ihrer Trauer rauszukommen. Viele Familienmitglieder oder Freunde können das nicht verstehen.
Das schlimmste ist, wenn die Frauen, die eine Fehl- oder Todgeburt erlitten haben, mit anderen Frauen, die keinen Verlust erleben mussten, verglichen werden. „Schau, sie hat vier gesunde Kinder. Frag sie mal, wie sie das gemacht hat“. Wichtig ist, dass man der Frau zuhört, wenn sie möchte, mit ihr spricht und sie während ihrer Trauer begleitet, ohne sie zu drängen. Es ist ein großer Verlust, und dies muss man akzeptieren und verarbeiten. Auch sollte man mit Empfehlungen, die medizinisch oder islamisch nicht wirklich vertretbar sind, vorsichtig sein. „Wenn du in dieser oder jener Nacht Geschlechtsverkehr hast, dann bleibst du bestimmt schwanger“ oder „wenn du dies und jenes isst, dann erhöht es die Fruchtbarkeit“ etc. Damit sollte man sehr vorsichtig sein.
Das Interview führte Kübra Layik.