Eine Schwangerschaft ist in den meisten Fällen ein Grund für große Freude. Doch manchmal kommt es anders. Im IslamiQ-Interview erklärt Frauenärztin Houaida Taraji wie Musliminnen mit dem Thema Fehlgeburt umgehen.
IslamiQ: Was genau ist eine Fehlgeburt?
Houaida Taraji: Es gibt zwei Formen der Fehlgeburt. Einmal gibt es den „spontanen Abort“, der durch eine Blutung, also einem spontanen Abgang des Embryos stattfindet. Dies bedeutet, dass sich die Frucht (Embryo) von der Gebärmutter löst und von alleine abgeht, was nicht mehr aufzuhalten ist. Die zweite Form der Fehlgeburt ist der „verhaltene Abort“. Die Frucht stirbt in der Gebärmutter, kann aber von alleine nicht abgehen und muss dann durch eine „Ausschabung“ entfernt werden.
IslamiQ: Was ist der Unterschied zwischen einer Fehlgeburt und einer Todgeburt?
Taraji: Die Fehlgeburt ist das vorzeitige Ende der Schwangerschaft vor der 24. Schwangerschaftswoche, wobei das Geburtsgewicht des Kindes unter 500 Gramm liegt. Bei einer Totgeburt wiegt das Kind mindestens 500 Gramm und verstirbt im Mutterleib oder während der Geburt. Das ist ca. ab der 22. Schwangerschaftswoche. Ab der 22. Woche und wenn das Kind 500 Gramm wiegt muss die Frau das Kind (meistens) auf natürlichem Wege entbinden. Der Geburtsvorgang wird dann durch künstliche Wehen eingeleitet. Das ist natürlich schmerzhaft, sowohl körperlich als auch seelisch. Ein Kaiserschnitt kommt in den häufigsten Fällen nicht in Frage, da man die Frau nicht unnötigen körperlichen Belastungen aussetzen möchte. Auch ist es nach einer natürlichen Entbindung einer Todgeburt immer leichter noch einmal schwanger zu werden. Ein „künstlicher“ Eingriff ist oft mit einem Risiko verbunden. Die Frau erholt sich in der Regel schneller und besser nach einer natürlichen Geburt.
Eine Geburt ist auch aber auch zugleich immer eine Erneuerung für den Körper. Die Frau kann, sofern es keine gesundheitlichen Komplikationen gibt, nach einer Todgeburt wieder ein Kind austragen. Ob das Kind davor tot oder mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung auf die Welt gekommen ist, spielt keine Rolle. Sofern keine genetischen Erkrankungen vorhanden sind, kann eine Frau immer nach solch einem Ereignis ein gesundes Baby auf die Welt setzen.
IslamiQ: Als Notfallverhütungsmittel wird die „Pille danach“ verwendet. Wie wirkt die Pille und ist sie islamisch unbedenklich?
Taraji: Die Funktion der „Pille danach“ ist es, den Eisprung zu verschieben. Sie verhindert nicht die Einnistung des Embryos, sondern lediglich die Verschiebung des Eisprunges. So kann das Ei nicht befruchtet werden. Fälschlicherweise wird oft geglaubt, dass die Frucht (Embryo) mit der „Pille danach“ abgetrieben wird. Das ist nicht der Fall. Es kommt erst gar nicht zu einer Befruchtung. Wenn man jedoch schon den Eisprung hatte, wirkt die „Pille danach“ auch nicht.
Islamisch gesehen ist es unbedenklich diese Methode anzuwenden. Es ist wie die „normale Pille“. Alles was die Schwangerschaft „kontrolliert“, ist erlaubt. Dazu gehören alle Verhütungsmittel. Auch der Gedanke, dass die Pille islamisch nicht begründbar sei, wird nicht mehr vertreten. Alle Verhütungsmethoden sind erlaubt. Und das Wissen dazu ist bei fasst all meinen muslimischen Patientinnen vorhanden.
IslamiQ: Bei einer Fehlgeburt wird entweder der Fötus mit Hilfe von Medikamenten auf natürlichem Wege ausgeschieden (Blutung) oder operativ ausgeschabt. Welche Methode ist islamisch eher vertretbar?
Taraji: Beide Methoden sind islamisch vertretbar, da es sich um einen unumgänglichen Vorgang handelt. Das Medikament kann nur bis zur sechsten Woche angewandt werden. Ab der sechsten Woche muss der Embryo „ausgeschabt“ werden. Natürlich ist es immer am gesündesten, wenn der Embryo durch eine Blutung ausgeschieden wird, da ein äußerlicher Eingriff die Frau körperlich immer mehr belastet als der natürlichere Weg. Aber wenn der Embryo nach der sechsten Woche nicht überlebensfähig ist, das Herz nicht mehr schlägt, muss er ausgeschabt werden. Wenn dies nicht geschieht, wird die Mutter durch den verstorbenen Embryo vergiftet. Im schlimmsten Fall kann die Frau an den Folgen sterben. Dies ist jedoch nur selten der Fall, da eine Fehlgeburt sehr schnell erkannt wird. Sei es durch eine Blutung bei der Frau, Schmerzen oder während einer ärztlichen Untersuchung. Dann wird auch relativ schnell eingegriffen und gehandelt.
IslamiQ: Ab wann sollte ein Fötus islamisch bestattet werden? Und wie läuft das ab?
Taraji: Eine Tod- bzw. Fehlgeburt ist erst ab einem Gewicht von 500 Gramm bestattungspflichtig. Bestattungspflichtig bedeutet, dass die Bestattung vom Fötus rechtmäßig und ordnungsgemäß von einem Bestattungsinstitut durchgeführt werden muss. Jedes Baby, das im Mutterleib verstorben ist, wird nach islamischem Recht rituell gewaschen, parfümiert und in drei weiße Baumwolltücher eingekleidet. Das muslimische Totengebet wird allerdings nur bei den Tot- und Fehlgeburten durchgeführt, die einige Lebenszeichen nach der Geburt von sich gegeben haben wie z. B. Weinen, Schluckauf, Schreien usw.
IslamiQ: Wie sehen Sie als muslimische Ärztin den Status eines ungeborenen Kindes?
Taraji: Nach islamischem Glauben gehören gestorbene Kinder, Totgeborene sowie Fehlgeburten ins Paradies. Am Tag der Auferstehung werden die Menschen von ihren Gräbern auferweckt und die Kinder werden im Zustand der Kindlichkeit und Jugend sein. Sie werden für ihre Eltern Fürsprache halten, damit auch sie, durch Allahs Barmherzigkeit den Kindern gegenüber, in das Paradies eingelassen werden. So wird es uns Muslimen vermittelt, und daraus schöpfen wir Hoffnung. Ein Verlust ist nicht immer gleich ein Verlust. Denn der Schöpfer weiß es am besten, und was er gibt, das kann er auch wieder nehmen.