Experten warnen vor einem neuen gewalttätigen Rechtsextremismus aus dem Internet. Besonders erfolgreich seien Verschwörungstheorien unter Rechtsextremisten.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat den Rechtsextremismus als die „größte Gefahr für die innere Sicherheit in unserem Land“ genannt. „Neu ist der bewaffnete Angriff auf Vertreter des Staates“, sagte Reul am Montag bei einer Fachtagung über Rechtsextremismus in Düsseldorf – mit Blick auf den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU). „Der rechtsextreme Terror ist eine ernsthafte Gefahr.“
Nach einer weltweiten Serie von rechtsextremen Anschlägen, zuletzt in Halle, warnten Experten in Düsseldorf vor neuen Tätertypen: Vom „psychisch stark gestörten“ Rechtsextremen wie dem Attentäter von München bis zu „einsamen Wölfen“, bislang unbekannten Attentätern wie dem in Halle, die sich anscheinend ausschließlich über das Internet radikalisierten.
Zwar sei die Zahl der Rechtsextremen im bevölkerungsreichsten Bundesland mit 3255 zuletzt gesunken, aber die Zunahme antisemitischer Gewalttaten in NRW von 6 (2017) auf 16 im Jahr 2018 sei besorgniserregend, sagte Reul. Es gebe außerdem Radikalisierte in der Szene, die Endzeit- und Bürgerkriegsszenarien entwerfen und zur Bewaffnung aufrufen. Ein „richtiges Problem“ sei, dass sich die AfD nicht klar von der Neuen Rechten abgrenze, sagte Reul.
Professor Peter Neumann, London, warnte vor einem neuen Rechtsextremismus, der sich als Verteidiger westlicher Werte aufspiele. Remigration sei nur ein hippes Wort für „Reinhaltung der Rasse“. Auch unter dem scheinbar fortschrittlichen Begriff des Ethno-Pluralismus verberge sich nichts anderes als die alte Ideologie der Rassentrennung.
Besonders erfolgreich sei die Neue Rechte mit der Verschwörungstheorie des Bevölkerungsaustauschs, wonach die Eliten heimlich einen Austausch der heimischen Bevölkerung Europas betrieben und deshalb ein europäischer Bürgerkrieg unausweichlich sei. „Der große Austausch“ sei ein Thema der rechtsradikalen Identitären Bewegung. Rechtsextreme Attentäter wie Anders Breivik seien von dieser Ideologie getrieben.
Weltweit nähmen rechtsextreme Terroristen aufeinander Bezug. So habe der Attentäter von Halle sein „Manifest“ nicht zufällig in englischer Sprache verfasst. Einsame junge Männer versuchten in die Attentäter-Hitlisten von Internet-Foren zu kommen – je mehr Menschen sie töten, desto höher der Rang.
„Die rechtsextreme Szene ist gewaltbereiter geworden“, sagte Terrorismusforscher Neumann, der vor einem extremistischen Teufelskreis warnte: So bezögen sich rechtsextreme Terroristen auf andere Anschläge, um ihre eigenen Terrorakte wie auf die Moschee in Neuseeland zu rechtfertigen.
Neumann warnte auch vor der rechtsextremen Gruppe „Atomwaffen Division“, die in den USA bereits neun Menschen umgebracht habe. Ein angeblicher deutscher Ableger der Gruppe zeichnete für die jüngsten Morddrohungen gegen Cem Özdemir und Claudia Roth (beide Grüne) verantwortlich.
Christoph Busch vom NRW-Verfassungsschutz sagte, auch der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke verbreite die rechtsextremen Denkmuster, wenn er Flüchtlinge als „Migrationswaffe zur Destabilisierung Europas“ bezeichne, oder Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterstelle, sie führe mit der Zuwanderung möglicherweise einen „geopolitischen Plan“ durch.
Altenas Bürgermeister Andreas Hollstein (CDU) warnte vor den massenhaften und zunehmenden Drohungen der rechtsextremen Szene. Psychisch labile Menschen wie der Mann, der ihn angegriffen habe, seien besonders anfällig für Fanatismus. „Ich kann verstehen, wenn Lokalpolitiker den Druck nicht aushalten und sich aus der Politik zurückziehen“, sagte Hollstein, der selbst Opfer eines Angriffs wurde.
„Die Rechtsradikalen haben gemerkt, dass sie leicht zu verunsichernde Ziele sind. Das ist eine ganz gefährliche Entwicklung.“ Die Gruppe „Staatsstreichorchester“ habe auch ihm den Tod bis Ende des Jahres angekündigt. „Wir werden sehen“, sagte Hollstein. (dpa/iQ)