Halal-Tourismus

Reisen ohne Verzicht oder für Allah?!

Mit dem Halal-Tourismus können Muslime sorgenfrei im Urlaub ihren religiösen Pflichten nachkommen, ohne Kompromisse eingehen zu müssen. Warum die Reise halal, aber nicht unbedingt „religiös“ ist, erklärt unsere Autorin.

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2019
Symbolbild: Halal-Tourismus © Shutterstock, bearbeitet by iQ.
Symbolbild: Halal-Tourismus © Shutterstock, bearbeitet by iQ.

Es ist ein millionenschweres Geschäft mit enormem wirtschaftlichem Potenzial: Der Halal-Tourismus boomt! Immer mehr, vor allem junge Muslime wollen im Urlaub auf nichts verzichten. Gleichzeitig möchten sie jedoch die Regeln, die ihnen ihr Glaube auferlegt, nicht brechen oder sich darum sorgen müssen, dass das gelingt. Muslimischen Reisenden ist es wichtig, im Hotel oder im Restaurant die islamischen Hygienevorschriften einhalten zu können, im Hotel oder der unmittelbaren Umgebung der Unterkunft ausschließlich erlaubtes Essen und Getränke serviert zu bekommen. Sie möchten adäquate Gebetsmöglichkeiten zur Verfügung haben und Moscheen in der Nähe. Sie legen Wert auf Sittlichkeit im Hotel und möchten nicht, dass dort Alkohol ausgeschenkt wird. Vor allem erfreuen sich viele Muslime über geschlechtergetrennte Freizeitbereiche wie Strände, Swimmingpools und Wellnessbereiche.

Die Branche wächst schnell: Waren es laut des Global Muslim Travel Index 2018 (S. 3) im Jahre 2000 noch 25 Millionen Halal-Touristen, wird die Zahl für 2020 auf 158 Millionen Halal-Besucher mit einem Marktwert von 220 Milliarden US-Dollar geschätzt. Bis 2026 sollen die Ausgaben für Halal-Reisen so auf 300 Milliarden US-Dollar ansteigen.

Der Türkeiurlaub – Wellness statt Familie?

Halal-Touristen kommen vor allem aus Saudi-Arabien. Diese Personengruppe hat eine enorme Kaufkraft und es verwundert kaum, dass die Industrie hier hellhörig wird. Doch auch Muslime aus Deutschland gehören zu den Spitzenreitern. Aus keinem Land, das nicht Mitglied der OIC ist, kommen mehr Halal-Urlauber. Als beliebtestes Reiseziel steht an dritter Stelle die Türkei. Für viele Muslime sus Deutschland sie nicht nur ein beliebtes Urlaubsziel, sondern in erster Linie Heimat, wo Familie und Verwandtschaft leben. Dort finden sich auch die Ursprünge des Halal-Tourismus. Laut dem Marketing Director von “Halal Booking”, Tarek Rushdi erkannten einige Hotelbesitzer dort schon vor Jahren, dass die Bedürfnisse von Muslimen oft nicht erfüllt wurden und begannen damit, Halal-Fleisch anzubieten, keinen Alkohol mehr zu servieren und separate Wellness- und Poolbereiche anzubieten. Mittlerweile gibt es in der Türkei über 50 Halal-Hotels, 20 davon allein in Antalya.  War es für die türkische Diaspora in Deutschland früher noch Gang und Gäbe, dass man die Ferien dazu nutzte, die Familie in der Türkei zu besuchen, entscheiden sich die jüngeren Generationen der Muslime dazu, lieber in ein Hotel mit schariakonformem Service zu reisen. Nur 43 Prozent der befragten Halal-Touristen gaben im Millenial Muslim Travel Report 2017 an, aufgrund von Freundschafts- und Familienbesuchen zu reisen.

Erholung ist erlaubt, aber…

Natürlich ist es eine große Errungenschaft für Muslime, wenn sie auf ihren Reisen ihren religiösen Pflichten nachkommen können und es Angebote gibt, die ihnen die Reise erleichtern. Doch gleichzeitig darf nicht vergessen werden, dass es sich hier um eine Industrie handelt, die den Begriff „Halal“ kommerzialisiert und aus dem Schariakonformen ein Geschäft macht. Es gibt bereits jetzt umfangreiche Studien über diese neue Zielgruppe – vor allem junge, kosmopolitische Muslime sind für die Tourismusbranche interessant. Diese zunehmend finanzkräftige und rasant wachsende Zielgruppe ist vielversprechend für die Branche.

Ohne Zweifel ist es vorteilhaft, wenn Muslime Halal-Angebote wahrnehmen können, anstatt Kompromisse einzugehen und eventuell sogar Regeln brechen, damit sie auf nichts verzichten müssen. Gleichzeitig sollte man aber nicht vergessen, dass etwas, das halal ist, aus religiöser Perspektive lediglich nicht verboten ist und durch den Konsum des Erlaubten kein göttliches Gebot gebrochen wird. Viele Dinge des Alltags sind also halal, deshalb aber nicht unbedingt religiös notwendig. Wenn wir beispielsweise nach Mekka oder Medina reisen, um die Umra zu verrichten, dann ist dies eine islamische Reise. 93 Prozent der befragten jungen Halal-Touristen gaben als Grund ihrer Reise aber Erholung oder Freizeitaktivitäten an. Das ist erstmal nicht verkehrt, aber islamisch ist es eben auch nicht. Die Beweggründe für die Reise sind nicht religiöser Natur. Das sollte nicht verwechselt werden.

Allah ruft uns zum Reisen auf, um ihm näher zu kommen

Als Muslime werden wir von Allah jedoch im Koran dazu angehalten, aus anderen Gründen zu reisen: Allah sagt in Sure Hadsch, Vers 46: “Reisen sie denn nicht auf der Erde umher, so dass sie Herzen bekommen, mit denen sie begreifen, oder Ohren, mit denen sie hören? Denn nicht die Blicke sind blind, sondern blind sind die Herzen, die in den Brüsten sind.” Für Muslime geht es beim Reisen im Wesentlichen nicht darum, Zugang zu Dienstleistungen zu haben, die der Scharia entsprechen, sondern es geht um viel mehr: um Bewusstseinserweiterung, Erkenntnis und das Streben nach Wissen. Dieses Postulat ist wichtig und sollte ernst genommen werden. So mag eine Halal-Reise suggerieren, dass man als Tourist im Sinne von Allah handelt, jedoch geht man in einem klassischen Halal-Urlaub Aktivitäten nach, die zwar regenerierend sein können, jedoch eher wenig zur Bewusstseinserweiterung beitragen. Es ist gemütlich und beschränkt sich normalerweise auf das Gelände der Hotelanlage. Gleichzeitig ist auch die richtige Absicht einer Reise wichtig dafür, ob sie religiöser Natur ist oder eben nicht. Allah fordert uns im Qur’an an mehreren Stellen dazu auf, für Sein Wohlgefallen zu reisen und dankbar zu werden. Wie beispielsweise in Sure Dschasiya, Vers 12: “Allah ist es, der euch das Meer dienstbar gemacht hat, damit die Schiffe darauf auf Seinen Befehl fahren und damit ihr nach etwas von Seiner Huld trachtet, und auf dass ihr dankbar sein möget.” Halal-Touristen reisen jedoch weniger, um Allahs Huld zu erlangen, sondern wohl eher, um sich von den Strapazen des Alltags zu erholen. Ob sie dadurch dankbarer werden, sei dahingestellt.

Der Halal-Tourismus hat Muslimen die Möglichkeit gegeben, nach ihren eigenen Bedürfnissen und Ansprüchen sorgenfrei in den Urlaub zu fahren und dort trotz ihrer Glaubenspraxis auf nichts verzichten zu müssen. Die Tourismusindustrie hat sich dieses Potenzial zunutze gemacht und benutzt diese islamische Begrifflichkeit, um einen ganz neuen Markt zu erschließen. Es ist nicht falsch, sich unbeschwert zu erholen und dabei auf nichts verzichten zu wollen, jedoch entsteht daraus der Widerspruch, dass hier ein Begriff des Islams genutzt wird, was die Menschen ihrer Religion nicht unbedingt näherbringt und keinen spirituellen Mehrwert für die Reisenden hat. Nämlich das Streben nach Wissen und Erkenntnis sowie das Pflegen der Familienbande. Halal ist die Reise vielleicht, aber religiös ist sie nicht. Das muss jedem bewusst sein.

Leserkommentare

Brad Lewis sagt:
Am liebsten wäre mir ein halal-freies Europa. Ohne Halal-Tourismus, ohne Halal-Kommerz, ohne Halal-Business und ohne Halal-Zwang auf allen Ebenen. Echte Religiosität und Spiritualität sind etwas ganz anderes.
10.11.19
23:41
Nahla Osman sagt:
Danke für den Artikel, aber ich muss widersprechen/ wir - 6 Kinder mit jeweils einer eigenen Familie, nutzen jedes Jahr diese Möglichkeit, um mit unseren Familien und vor allem Eltern 7 Tage gemeinsam - auch gemeinsame Gebete und Hadithstunde - zu nutzen, weil wir gerade für gemeinsame spirituelle pflege der Familienbande in Deutschland kaum Zeit finden..
11.11.19
7:25
Emanuel Schaub sagt:
Ohne einen Meter auch nur verreist zu sein ,habe ich in den Augen eines Fussamputierten "Bettler" ,die unbeschreibliche Dankbarkeit für meine Gabe(1euro) gesehen und als wäre ich nach welchen "heiligen" Ort (Mekka / Lourdes etc.pp gemacht!! Was natürlich niemanden an seiner Art Spirituallität durch Reisen zu erreichen ,kritisieren soll, (Die weniger "Betuchten" wären oft schon für ein paar Tage in einem heimische Urlaubsort dankbar ohne gleich perfekten Srvic zu erwarten...) gruß emanuel
11.11.19
12:28
Dilaver Çelik sagt:
Strand- oder Hotelurlaub bei 40 Grad Hitze hat mit Entspannung wirklich nichts zu tun. Das ist Stress für den Körper. Wer in der Türkei Urlaub machen will, soll lieber seine Verwandten besuchen oder eine Kulturrundreise machen. Oder beides zusammen. Da gibt es genug zu entdecken als nur Hotelanlagen.
11.11.19
16:16
Harousch sagt:
Das finanzielle Potenzial der Halalreisen ist ja wirklich nicht zu verachten, zumal die zahlenden Gäste -Muslima und Muslime- plötzlich überall willkommen sind.Das erinnert mich an eine Zeit, ein Jahrzehnt zurück, als man noch über die Chinesen, ihre Lebensart, ihre Kultur, Ihr Aussehen usw. noch bei öffentlichen Diffamierungen feierte und heute ihnen schwanzwedelnd hinterher rennt, weil Sie ganze Landstriche, Anteile renommierter Unternehmen, wie etwa Mercedes einkaufen und zwar nicht nur in Deutschland. Zudem kommen immense Summen auf dem Immobilienmarkt zusammen.Jetzt kommen die Araber: „Die einst als Kameltreiber und Wüstennomaden verschrienen Menschen mit dem dicken Geldbeutel.“ Und plötzlich ist man der beste Gastgeber der Welt, weltoffen, freundlich und respektvoll.... Ich persönlich boykottiere alles Saudische..... Kriegerische Auseinandersetzungen mit dem Iran, Finanzierung der Waffengeschäfte auf dem Rücken und mit dem Geld der PilgerfahrerInnen, politische Destabilisierung im Nahen Osten, Selbstbezogenheit in jeglicher Sicht, trotz des vorhandenen Potenzials positiv auf die politische Landschaft in muslimisch geprägten Ländern Einfluss nehmen zu können....Auch wenn ich den exkludierenden Charakter der Halalreisen als eher skeptisch ansehe, liegen die Vorteile zugunsten einer stabilen Identitätsbildung muslimischer Völker und ihrer Nachkommen klar auf der Hand. Wünschen würde ich mir eine Bewegung, bei der mehr Aufmerksamkeit in Richtung Bildung, Pädagogik, Kultur, Geschichte, Geistes- und Naturwissenschaften usw. zukommt.Bildung ist zwar nicht der Garant für mehr Menschlichkeit, aber in den meisten Fällen und jedenfalls für mehr Erfolg und somit Zufriedenheit. Was die Frage nach der Kompatibilität mit der Religion angeht, bin ich stark dafür die Moschee/Massjid einfach mal im Dorf/Qariya zu lassen. Diese ständige Ver-Religiösisierung von Jedem und Allem geht mir voll gegen den Strich. Wenn Allah uns auf die Welt gesetzt hat, dann sicherlich nicht dafür damit wir uns ständig in Schuldgefühlen wälzend von einem unglücklichen Moment zum nächsten hangeln, weil Allah uns anscheinend/angeblich dazu verdonnert hat uns von jeglichem Gefühl der Glückseligkeit fernzuhalten, damit wir dann im Jenseits auf unsere Kosten kommen, während die Sünder Jahrtausende lang im Höllenfeuer unermessliche Qualen erleiden werden. Allah hat bestimmt nichts gegen glückliche Menschen, die die Liebe Gottes weitergeben und im Jetzt leben.
12.11.19
9:36