Mit dem Halal-Tourismus können Muslime sorgenfrei im Urlaub ihren religiösen Pflichten nachkommen, ohne Kompromisse eingehen zu müssen. Warum die Reise halal, aber nicht unbedingt „religiös“ ist, erklärt unsere Autorin.
Es ist ein millionenschweres Geschäft mit enormem wirtschaftlichem Potenzial: Der Halal-Tourismus boomt! Immer mehr, vor allem junge Muslime wollen im Urlaub auf nichts verzichten. Gleichzeitig möchten sie jedoch die Regeln, die ihnen ihr Glaube auferlegt, nicht brechen oder sich darum sorgen müssen, dass das gelingt. Muslimischen Reisenden ist es wichtig, im Hotel oder im Restaurant die islamischen Hygienevorschriften einhalten zu können, im Hotel oder der unmittelbaren Umgebung der Unterkunft ausschließlich erlaubtes Essen und Getränke serviert zu bekommen. Sie möchten adäquate Gebetsmöglichkeiten zur Verfügung haben und Moscheen in der Nähe. Sie legen Wert auf Sittlichkeit im Hotel und möchten nicht, dass dort Alkohol ausgeschenkt wird. Vor allem erfreuen sich viele Muslime über geschlechtergetrennte Freizeitbereiche wie Strände, Swimmingpools und Wellnessbereiche.
Die Branche wächst schnell: Waren es laut des Global Muslim Travel Index 2018 (S. 3) im Jahre 2000 noch 25 Millionen Halal-Touristen, wird die Zahl für 2020 auf 158 Millionen Halal-Besucher mit einem Marktwert von 220 Milliarden US-Dollar geschätzt. Bis 2026 sollen die Ausgaben für Halal-Reisen so auf 300 Milliarden US-Dollar ansteigen.
Halal-Touristen kommen vor allem aus Saudi-Arabien. Diese Personengruppe hat eine enorme Kaufkraft und es verwundert kaum, dass die Industrie hier hellhörig wird. Doch auch Muslime aus Deutschland gehören zu den Spitzenreitern. Aus keinem Land, das nicht Mitglied der OIC ist, kommen mehr Halal-Urlauber. Als beliebtestes Reiseziel steht an dritter Stelle die Türkei. Für viele Muslime sus Deutschland sie nicht nur ein beliebtes Urlaubsziel, sondern in erster Linie Heimat, wo Familie und Verwandtschaft leben. Dort finden sich auch die Ursprünge des Halal-Tourismus. Laut dem Marketing Director von “Halal Booking”, Tarek Rushdi erkannten einige Hotelbesitzer dort schon vor Jahren, dass die Bedürfnisse von Muslimen oft nicht erfüllt wurden und begannen damit, Halal-Fleisch anzubieten, keinen Alkohol mehr zu servieren und separate Wellness- und Poolbereiche anzubieten. Mittlerweile gibt es in der Türkei über 50 Halal-Hotels, 20 davon allein in Antalya. War es für die türkische Diaspora in Deutschland früher noch Gang und Gäbe, dass man die Ferien dazu nutzte, die Familie in der Türkei zu besuchen, entscheiden sich die jüngeren Generationen der Muslime dazu, lieber in ein Hotel mit schariakonformem Service zu reisen. Nur 43 Prozent der befragten Halal-Touristen gaben im Millenial Muslim Travel Report 2017 an, aufgrund von Freundschafts- und Familienbesuchen zu reisen.
Natürlich ist es eine große Errungenschaft für Muslime, wenn sie auf ihren Reisen ihren religiösen Pflichten nachkommen können und es Angebote gibt, die ihnen die Reise erleichtern. Doch gleichzeitig darf nicht vergessen werden, dass es sich hier um eine Industrie handelt, die den Begriff „Halal“ kommerzialisiert und aus dem Schariakonformen ein Geschäft macht. Es gibt bereits jetzt umfangreiche Studien über diese neue Zielgruppe – vor allem junge, kosmopolitische Muslime sind für die Tourismusbranche interessant. Diese zunehmend finanzkräftige und rasant wachsende Zielgruppe ist vielversprechend für die Branche.
Ohne Zweifel ist es vorteilhaft, wenn Muslime Halal-Angebote wahrnehmen können, anstatt Kompromisse einzugehen und eventuell sogar Regeln brechen, damit sie auf nichts verzichten müssen. Gleichzeitig sollte man aber nicht vergessen, dass etwas, das halal ist, aus religiöser Perspektive lediglich nicht verboten ist und durch den Konsum des Erlaubten kein göttliches Gebot gebrochen wird. Viele Dinge des Alltags sind also halal, deshalb aber nicht unbedingt religiös notwendig. Wenn wir beispielsweise nach Mekka oder Medina reisen, um die Umra zu verrichten, dann ist dies eine islamische Reise. 93 Prozent der befragten jungen Halal-Touristen gaben als Grund ihrer Reise aber Erholung oder Freizeitaktivitäten an. Das ist erstmal nicht verkehrt, aber islamisch ist es eben auch nicht. Die Beweggründe für die Reise sind nicht religiöser Natur. Das sollte nicht verwechselt werden.
Als Muslime werden wir von Allah jedoch im Koran dazu angehalten, aus anderen Gründen zu reisen: Allah sagt in Sure Hadsch, Vers 46: “Reisen sie denn nicht auf der Erde umher, so dass sie Herzen bekommen, mit denen sie begreifen, oder Ohren, mit denen sie hören? Denn nicht die Blicke sind blind, sondern blind sind die Herzen, die in den Brüsten sind.” Für Muslime geht es beim Reisen im Wesentlichen nicht darum, Zugang zu Dienstleistungen zu haben, die der Scharia entsprechen, sondern es geht um viel mehr: um Bewusstseinserweiterung, Erkenntnis und das Streben nach Wissen. Dieses Postulat ist wichtig und sollte ernst genommen werden. So mag eine Halal-Reise suggerieren, dass man als Tourist im Sinne von Allah handelt, jedoch geht man in einem klassischen Halal-Urlaub Aktivitäten nach, die zwar regenerierend sein können, jedoch eher wenig zur Bewusstseinserweiterung beitragen. Es ist gemütlich und beschränkt sich normalerweise auf das Gelände der Hotelanlage. Gleichzeitig ist auch die richtige Absicht einer Reise wichtig dafür, ob sie religiöser Natur ist oder eben nicht. Allah fordert uns im Qur’an an mehreren Stellen dazu auf, für Sein Wohlgefallen zu reisen und dankbar zu werden. Wie beispielsweise in Sure Dschasiya, Vers 12: “Allah ist es, der euch das Meer dienstbar gemacht hat, damit die Schiffe darauf auf Seinen Befehl fahren und damit ihr nach etwas von Seiner Huld trachtet, und auf dass ihr dankbar sein möget.” Halal-Touristen reisen jedoch weniger, um Allahs Huld zu erlangen, sondern wohl eher, um sich von den Strapazen des Alltags zu erholen. Ob sie dadurch dankbarer werden, sei dahingestellt.
Der Halal-Tourismus hat Muslimen die Möglichkeit gegeben, nach ihren eigenen Bedürfnissen und Ansprüchen sorgenfrei in den Urlaub zu fahren und dort trotz ihrer Glaubenspraxis auf nichts verzichten zu müssen. Die Tourismusindustrie hat sich dieses Potenzial zunutze gemacht und benutzt diese islamische Begrifflichkeit, um einen ganz neuen Markt zu erschließen. Es ist nicht falsch, sich unbeschwert zu erholen und dabei auf nichts verzichten zu wollen, jedoch entsteht daraus der Widerspruch, dass hier ein Begriff des Islams genutzt wird, was die Menschen ihrer Religion nicht unbedingt näherbringt und keinen spirituellen Mehrwert für die Reisenden hat. Nämlich das Streben nach Wissen und Erkenntnis sowie das Pflegen der Familienbande. Halal ist die Reise vielleicht, aber religiös ist sie nicht. Das muss jedem bewusst sein.