Der ARD-Film „Islam.Macht.Schule.“ ist ein gutes Beispiel für Framing zum Thema Islam. Alicia Kleer hat die Dokumentation für IslamiQ analysiert.
Insgesamt erscheint der ARD-Film „Islam.Macht.Schule“ ausgewogen. Diverse Akteur*innen kommen zu Wort, unterschiedliche Meinungen werden repräsentiert. Guter Journalismus könnte man sagen – auf den ersten Blick.
Betrachtet man allerdings bereits den Titel genauer, wird das Ganze etwas eigenartig. Was lässt sich alles hineininterpretieren in das Wortspiel „Islam.Macht.Schule“? Islam macht Schule? Oder Islam hat Macht über die Schule? In jedem Fall bleiben Islam und Macht hängen. Ein altbekanntes Muster: Der Einfluss des Islams in Deutschland sei zu groß, die Islamisierung des Abendlandes… Dazu kommt der Untertitel: „Streit um den islamischen Religionsunterricht“. Egal um was es im konkreten Fall geht – alle Themen mit vermeintlichem Islambezug stehen erst einmal unter dem Problemframe: Irgendwas stimmt nicht.
Ganz eindeutig problematisch ist das Intro des Beitrags: Bilder von bärtigen Männern, IS-Flaggen, Maschinengewehre. Die Sprecherin kommentiert: „Seit etwa 20 Jahren sehen wir solche Bilder. Die Folge: Viele Menschen setzen den Islam mit Aggressivität, Gewalt und Krieg gleich.“ Schnitt: Schüler*innen betreten ein Klassenzimmer, während die Sprecherin sagt: „Eine neue Generation junger Muslime will dieses Bild korrigieren – dafür wollen sie die Fesseln der religiösen Tradition ablegen.“
An diesem Einstieg lässt sich exemplarisch zeigen, wie die Darstellung von Themen mit (vermeintlichem) Islambezug in deutschen Medien – mit wenigen Ausnahmen – funktioniert. Als erstes werden Bilder des IS gezeigt. Durch den Kommentar der Sprecherin wird eingeordnet: So sehen wir den Islam im Fernsehen normalerweise – hier wollen wir es anders machen. Allerdings bleibt die Frage: Wieso zeigt man diese Bilder überhaupt, wenn sie doch mit dem eigentlichen Thema, islamischer Religionsunterricht (IRU) an deutschen Schulen und Universitäten, überhaupt nichts zu tun haben? Erklärt wird damit nichts. Verstärkt wird allerdings die assoziative Verknüpfung von Islam und Terror. Nicht nur, weil die zwei Szenen – IS und Schüler*innen im Klassenzimmer – unmittelbar hintereinander gezeigt werden und so das Gefühl eines Zusammenhangs erzeugt wird, sondern auch, weil die gleiche bedrohliche Musik aus Szene eins in Szene zwei weitergespielt wird. So geht Framing. Zudem betreten die Schüler*innen in Zeitlupe das Klassenzimmer, was zusätzlich den Effekt einer Bedrohung erzeugt, der der Szene eigentlich nicht angemessen ist.
Beide Effekte – Zeitlupe und bedrohliche Musik – sind Stilmittel, die durch den ganzen Film hinweg verwendet werden. Die Musik variiert jedoch: Hin und wieder versucht man es auch mit „orientalisch“ klingenden Tönen. Damit wird verfremdet, orientalisiert, das Gezeigte „woanders“ verortet.
Eine weitere Problematik besteht in der starken Verallgemeinerung und Dichotomisierung. Auf der einen Seite stehen die „liberalen“, auf der anderen Seite die „konservativen“, wahlweise auch „traditionellen“ Muslim*innen. Dabei zerreißt anscheinend „der innere Kampf zwischen dem strengen Glauben und ihrem Wunsch nach einem modernen Leben“ die Herzen der Liberalen. Der Wunsch nach diesem modernen Leben wird scheinbar vor allem von „den eigenen Leuten“ verhindert: „Weil die Liberalen traditionelle Grenzen aufbrechen, ziehen sie die Wut der Konservativen auf sich.“
Aber wann ist man liberal und wann konservativ? Und wer entscheidet das? Wie kommt man auf die Idee, dass sich das so leicht einteilen ließe? Was ist mit anderen innerislamischen Verortungen, wie verschiedenen muslimischen Strömungen?
Konservativ und traditionell scheinen grundsätzlich alle Eltern der Schüler*innen und Student*innen zu sein, sowie alle Moscheen. Diesen Effekt erzeugen etliche Kommentare der Sprecherin: „Der Islamunterricht hilft den Schülern ihren Glauben zu reflektieren. Hier können sie Fragen loswerden, die sie sich zu Hause, oder in der Moschee nicht trauen zu stellen.“ Sowie: „Bernd Bauknecht ist sich sicher: Alle muslimischen Schüler sollten islamischen Religionsunterricht bekommen. Denn das Wissen über die Religion schützt vor Extremismus.“ Und zuletzt: „In NRW wird er [Islamunterricht] jetzt ausgebaut. Für Bernd Bauknecht ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Er hofft, dass in Zukunft mehr jungen deutschen Muslimen geholfen wird, ihre Identität zu finden und damit verhindert werden kann, dass sie in die Arme von religiösen Extremisten geraten.“
Die liberale Mehrheit wird zwar beteuert, gleichzeitig wird jedoch immer wieder die Übermacht der Konservativen betont und die Liberalen als Ausnahme dargestellt. So wirkt es, als sei doch die Mehrheit der Muslim*innen den Konservativen zuzuordnen. Ihre Macht scheint sich in den Moscheen zu ballen: „Köln-Ehrenfeld: Eine imposante Moschee mitten im Viertel. Ein Ort zum Beten und ein Ort der Macht.“
Über die Moschee, in der der Vater von Müberra Yıldız, einer angehenden Islamlehrerin betet, heißt es: „Hier gelten die alten Regeln noch. Wer sich an die religiösen Gebote hält, wird anerkannt. Wer die Gebote missachtet ausgeschlossen. Dieser einfache Grundsatz hält die traditionellen Muslime zusammen. Hier spricht man eine einfache Sprache.“ Dabei kritisiert besagter Vater ganz richtig: In Universitäten wird eine Sprache gesprochen, zu der nicht alle Zugang haben. Der Kommentar der Sprecherin degradiert die Moscheebesucher jedoch eindeutig als einfältig.
Dass der Rückzug der Generation der Gastarbeiter*innen in die Moscheen auch etwas damit zu tun haben könnte, dass keinerlei Versuche veranstaltet wurden, sie in der Mehrheitsgesellschaft einzuschließen, wird in dem Film nicht erwähnt. Hier wird ein sehr klassisches, stereotypes Bild bestätigt: „Die“ leben in einer Parallelgesellschaft, weil sie es gerne so möchten.
Die Auseinandersetzungen der angehenden Islamlehrerin Yıldız mit ihrem Vater werden ausschließlich entlang dem Erklärungsmuster „unterschiedliche Islamvorstellungen“ erläutert, obwohl es sich dabei sicher ebenso sehr um einen klassischen Generationenkonflikt handelt. Das ist exemplarisch dafür, dass alles, was „mit Islam zu tun hat“ ausschließlich über die Kategorie Islam interpretiert und analysiert wird. Parallelgesellschaft weil Islam, Krieg weil Islam, Hass weil Islam. Sozioökonomische Faktoren werden ausgeblendet. Islam als Erklärung erscheint ausreichend.
An einer weiteren Stelle wird das Gesagte durch die Einordnung der Erzählerin ebenfalls in ein negatives Licht gerückt. Nurhan Soykan, Mitglied des Koordinationsrates der Muslime, erklärt: „Jeder darf seine Ansichten haben, aber ich bin auch dafür, dass zum Beispiel eine Organisation, die eine andere theologische Auslegung hat und ein anderes Bekenntnis hat als wir ihren eigenen Religionsunterricht bekommt.“ Die Sprecherin kommentiert: „Im Klartext heißt das: Die Konservativen wollen ihren eigenen Religionsunterricht. Die liberalen Verbände sollen draußen bleiben.“ Das ist eine mögliche Interpretationsweise. Aus dem Gesagten geht das jedoch alles andere als eindeutig hervor.
Der Effekt einer gruseligen Parallelwelt wird nicht nur durch den Einsatz von Zeitlupe und Musik erzeugt. Immer wieder wird auch betont, ob der Filmcrew erlaubt wurde zu filmen, oder nicht: „Unseren Dreharbeiten hat er sofort zugestimmt“, so die Sprecherin an einer Stelle. Das suggeriert, dass es dem hier behandelten Professor grundsätzlich erst einmal nicht recht sein könnte, zu zeigen, was in seinem Unterricht geschieht. Es erzeugt das Gefühl man hätte es mit etwas Zwielichtigem zu tun. Einen ähnlichen Kommentar macht die Sprecherin über den Islambeirat in NRW: „Ein halbes Jahr lang haben wir versucht von einem Beiratsmitglied ein Interview zu bekommen – ohne Erfolg.“ Auf die gleiche Weise spricht sie über eine Hochzeit zwischen einem Christen und einer Muslimin: „Eine solche Hochzeit wollten wir zeigen. Die Braut hatte uns zunächst die Erlaubnis erteilt. Sie im Nachhinein aber zurückgezogen.“ Beide Stellen sind zudem ebenfalls mit bedrohlicher Musik unterlegt.
Dass die Filmcrew die Erlaubnis zum Dreh bekommen oder nicht bekommen hat, ist offensichtlich Fakt. Allerdings ist die Frage, weshalb dieser Fakt als relevant erachtet und gleich drei Mal erwähnt wird. Die Auswahl und Anordnung der Fakten und Bilder sind es, die eine Thematik auf eine bestimmte Art und Weise framen. Ob entsprechendes auch bei einem vergleichbaren Beitrag ohne „Islam-Bezug“ erwähnt würde, lässt sich an dieser Stelle nur spekulieren. In jedem Fall erzeugt das Erwähnen den Effekt einer „anderen Welt“, zu der die Zuschauer*innen keinen Zugang haben – zwielichtig und potenziell gefährlich.
Um es auf den Punkt zu bringen: Homogenisierend, dichotomisierend und unterkomplex teilt der Beitrag Konservative und Liberale in feste Gruppen. Musik und Zeitlupe, sowie diverse sprachliche Zuschreibungen festigen das Bild eines bedrohlichen, rückständigen und konservativen Islams. Der gesamte Beitrag bleibt dem Frame „Islam=Problem“ verhaftet.
Darüber, ob dieses Framing von den Filmemacherinnen beabsichtigt ist, lässt sich nur spekulieren. Sich auf die Frage der Intention zu konzentrieren, verkennt allerdings den strukturellen Kern des Problems. Den ganzen Produktionsprozess kann man sich eher wie eine Art Backmischung vorstellen. Alle Zutaten sind bereits da. Wir kennen sie auswendig, weil so Islamdarstellung in deutschen Medien und der „Islam-Diskurs“ in Deutschland im Allgemeinen eben funktionieren. Das verantwortungsvolle Produzieren medialer Inhalte erfordert deshalb die gezielte Reflektion einer beinah reflexiven Verwendung gewisser Bilder, eines gewissen Vokabulars und gewisser Erklärungsmuster – und dann die Suche nach Alternativen.