In Deutschland leben mehr als fünf Millionen Muslime. Wie viele kennen Sie? In dieser IslamiQ-Serie stellen wir querbeet Menschen vor, die eine Gemeinsamkeit teilen: Sie sind Teil der Umma Deutschlands. Heute Dr. Ferya Banaz-Yaşar.
Banaz-Yaşar ist Diplom-Biologin und Heilpraktikerin. In Essen ist die 44-jährige im Hospizdienst am Universitätsklinikum tätig. Zudem hat sie eine eigene Naturheilpraxis in Duisburg-Hamborn.
IslamiQ: Sie sind Koordinatorin im Hospizdienst am Universitätsklinikum Essen. Wie kultursensibel ist Ihr Bereich ausgestaltet?
Banaz-Yaşar: Ich arbeite seit nun über zwei Jahren hauptamtlich als Koordinatorin im ambulanten Hospizdienst. Unser Hospizdienst hat vor zwei Jahren als erster einen kultursensiblen Befähigungskurs für ehrenamtliche Hospizbegleiter gestartet. Das Ziel dieses Kurses ist es, ehrenamtliche Mitarbeiter in Bezug auf unterschiedliche Kulturen und Religionen zu sensibilisieren. Die ehrenamtlichen Hospizbegleiter tragen zum Gelingen von herkunftssensibler Hospizarbeit bei. Kranken und sterbenden Menschen mit Migrationshintergrund wird dabei ein besserer Zugang zur Hospiz- und Palliativversorgung ermöglicht.
IslamiQ: Wie ist die Resonanz auf Ihre Arbeit, sowohl von Muslimen als auch von Nichtmuslimen?
Banaz-Yaşar: Die Resonanz auf unsere Arbeit ist sehr gut. Wir haben im Oktober 2019 den zweiten kultursensiblen Befähigungskurs gestartet. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben unterschiedliche kulturelle und religiöse Hintergründe. Die Akquise von muslimischen Ehrenamtlern ist uns sehr gut gelungen. Von unseren kultursensibel qualifizierten Ehrenamtlern profitieren vor allem auch Menschen, die wir in der letzten Lebensphase hospizlich begleiten.
IslamiQ: Sie haben eine eigene Praxis, sind promovierte Biologin. Was steckt hinter Ihrer Motivation, zudem noch bei der Hospizarbeit mitzuwirken?
Banaz-Yaşar: Ich habe mich im Jahre 2008 als ehrenamtliche Hospizbegleiterin befähigen lassen. In meiner ehrenamtlichen Tätigkeit habe ich Anfragen von Ärzten und Pflegenden bekommen, die gerade in der Versorgung von muslimischen Patienten mit lebensverkürzenden Erkrankungen viele offene Fragen hatten. Einige Beispiele sind die Aufklärung der Patienten über die Erkrankung, also „Wahrheit am Krankenbett“ oder aber auch Patientenverfügung bei muslimischen Patienten. Zudem kommen in meine Praxis Patienten mit Tumorerkrankungen, die nicht über die Möglichkeiten der palliativmedizinischen Versorgung informiert sind. Meine Motivation ist es, eine Brückenfunktion zwischen Versorgern und muslimischen Patienten herzustellen.
IslamiQ: Welche Hobbies haben Sie, wie gestalten Sie ihre Freizeit am liebsten?
Banaz-Yaşar: Ich bin seit fast vier Jahren in einem Schwimmverein, der Frauenschwimmen anbietet. Sonntags gehe ich dort zum Schwimmen. In meiner Freizeit unternehme ich viel mit meinen Kindern; meinem 13-jährigen Sohn und meiner 8-jährigen Tochter. Da wir eine Familie sind, die gerne isst, kochen und backen wir auch gemeinsam.
IslamiQ: Lieblingsbuch? Lieblingsfilm?
Banaz-Yaşar: Ich habe kein Lieblingsbuch bzw. keinen Lieblingsfilm. Im Moment lese ich das Buch „Sommer unseres Lebens“ von Kirsten Wulf.
IslamiQ: Was bedeutet Familie für Sie?
Banaz-Yaşar: Familie bedeutet für mich „Oase“; eine Oase, in der ich Kraft tanke, bedingungslose Liebe und Geborgenheit bekomme. Dieses Gefühl versuche ich meinen Kindern zu geben. Ich habe eine große Familie. Ich bin die zweitälteste von sechs Töchtern. Meine Schwestern und meine Eltern haben mich immer auf meinem Weg unterstützt. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.
IslamiQ: Der schönste Moment in Ihrem Berufsleben?
Banaz-Yaşar: Die schönsten Momente in meinem Berufsleben waren sicherlich der Abschluss meiner Doktorarbeit als Biologin und die bestandene Prüfung zur Heilpraktikerin. Nach einer dreijährigen experimentellen Arbeit im Labor und einem vier Monate alten Baby war der Abschluss der Doktorarbeit sehr erleichternd für mich. Als ich die Prüfung zur Heilpraktikerin hatte, war meine Tochter fünf Monate alt. Ich war sehr froh, dass ich diese Prüfung mit zwei Kindern geschafft habe.
IslamiQ: Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?
Banaz-Yaşar: Das ist eine schwierige Frage. Aber ich glaube, dass die meisten sagen würden, dass ich sehr ehrgeizig und hilfsbereit bin. Meine hohe Motivation und Begeisterungsfähigkeit für Neues zeichnen mich sicherlich aus.
IslamiQ: Ihr Lebensmotto?
Banaz-Yaşar: Mein Lebensmotto ist: Gehe deinen Weg. Die Kunst dabei ist es, die Geschenke Gottes auf diesem Weg zu erkennen und diese auch anzunehmen.
IslamiQ: Können Sie sich an eine Situation erinnern, in der Sie erstmals mit der Identitätsfrage konfrontiert waren?
Banaz-Yaşar: Es gibt viele Situationen, in denen ich vor allem negativ mit meiner Identität konfrontiert wurde. Die schlimmste Erfahrung war jedoch, dass ich im Beisein meines damals 4-jährigen Sohnes auf offener Straße beschimpft wurde. Er hat den Grund dieser Beschimpfungen nicht verstanden und mir fehlten die Worte, es ihm zu erklären.
IslamiQ: Was ist Ihr größtes Ziel in diesem Leben und was tun Sie um dieses Ziel zu erreichen?
Banaz-Yaşar: Mein größtes Ziel ist es, dazu beizutragen, dass unsere Gesellschaft offener und toleranter zu anderen Kulturen und Religionen wird. Ich glaube ganz fest daran, dass wir durch einen respektvollen und menschensensiblen Umgang eine offenere Gesellschaft erreichen können. Ich versuche diese Haltung in meinem Alltag umzusetzen. In der Begegnung mit Anderen versuche ich die Äußerlichkeiten auszublenden und in meinem Gegenüber nur den Menschen zu sehen.
IslamiQ: Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Für sich selbst, für Ihre Familie, für alle Muslime in Deutschland.
Banaz-Yaşar: Die Hospizarbeit macht mir tagtäglich deutlich, dass die Gesundheit das Wichtigste für mich ist. Für meine Kinder wünsche ich, dass sie ihren eigenen Weg finden und gehen dürfen. Uns Muslimen in Deutschland wünsche ich, dass wir ein unverzichtbarer Teil dieser Gesellschaft werden. Wir haben viele Ressourcen, die für das friedliche Zusammenleben in dieser Gesellschaft einsetzen können. Durch bewusstes Wahrnehmen dieser Ressourcen und der richtigen Haltung können wir Muslime das Miteinander aktiv mitgestalten.
IslamiQ: Was muss passieren, damit Muslime hier als selbstverständlicher Teil Deutschlands angesehen werden?
Banaz-Yaşar: Ich merke immer wieder, dass es Menschen gibt, die im Alltag keinen Kontakt zu Muslimen haben bzw. nie einen Muslim kennen gelernt haben. Die einfache Begegnung im Alltag und die positive Erfahrung mit Muslimen können viel dazu beitragen, Vorurteile und Ressentiments abzubauen.