Spätestens die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke war ein Weckruf, Hasskommentare ernst zu nehmen. Der Politiker hatte Drohmails erhalten. Inzwischen verfolgen hessische Staatsanwälte bundesweit Hass im Netz.
Der einstige Zauber des Internets, das Menschen weltweit verbindet, neue Freundschaften ermöglicht und Kontakte auch über Zeitzonen und Kontinente hinweg ermöglicht, scheint teilweise verflogen. Denn nicht nur die Möglichkeiten für digitale Nähe haben sich vergrößert, auch Hass, Ablehnung oder Mobbing aus dem Netz haben für die Betroffenen ein ganz neues Ausmaß angenommen. Auch für die Sicherheitsbehörden ist der Hass aus dem Netz zum Thema geworden, von Mittwoch an geht es auch auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamts (BKA) um Hasskommentare im Internet.
Warnende Stimmen vor der Hetze in Facebook-Gruppen, Hassbotschaften auf Twitter oder Mobbing im Klassenchat gibt es schon länger. Doch es war sicherlich der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der auch in der Politik zum Weckruf wurde: Lübcke hatte wegen seines Engagements für Geflüchtete Drohmails bekommen, war Hass im Netz ausgesetzt und sogar nach seiner Ermordung gab es Hasskommentare.
„Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und der Anschlag in Halle haben es deutlich gemacht: Im Netz wird eine toxische Atmosphäre geschaffen, die unsere offene und demokratische Gesellschaft vergiftet – auch außerhalb des Internets“, heißt es in einer Stellungnahme von HateAid, einer gemeinnützigen Organisation, die Betroffene digitaler Gewalt unterstützt.
Die digitale Gewalt, die Hassbotschaft aus dem Twitter-Kanal ist vielfältig: Antisemitische oder rassistische Botschaften sind genauso darunter wie frauenfeindlicher, homophober und sexistischer Hass oder ganz persönliche Anfeindungen wegen eines Bildes oder eines Kommentars. Viele der Beispiele, die „hassmelden.de“ auflistet, klingen menschenverachtend.
Hessen wird künftig eine besondere Rolle bei der Verfolgung von Hass und Hetze im Netz spielen: die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) soll „ein zentraler Filter für strafbare Inhalte im Netz sein“, kündigte Justizministerin Eva Kühne-Hörmann bereits im September an. Bislang befassten sich die Ermittler der ZIT vor allem mit klassischer Cyberkriminalität, mit Datenklau, Kinderpornografie und illegalem Handel im Netz.
Um künftig konsequent gegen Hass im Netz vorgehen zu können, soll die ZIT personell aufgestockt werden. Nach Angaben eines Sprechers der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft verstärken bereits zwei Juristen das Team der nunmehr zehn ZIT-Staatsanwälte, im kommenden Jahr wird ein weiterer Ausbau erwartet.
Gleichzeitig sucht das Land den Schulterschluss mit der Zivilgesellschaft: Erst vor wenigen Wochen wurde die Zusammenarbeit mit Organisationen wie HateAid, Hassmelden und dem Verein #ichbinhier aufgenommen, mit Gruppen, die zum Teil schon seit Jahren für „digitale Zivilcourage“ eintreten. „Wir dürfen Hass und Hetze nicht unkommentiert und unwidersprochen stehen lassen“, betonte Kühne-Hörmann.
Der Zuspruch scheint groß: Auf der Meldeplattform „hassmelden.de“ gingen bisher mehr als 16 000 Meldungen ein – mehr als 3000 wurden an die ZIT weitergeleitet, weil es sich um strafrechtlich relevante Inhalte handeln könnte. Die Ermittler der ZIT bearbeiten diese Hinweise und leiten gegebenenfalls ein Verfahren ein. Nicht alles sei strafrechtlich auch relevant, hieß es. Zudem müsse genau abgewogen werden, wo die Behörde die Grenzen der freien Meinungsäußerung sieht und wo eine strafbare Beleidigung beginnt.
Die gesellschaftlichen und sicherheitspolitischen Herausforderungen durch Hass, Gewalt und Ausgrenzung stehen diese Woche im Mittelpunkt der BKA-Herbsttagung. Zwei Tage lang diskutieren Sicherheitsexperten in Wiesbaden unter anderem über die möglichen Ursachen und den bestmöglichen Kampf gegen Hasskriminalität.
Nach Zahlen des BKA wurden 2018 rund 1960 Fälle von „Hasskriminalität in Verbindung mit Tatmittel Internet“ registriert – ein Jahr zuvor waren es knapp 2460 Fälle gewesen. Allein bei politisch motivierter Kriminalität (PMK) wurden 2017 insgesamt 2270 Fälle von Hasskommentaren gezählt, 2018 rund 1470 Fälle. Sicherheitsexperten gehen jedoch von einer hohen Dunkelziffer aus. (dpa/iQ)