Autoren schreiben hunderte Seiten. Doch was passiert, wenn sie ihr Buch auf seine Essenz herunterbrechen müssen? Unsere Serie „Nachgefragt“ liefert Antworten. Heute Stefan Weidner und sein Buch „1001 Buch – die Literatur des Orients“.
IslamiQ: Wem würden Sie ihr Buch „1001 Buch – die Literatur des Orients“ gerne schenken und warum?
Stefan Weidner: Zunächst einmal empfehle ich es jeder und jedem, der oder die irgendetwas mit Bezug auf Islam, Arabistik, Naher/Mittlerer Osten (MENA-Region) und Nordafrika studiert oder studiert hat oder sich dafür näher interessiert. Gerade auch Fachleuten, Professoren, Spezialisten, aber auch Menschen aus der Region, die schon vieles wissen. Denn die wenigsten von ihnen werfen einen Blick in die Literatur, lesen die Belletristik, Gedichte, Romane. In der Literatur steht oft mehr, anderes und Wahreres als in Fachbüchern und journalistischen Beiträgen. Ich würde sogar sagen: Man kann diese Region nicht besser und intimer verstehen als mit Hilfe der Literatur. Da es aber schwierig sein dürfte, Dutzende von Romanen und Gedichtbänden zu lesen, beginne man mit meinem Buch: für einen tiefen Einblick, einen sehr guten Überblick und zugleich weiteren Literaturempfehlungen.
Ansonsten ist es ein Buch für alle, die gern lesen und weltoffen genug sind, sich auf neue Welten und Lektüreerfahrungen einzulassen. Man lernt damit nicht nur bisher unbekannte Welten kennen, sondern auch, wie begrenzt die eigene bisher war. Ein Buch also für Neugierige, die gute Literatur schätzen, Weltliteratur, den Leserausch, das gute, schöne Buch!
IslamiQ: Warum ist die Thematik Ihres Buches im Lichte aktueller Debatten wichtig?
Stefan Weidner: Unsere Debatten sind in der Regel oberflächlich, wiederholen sich ständig, kreisen um die immer selben Themen. Oft auf der Grundlage weniger und verzerrter Informationen. Sie sind ‚binär‘, das heißt, sie funktionieren wie ein simpler Computer, der immer nur ja und nein, 0 und 1, schwarz oder weiß kennt, nichts dazwischen. Mit dieser binären Logik, welche die Debatten bestimmt, räumen die Literaturen des Orients gründlich auf – und außerdem mit den üblichen Klischees und Vorurteilen gegenüber diesem ‚Orient‘. Denn in der Literatur spricht dieser Orient, spricht die islamisch geprägte Welt selbst. Man muss ihr nur das Wort erteilen und zuhören. Das versuche ich in diesem Buch zu tun und es den Leserinnen und Lesern zu vermitteln, sie ebenfalls zum Zuhören einzuladen.
IslamiQ: „Beim Lesen guter Bücher wächst die Seele empor.“ Warum trifft dieses Zitat von Voltaire auf Ihr Buch zu?
Weidner: Davon gehe ich unbedingt aus. Die Seele wird flattern vor Aufregung über das, was sie dort alles vorfindet, liest. Ich würde fast soweit gehen zu sagen, dass das Lesen der orientalischen Literaturen, wie es in meinem Buch in konzentrierter Form geschieht, einer seelischen Wiederbelebung gleichkommt. Es gibt so viel Neues, Schönes, und freilich auch Empörendes, über das berichtet wird, dort zu entdecken, dass man sofort aus seinem Trott geworfen wird, dass die üblichen, eingefahrenen Routinen aufbrechen. Es ist wie bei einer Reise, wo man nicht nur am Strand liegt, sondern sich auf Orte und Menschen wirklich einlässt und verwandelt zurückkommt, als neuer Mensch.
IslamiQ: Ihr Buch „1001 Buch – die Literatur des Orients“ in drei Wörtern zusammengefasst?
Weidner: Die unbekannte Weltliteratur!
IslamiQ: Eine spezielle Frage für Sie: Wie sollte der interkulturelle Austausch optimal funktionieren?
Weidner: ‚Optimal‘ gibt es nicht, denn besser geht es immer. Oder sagen wir: Der optimale interkulturelle Austausch ist kein interkultureller Austausch mehr, sondern die Verschmelzung, das Zusammengehen und Zusammensein, die natürliche Kommunikation wie im Alltag. Wie in der Familie zum Beispiel, wo auch niemand auf die Idee käme, von „Kulturen“ oder von „Austausch“ zu reden, sondern wo Konflikte zwar entstehen, aber immer auch irgendwie bewältigt werden, ohne sie zu ‚essentialisieren‘. Also ohne sie zu einem Pompanz zu machen, zu etwas Grundlegendem, das man nur mit großen Vokabeln und institutioneller Hilfe überbrücken kann.
Der optimale Zustand ist also erreicht, wenn wir die Rede vom interkulturellen Austausch nicht mehr brauchen. Und ich glaube, in meinem Buch kommen diese Worte genau deswegen auch kein einziges Mal vor. Wenn Sie so wollen, ist mein Buch eine Utopie, beziehungsweise aus einem utopischen Bewusstsein heraus geschrieben: Wie würden wir die Literaturen des Orients lesen, wenn wir den interkulturellen Austausch nicht mehr bräuchten? Und ich kann Ihnen jetzt und hier sagen wie: Als wenn es unser aller Literatur wäre! Ach was, ‚wäre‘! Nicht ‚wäre‘, sondern: Es ist unser aller Literatur.