Islamische Begriffe

„Sprache stiftet Einheit und Identität“

„Muslim“ oder „Moslem“, „Zakat“ oder „Almosen“ – da gibt es doch keinen Unterschied? Ein Beitrag von Kerim Edipoğlu über islamische Begriffe in der deutschen Sprache und das muslimische Selbstverständnis.

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2019
Sprache - Kommunikation
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Muslime sind seit langem in Deutschland angekommen. Ihre Gebäude zeugen davon, die zahlreichen Institutionen die sie geschaffen haben, ebenso die Bildungseinrichtungen und ihr Engagement in der Politik. Doch wie sehr sind sie sprachlich angekommen? Am Verhältnis von Sprache und Darstellung des Islams lässt sich vieles ablesen für die Position in der Gesellschaft und das eigene Selbstverständnis.

Ein wichtiger Indikator hierfür ist der bewusste Einsatz von islamischen Fachbegriffen. Verschiedenste Standpunkte werden hierzu geäußert, die jeweils ihre Berechtigung haben und keinesfalls diffamiert werden sollen. So gibt es die Tendenz, alle arabischen (und natürlich umso mehr türkische, osmanische und persische) Sprachbestandteile bewusst im Deutschen zu umgehen. Was sagt dies für unser Verständnis von Integration aus? Haben wir uns eine Selbstzensur auferlegt und teilen auch sprachliche Bestandteile in „erlaubte“ (integrierte, dem Mainstream-Deutschen entsprechende) und „desintegrierende“, „fremde“, „migrantische“ ein? Sicherlich mag der Wille im Vordergrund stehen, sich verständlich zu machen. Doch erreichen wir dies wenn wir auf die Präzision der islamischen Fachbegriffe verzichten?

Etablierung islamischer Fachausdrücke in neuen sprachlichen Umgebungen

Kulturkontakte in der islamischen Geschichte zeichneten sich stets durch einen weitgehend pragmatischen Umgang mit Sprache aus. Wo immer islamische Disziplinen und Wissenschaften in einer neuen sprachlichen Umgebung artikuliert wurden, so scheuten sich Muslime nicht, koranische Fachausdrücke in die neue Sprache zu übernehmen. Der Vorteil ist neben der erwähnten Präzision auch eine verbindende Kontinuität über die verschiedenen muslimischen Gemeinschaften und Zeitalter hinweg. Sprache stiftet Einheit und Identität.

Dazu ein paar Beispiele zur Unübersetzbarkeit islamischer Begriffe:

  1. Âya: Der Begriff Âya (Pl. Âyât) im Koran bedeutet „Zeichen“ und bezieht sich auf zweierlei: Einmal besteht die gesamte Schöpfungsordnung aus Zeichen (in schier unendlicher Fülle) ebenso besteht das von Allah herabgesandte Wort aus Zeichen. Die Tatsache, dass der Koran das gleiche Wort für beide Phänomene verwendet, bringt eine andere Sicht auf die Wirklichkeit hervor. Demnach gleicht die gesamte Schöpfung einem geschriebenen Buch; jeder Teil der Schöpfung spricht in einer Sprache und kommuniziert eine Botschaft an den Betrachter: die Botschaft von der Einzigkeit und Unvergleichlichkeit des Schöpfers. Alle Schöpfungszeichen stellen eine Erinnerung an die erhabenen und unerschaffenen Eigenschaften Allahs dar. Da jedoch der Mensch aufgrund seiner Eingeschränktheit in diesem Ozean an Zeichen fast ertrunken ist und möglicherweise blind an diesen zahllosen Hinweisschildern vorbeiläuft, hat der Schöpfer seine Botschaft erneut in sprachlicher Form artikuliert. Verlässt man diese koranische Semantik, so bleibt im Deutschen nur der Einsatz von zwei vollständig entgegengesetzten Begriffen: Vers auf der einen Seite und (Schöpfungs)Zeichen auf der anderen Seite. Zwischen beiden eine Verbindung herzustellen dürfte kaum naheliegen. Die semantische Einheit zerbricht.
  2. Îmân: Auch dieses Wort wurde in die meisten islamischen Sprachen als Lehnwort übernommen. In der Übersetzung mit „Glaube“ geht Wesentliches verloren. Im arabischen Original besteht eine Brücke von Îmân zu Amn (Sicherheit), aber auch zu Amâna (anvertrautes Gut). Der tiefe Îmân ist also nicht nur ein persönlicher Glaube (im Sinne von Dafürhalten mit einem vermutenden Element), sondern von tiefer Sicherheit getragen. Die Verankerung des Menschen im Îmân bringt eine Sicherheit im Handeln hervor. Die Handlungen erscheinen nicht mehr losgelöst von den eigenen Überzeugungen, sondern stärken den Menschen und bringen ihn in gewisser Weise in einen „geschützten Bereich“.
  3. Zakat: Diese ist kein Almosen und auch keine Sozialabgabe. Die Grundbedeutung verbindet zweierlei: „reinigen“ und „wachsen“. Die Zakat wird demnach von der tiefen Überzeugung getragen, dass man hier etwas Materielles abgibt, dabei aber nichts verliert, denn dort – in der jenseitigen Welt – gedeiht zeitgleich etwas Großartiges. Je stärker die tiefe Handlungsabsicht hier gereinigt wird und man ausdrücklich keinen Lohn von den Menschen erwartet, desto stärker ist das Wachstum drüben. Je mehr jedoch die Spende hier von Selbstgerechtigkeit getragen ist, desto mehr verliert man. In einer Übersetzung ist dies kaum nachzuahmen. Außerdem verschwimmt der Unterschied zum Begriff der Sadaka, die auch eine Spende darstellt. Hier steht jedoch die Bedeutung „Aufrichtigkeit“ (Sidk) im Vordergrund. Die Sadaka ist demnach eine Art „Treuebeweis“ für die eigene Einstellung.
  4. Kuds, mukaddas: Oft wird diese Wortwurzel mit „heilig“ wiedergegeben. In der klassischen Sprache entspricht dieses Wort jedoch am ehesten der Bedeutung von „reinigen“. So im Koran (2:30), wo die Engel sagen, dass sie Allah „reinsprechen“ (nukaddisu) – und zwar von allen Mängeln und Fehlern. Auch bei den Hadsch-Riten wird häufig von den „heiligen Stätten“ Mekka und Medina gesprochen, was irreführend ist. Im Arabischen ist vom Haram-Bezirk die Rede. Die Wortwurzel h-r-m verbindet die Bedeutung von „Tabuisiertheit“ und „Geschütztheit“. Der Bezirk um die Haram-Moschee ist also ein besonders tabuisierter Bereich, in dessen Gegenwart der Mensch noch stärker als sonst auf sein Handeln achten soll. Daher befindet sich der Pilger im Ihrâm-Zustand, einem Zustand, der durch auffällige Tabus, die sich allesamt auf die Würdigung des Lebens beziehen, gekennzeichnet ist. Diese Verbindung geht verloren, wenn aus Gründen der Bequemlichkeit ein modernes Arabisch-Wörterbuch konsultiert und schematisch die deutsche Entsprechung „heilig“ übernommen wird.
  5. Takwâ: In älteren Übersetzungen wurde meist „Gottesfurcht“ gewählt, in neueren Übersetzungen auch „Gottesbewusstsein“. Im Arabischen steht jedoch eine andere Wurzel dahinter: waqâ, yakî heißt „schützen“. Mit Takwâ schützt sich der Mensch vor den schlimmen Konsequenzen seiner eigenen Handlungen. Er wird vorsichtig und damit auch bewusst. Der Einsatz des Originalbegriffs Takwâ hat den Vorteil, dass Muslime in fast allen islamisch geprägten Kulturen der Welt hier eine Anschlussmöglichkeit an ihre eigene Tradition entdecken. Und genau diese Einheit soll gewahrt bleiben werden.
  6. Wudû: Im arabischen Original steckt die Wurzel wadu’a (glänzen, strahlen, schimmern). Mit „Gebetswaschung“ geht das zentrale Element der Symbolik verloren. Wird der islamische Ritus der Gebetsvorbereitung ernst genommen, so steht am Ende das Leuchten und Strahlen des Îmâns, das sich auch am Jüngsten Tag in einer anderen Form der Ausstrahlung von Licht zeigen wird. Es geht nicht darum, sich äußerlich zu säubern, sondern eine innerliche Reinigung anhand von äußerlichen Merkmalen erfahrbar zu machen.
  7. Theologie: „Das Sprechen von Gott“ ist die zugrunde liegende Bedeutung. Doch in den islamischen Wissenschaften geht es nicht darum, das Wesen Gottes zu begreifen, zu analysieren und darüber zu reden, sondern darum, die Grundlinien der im Koran aufgestellten Normen und Verhaltensrichtlinien zu analysieren, zu ordnen und auf das Alltagsleben des Menschen zu übertragen. Kann in einer so wichtigen Angelegenheit ein Import aus einer anderen geistesgeschichtlichen Tradition hilfreich sein?

Rückzug ins sprachliche Getto?

So und ähnlich lautet der Vorwurf, wenn Muslime die bewusste Verwendung der koranischen Fachbegriffe einfordern. Keine Sorge, ein sprachliches Getto wird nicht entstehen. Zumindest auch nicht stärker als das sprachliche Getto im Krankenhaus, wenn der Arzt dem Patienten wieder einmal zu viel an Fachsprache zumutet. Jede Wissenschaft hat ihre eigene Terminologie. Werden islamische Inhalte ernst genommen und wird die Tradition der islamischen Gelehrsamkeit gewürdigt, so müsste es eine Selbstverständlichkeit sein, dass die entsprechende Terminologie bewahrt wird.

Fachterminologien bauen in der europäischen Tradition meist auf lateinischen und griechischen Wortwurzeln auf. Gerade ihre sprachliche Fremdheit ist keineswegs ein Nachteil, sondern ein Vorteil, der Präzision hervorbringt: Ein fremder Begriff wird definiert und damit vor der Lässigkeit des alltagssprachlichen Gebrauchs geschützt. Halten Fachwissenschaftler einen Vortrag vor Laien, so werden sie normalerweise auch die Originalbegriffe benutzen, diese vielleicht etwas sparsamer einsetzen und dafür zahlreiche Definitionen ihrem Vortrag voranstellen. In einer ernsthaften Darstellung des Islams vor Laien sollte dies auch möglich sein.

Sprache und Prestige

In Europa gibt es anerkannte Fremdsprachen, aus denen ein Fachwissenschaftler bequem schöpfen kann: Latein, Griechisch, heutzutage auch Englisch. Für andere Sprachen scheint dies kaum zu gelten. Hier wird gerne mit der Keule des Desintegrationsvorwurfs hantiert. Ein Beispiel ist die Verwendung der weiblichen Form „eine Muslima“ für „Muslimin“. Wo liegt das Problem bei der ersten Form, die der arabischen Femininform entspricht? Die Form ist verständlich und sie zeugt von einem Selbstbewusstsein der muslimischen Gemeinschaft. Musliminnen bezeichnen sich so, wie sie selber genannt werden. Sie können, aber sie müssen es nicht. Für die meisten mag es keine große Rolle spielen, welche der beiden Varianten eingesetzt wird und die Unterscheidung mag spitzfindig klingen. Auch gut. Interessant ist jedoch etwas anderes: Wie allergisch oft Menschen auf die erste Form reagieren. „Muslima hat im Deutschen nichts verloren; dafür haben wir unsere gute deutsche Form: Muslimin“. Es scheint wieder um die alte Frage zu gehen, wie man durch Sprache Macht ausübt und menschliches Handeln und Identitätsbildung reglementiert.

Ist Sprache eine vorgegebene, nicht zu verändernde Tatsache, wie es von den Sprachgestaltern in den oberen Schichten gerne den marginalisierten Bevölkerungsgruppen eingeredet wird? Sprache ist formbar und ein lebendiger Organismus, in dem sich Geschichte und Befindlichkeiten ihrer Sprecher spiegeln. Der Satz „So ist das nun mal im Deutschen“ gehört eher in den Bereich der Demagogie als der Linguistik. Es klingt verdächtig nach „der Islam gehört nicht zu Deutschland“ oder „Gäste müssen sich anpassen“. Sprache unterliegt einer ständigen Umformung. Zu manchen Zeiten geschieht dies in raschem Tempo, manchmal auch so gemächlich, dass die einzelnen Sprecher es nicht bemerken. Das bekannteste Beispiel für eine rasche Umgestaltung der Sprache erleben wir im Deutschen seit den 70er-Jahren: die eingeschlagene Richtung heißt „gendergerechte Ausdrucksweise“. Ohne auf die Diskussion einzugehen, was daran wirklich konstruktiv ist – der Prozess ist sprachsoziologisch äußerst aufschlussreich. Er ist ein Paradebeispiel dafür, wie eine gut organisierte Gruppe durch permanentes Thematisieren einen sprachlichen Wandel hervorruft, dem sich die Mehrheit nicht entziehen kann. Natürlich könnte man sich diesem Prozess entgegenstellen, doch zum Preis gesellschaftlicher Sanktionen und mangelnder Anerkennung.

Übertragen auf die Situation der Muslime heißt dies: Wie sehr die Muslime in ihren eigenen Anliegen selbstbewusst ihre eigene Sprache verwenden und den Diskurs bestimmen, ist immer auch ein Zeichen dafür, wo sie sich gerade befinden: Im Zentrum, dort wo gesellschaftliche Macht ausgeübt und geplant wird oder an der Peripherie, wo man zu gehorchen hat. Hätten sich die Muslime nicht jahrzehntelang vehement gegen beleidigende Fremdzuschreibungen gewährt, so würden sie wahrscheinlich heute noch als „Mohammedaner“ oder „Muselmanen/Muselmänner“ bezeichnet werden. Und ganz tot sind diese Bezeichnungen ja auch nicht. Mit jeder Islamophobiewelle, die mal stärker mal schwächer über das Land schwappt, scheint ein oberflächlicher Blick in die Medien zu belegen, dass die beleidigenden Varianten wieder fröhliche Urständ feiern. Und ebenso gilt: Schon seit Jahrzehnten pochen die Muslime darauf, „Muslime“ und nicht „Moslems“ genannt zu werden. Zeitweilig sah es so aus, als ob der despektierlich klingende Begriff „Moslems“ am Aussterben sei. Erstaunlich jedoch, wie die diffamierenden Varianten in manchen Medien und zu bestimmten Anlässen jeweils ihre Wiederauferstehung erleben. Die muslimische Antwort darauf sollte Beharrlichkeit und Ausdauer sein.

Umschrift – Transkription

Noch einige Bemerkungen zur Frage der Umschrift islamischer Begriffe im Deutschen. Ohne hier ein weiteres System der erdrückenden Vielfalt an Varianten hinzufügen zu wollen, soll nur auf einen Punkt eingegangen werden. Die Verwendung von Sonderzeichen – am bekanntesten im System der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Die dort verwendeten diakritischen Zeichen mögen in den ersten Jahrzehnten der Orientalistik sinnvoll gewesen sein: Drucktechnisch konnten arabische Wörter nur mit großem Aufwand in einem deutschen Text verarbeitet werden; heutzutage gehört dies zur Standardausstattung jedes Textverarbeitungsprogramms. Was ist gewonnen mit schwierigen Zeichen (ā, ṣ, ṯ), deren Aussprache ohnehin nur demjenigen geläufig sein dürfte, der sich mit dem Arabischen beschäftigt hat?

Jedoch auf der anderen Seite: Welcher Schaden wird durch diese Zeichen angerichtet? Jedes diakritische Zeichen ist ein Stempel der Fremdheit. Als ob das Wort dem Leser entgegenschreit: „Ich gehöre nicht hierher, ich bin kein Teil der ‚eigentlichen‘, ‚ursprünglichen‘ deutschen Kultur. Ich bin fremd hier und werde immer fremd bleiben. Vielleicht werde ich auch eines Tages gehen.“

Ob jedoch solche zentralen Wörter und Konzepte wie Îmân, Ihlâs, Ihsân, Tawakkul und Ibâda aus dem Deutschen verschwinden sollten? Da werden Muslime wahrscheinlich eine andere Meinung haben. Mit einer einfachen und gefällig wirkenden Umschrift dieser Wörter im Deutschen ist viel getan. Dass es hierzu noch keine Einheit gibt, steht auf einem anderen Blatt. Einen Konsens hier vorzuschreiben (oder durch Konferenzen herbeizuzwingen) scheint kaum zielführend zu sein. Der lebendige Diskurs der Menschen, so bleibt die Hoffnung, wird etwas Praktikables hervorbringen.

Leserkommentare

Harousch sagt:
Lieber Kerim, danke für diesen geistreichen Beitrag mit alle den erhellenden und herzerwärmenden sowie praktikablen Beispielen für den Alltag der Muslime überall auf der Erde. Ohne den Blick für die Realität zu verlieren, empfinde ich einen Hauch von romantischer Sachlichkeit, der man viel für den eigenen Alltag abgewinnen kann. Die islamische Emanzipation erfordert von jedem Einzelnen die aktive Mitgestaltung der Gegenwart zugunsten einer friedvollen Zukunft aller gesellschaftlicher Gruppen und insbesondere die der Muslime.
23.12.19
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