„Muslim“ oder „Moslem“, „Zakat“ oder „Almosen“ – da gibt es doch keinen Unterschied? Ein Beitrag von Kerim Edipoğlu über islamische Begriffe in der deutschen Sprache und das muslimische Selbstverständnis.
Muslime sind seit langem in Deutschland angekommen. Ihre Gebäude zeugen davon, die zahlreichen Institutionen die sie geschaffen haben, ebenso die Bildungseinrichtungen und ihr Engagement in der Politik. Doch wie sehr sind sie sprachlich angekommen? Am Verhältnis von Sprache und Darstellung des Islams lässt sich vieles ablesen für die Position in der Gesellschaft und das eigene Selbstverständnis.
Ein wichtiger Indikator hierfür ist der bewusste Einsatz von islamischen Fachbegriffen. Verschiedenste Standpunkte werden hierzu geäußert, die jeweils ihre Berechtigung haben und keinesfalls diffamiert werden sollen. So gibt es die Tendenz, alle arabischen (und natürlich umso mehr türkische, osmanische und persische) Sprachbestandteile bewusst im Deutschen zu umgehen. Was sagt dies für unser Verständnis von Integration aus? Haben wir uns eine Selbstzensur auferlegt und teilen auch sprachliche Bestandteile in „erlaubte“ (integrierte, dem Mainstream-Deutschen entsprechende) und „desintegrierende“, „fremde“, „migrantische“ ein? Sicherlich mag der Wille im Vordergrund stehen, sich verständlich zu machen. Doch erreichen wir dies wenn wir auf die Präzision der islamischen Fachbegriffe verzichten?
Kulturkontakte in der islamischen Geschichte zeichneten sich stets durch einen weitgehend pragmatischen Umgang mit Sprache aus. Wo immer islamische Disziplinen und Wissenschaften in einer neuen sprachlichen Umgebung artikuliert wurden, so scheuten sich Muslime nicht, koranische Fachausdrücke in die neue Sprache zu übernehmen. Der Vorteil ist neben der erwähnten Präzision auch eine verbindende Kontinuität über die verschiedenen muslimischen Gemeinschaften und Zeitalter hinweg. Sprache stiftet Einheit und Identität.
Dazu ein paar Beispiele zur Unübersetzbarkeit islamischer Begriffe:
So und ähnlich lautet der Vorwurf, wenn Muslime die bewusste Verwendung der koranischen Fachbegriffe einfordern. Keine Sorge, ein sprachliches Getto wird nicht entstehen. Zumindest auch nicht stärker als das sprachliche Getto im Krankenhaus, wenn der Arzt dem Patienten wieder einmal zu viel an Fachsprache zumutet. Jede Wissenschaft hat ihre eigene Terminologie. Werden islamische Inhalte ernst genommen und wird die Tradition der islamischen Gelehrsamkeit gewürdigt, so müsste es eine Selbstverständlichkeit sein, dass die entsprechende Terminologie bewahrt wird.
Fachterminologien bauen in der europäischen Tradition meist auf lateinischen und griechischen Wortwurzeln auf. Gerade ihre sprachliche Fremdheit ist keineswegs ein Nachteil, sondern ein Vorteil, der Präzision hervorbringt: Ein fremder Begriff wird definiert und damit vor der Lässigkeit des alltagssprachlichen Gebrauchs geschützt. Halten Fachwissenschaftler einen Vortrag vor Laien, so werden sie normalerweise auch die Originalbegriffe benutzen, diese vielleicht etwas sparsamer einsetzen und dafür zahlreiche Definitionen ihrem Vortrag voranstellen. In einer ernsthaften Darstellung des Islams vor Laien sollte dies auch möglich sein.
In Europa gibt es anerkannte Fremdsprachen, aus denen ein Fachwissenschaftler bequem schöpfen kann: Latein, Griechisch, heutzutage auch Englisch. Für andere Sprachen scheint dies kaum zu gelten. Hier wird gerne mit der Keule des Desintegrationsvorwurfs hantiert. Ein Beispiel ist die Verwendung der weiblichen Form „eine Muslima“ für „Muslimin“. Wo liegt das Problem bei der ersten Form, die der arabischen Femininform entspricht? Die Form ist verständlich und sie zeugt von einem Selbstbewusstsein der muslimischen Gemeinschaft. Musliminnen bezeichnen sich so, wie sie selber genannt werden. Sie können, aber sie müssen es nicht. Für die meisten mag es keine große Rolle spielen, welche der beiden Varianten eingesetzt wird und die Unterscheidung mag spitzfindig klingen. Auch gut. Interessant ist jedoch etwas anderes: Wie allergisch oft Menschen auf die erste Form reagieren. „Muslima hat im Deutschen nichts verloren; dafür haben wir unsere gute deutsche Form: Muslimin“. Es scheint wieder um die alte Frage zu gehen, wie man durch Sprache Macht ausübt und menschliches Handeln und Identitätsbildung reglementiert.
Ist Sprache eine vorgegebene, nicht zu verändernde Tatsache, wie es von den Sprachgestaltern in den oberen Schichten gerne den marginalisierten Bevölkerungsgruppen eingeredet wird? Sprache ist formbar und ein lebendiger Organismus, in dem sich Geschichte und Befindlichkeiten ihrer Sprecher spiegeln. Der Satz „So ist das nun mal im Deutschen“ gehört eher in den Bereich der Demagogie als der Linguistik. Es klingt verdächtig nach „der Islam gehört nicht zu Deutschland“ oder „Gäste müssen sich anpassen“. Sprache unterliegt einer ständigen Umformung. Zu manchen Zeiten geschieht dies in raschem Tempo, manchmal auch so gemächlich, dass die einzelnen Sprecher es nicht bemerken. Das bekannteste Beispiel für eine rasche Umgestaltung der Sprache erleben wir im Deutschen seit den 70er-Jahren: die eingeschlagene Richtung heißt „gendergerechte Ausdrucksweise“. Ohne auf die Diskussion einzugehen, was daran wirklich konstruktiv ist – der Prozess ist sprachsoziologisch äußerst aufschlussreich. Er ist ein Paradebeispiel dafür, wie eine gut organisierte Gruppe durch permanentes Thematisieren einen sprachlichen Wandel hervorruft, dem sich die Mehrheit nicht entziehen kann. Natürlich könnte man sich diesem Prozess entgegenstellen, doch zum Preis gesellschaftlicher Sanktionen und mangelnder Anerkennung.
Übertragen auf die Situation der Muslime heißt dies: Wie sehr die Muslime in ihren eigenen Anliegen selbstbewusst ihre eigene Sprache verwenden und den Diskurs bestimmen, ist immer auch ein Zeichen dafür, wo sie sich gerade befinden: Im Zentrum, dort wo gesellschaftliche Macht ausgeübt und geplant wird oder an der Peripherie, wo man zu gehorchen hat. Hätten sich die Muslime nicht jahrzehntelang vehement gegen beleidigende Fremdzuschreibungen gewährt, so würden sie wahrscheinlich heute noch als „Mohammedaner“ oder „Muselmanen/Muselmänner“ bezeichnet werden. Und ganz tot sind diese Bezeichnungen ja auch nicht. Mit jeder Islamophobiewelle, die mal stärker mal schwächer über das Land schwappt, scheint ein oberflächlicher Blick in die Medien zu belegen, dass die beleidigenden Varianten wieder fröhliche Urständ feiern. Und ebenso gilt: Schon seit Jahrzehnten pochen die Muslime darauf, „Muslime“ und nicht „Moslems“ genannt zu werden. Zeitweilig sah es so aus, als ob der despektierlich klingende Begriff „Moslems“ am Aussterben sei. Erstaunlich jedoch, wie die diffamierenden Varianten in manchen Medien und zu bestimmten Anlässen jeweils ihre Wiederauferstehung erleben. Die muslimische Antwort darauf sollte Beharrlichkeit und Ausdauer sein.
Noch einige Bemerkungen zur Frage der Umschrift islamischer Begriffe im Deutschen. Ohne hier ein weiteres System der erdrückenden Vielfalt an Varianten hinzufügen zu wollen, soll nur auf einen Punkt eingegangen werden. Die Verwendung von Sonderzeichen – am bekanntesten im System der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Die dort verwendeten diakritischen Zeichen mögen in den ersten Jahrzehnten der Orientalistik sinnvoll gewesen sein: Drucktechnisch konnten arabische Wörter nur mit großem Aufwand in einem deutschen Text verarbeitet werden; heutzutage gehört dies zur Standardausstattung jedes Textverarbeitungsprogramms. Was ist gewonnen mit schwierigen Zeichen (ā, ṣ, ṯ), deren Aussprache ohnehin nur demjenigen geläufig sein dürfte, der sich mit dem Arabischen beschäftigt hat?
Jedoch auf der anderen Seite: Welcher Schaden wird durch diese Zeichen angerichtet? Jedes diakritische Zeichen ist ein Stempel der Fremdheit. Als ob das Wort dem Leser entgegenschreit: „Ich gehöre nicht hierher, ich bin kein Teil der ‚eigentlichen‘, ‚ursprünglichen‘ deutschen Kultur. Ich bin fremd hier und werde immer fremd bleiben. Vielleicht werde ich auch eines Tages gehen.“
Ob jedoch solche zentralen Wörter und Konzepte wie Îmân, Ihlâs, Ihsân, Tawakkul und Ibâda aus dem Deutschen verschwinden sollten? Da werden Muslime wahrscheinlich eine andere Meinung haben. Mit einer einfachen und gefällig wirkenden Umschrift dieser Wörter im Deutschen ist viel getan. Dass es hierzu noch keine Einheit gibt, steht auf einem anderen Blatt. Einen Konsens hier vorzuschreiben (oder durch Konferenzen herbeizuzwingen) scheint kaum zielführend zu sein. Der lebendige Diskurs der Menschen, so bleibt die Hoffnung, wird etwas Praktikables hervorbringen.