Wie leben Menschen mit Migrationshintergrund, deren Familien vor Jahren nach Österreich ausgewandert sind? Drei junge Erwachsene berichten darüber, was es heißt, österreichisch zu sein und einen Migrationshintergrund zu haben.
Die jetzige Generation spricht in der Regel mindestens zwei Sprachen und beherrscht die deutsche Sprache sehr gut. Für Natasha sind Kommentare wie -Sie können aber gut Deutsch sprechen- in der heutigen Zeit überflüssig. Bei solchen Sprüchen solle man kein Blatt vor den Mund nehmen. Asim sagt, dass solche Kommentare stören: „Es ist selbstverständlich, dass in Österreich lebende Menschen die Sprache des Landes können. Es überrascht mich immer wieder zu sehen, dass die Österreicher der Meinung sind, Migranten könnten die deutsche Sprache nicht perfekt sprechen.“ Meltem erzählt, dass sie auf solche Kommentare nicht eingehe. Meistens würde sie dann antworten ‚Ich bin hier geboren, warum sollte ich die Sprache nicht gut sprechen können?!‘.
Natasha, Asim und Meltem verbinden mit ihrer Muttersprache eine gewisse Emotionalität. Asim erzählt, dass er in seiner Muttersprache aufgewachsen ist und eine besondere Bindung zu ihr aufgebaut habe. Seine emotionale Bindung zur deutschen Sprache hingegen sei etwas eingeschränkter; am ehesten aber hätte er Vertrauen zur englischen Sprache. „Meine Muttersprache ist das Erbe meiner Vorfahren sowie Teil meiner sudanesischen Identität und die Sprache meiner Religion. Ich denke, sie ist das bedeutendste Erbe, das mir meine Eltern geben können. In meiner Muttersprache kann ich meinen Glauben und meine Kultur viel besser lernen.“ Natasha, die sich in der deutschen und englischen Sprache sicher fühle, erzählt, dass sie einige Fehler in ihrer Muttersprache habe. Dennoch könne sie Urdu gut sprechen. „Muttersprache bedeutet für mich, meine wichtigsten Gefühle auszudrücken und jedes Wort physisch spüren zu können. Urdu zu sprechen bedeutet für mich, Selbst sein zu können, ohne etwas vorzutäuschen.“
Meltem erzählt, dass sie sich in der türkischen Sprache besser ausdrücken könne, sich in ihrer Muttersprache sicherer und wohler fühle: „Ich glaube, ich kann meine Gefühle und Gedanken besser auf Türkisch ausdrücken. Ich bin der Meinung; die Muttersprache sollte man auf jeden Fall bewahren.“
Bei der Frage „Woher kommst du ursprünglich?“ sei es wichtig, wer diese Frage stellt und in welchem Zusammenhang sie gestellt wird. Natasha sieht es nicht als richtig, wenn sie von einer wildfremden Person danach gefragt wird. „Angenommen mir wird diese Frage in einem Vorstellungsgespräch durch einen Weißhäutigen gestellt. Dies würde das Machtungleichgewicht stark beeinflussen. Es würde mir indirekt zeigen, dass ich eigentlich nicht hierhergehöre und meine Präsenz in diesem Land verteidigen muss.“ Meltem lasse sich von dieser Frage nicht einschüchtern. Wenn jedoch die Absicht hinter der Frage sei, anzudeuten, dass sie nicht hierhergehöre, würde die Situation anders aussehen: „Mein Dasein in dieser Gesellschaft erfordert nicht, dass ich Österreicherin bin.“
Asim hingegen meint, „In meiner Kindheit fiel es mir schwer, eine Antwort auf die Frage ‚Woher kommst du ursprünglich?‘ zu finden. Wien ist meine Heimat, in der ich geboren und aufgewachsen bin; ich habe hier studiert und arbeite hier -und das wird auch so bleiben.“
Alle drei denken, dass sie auf politischer Ebene nicht ausreichend vertreten werden. Aktuell haben lediglich 5 % der Abgeordneten des neu gegründeten österreichischen Nationalrats einen Migrationshintergrund, obwohl fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung Österreichs eigentlich gar nicht österreichisch ist. Asim äußert sich kritisch dazu, dass die Vorstellung, Einwanderer seien „böse Täter“, noch immer Thema in der heutigen Politik ist. „Es reicht aus, einen Blick auf die Maßnahmen der Regierung zu werfen, um zu sehen, wie harsch gegen Muslime vorgegangen wird.“ Unter den 71 Abgeordneten der größten österreichischen Partei ÖVP gibt es nicht einen Abgeordneten, der nichtösterreichischer Herkunft ist.
Auch Natasha meint, dass keiner der Abgeordneten sie vertrete. „[Eins ist klar] Die Linken vertreten keines Falls die hierzulande lebende muslimische Bevölkerung, selbst wenn sich unter ihnen einige Muslime befinden. Diese Parteien unterstützen Gesetze, die den muslimischen Gemeinschaften nicht zu Gute kommen und sie marginalisieren.“
Die mögliche Gründung von türkischen Parteien in Österreich würde in der Gesellschaft zu Isolation führen, sagt Meltem, deshalb würde sie so etwas nicht befürworten wollen. Stattdessen würde sie türkischstämmige Politiker in den österreichischen Parteien unterstützen.
Asim glaubt, dass Menschen Vorurteile gegenüber Menschen haben, die anders sind als sie selbst. „Das beginnt schon mit jenen Menschen, die beispielsweise in der Bahn den Sitzplatz neben mir meiden. Vielleicht sollte man so etwas nicht an die große Glocke hängen, aber solche Situationen lassen einen spüren, dass man ‚anders‘ ist“, so Asim.
Natasha erzählt, dass sie in der Öffentlichkeit noch nie physisch angegriffen wurde, allerdings sei sie schon mehrmals verbal angegriffen worden und man wäre oft verletzend mit ihr umgegangen. „Ich habe diese diskriminierenden und demütigenden Erfahrungen sowohl im Studium wie auch im beruflichen Leben erlebt.“
Meltem erzählt, wie sie einmal diskriminiert wurde: „Als ich noch Lehramt studierte, wollte man mich am zweiten Tag meines Orientierungspraktikums nicht an der Schule haben, weil ich ein Kopftuch trage, also musste ich die Schule verlassen. Es war nicht einfach, eine neue Schule zu finden. Die Fakultät half mir dabei, eine neue Schule zu finden. Auch da wurde ich so behandelt, als wäre ich schuldig.“
Natasha berichtet, dass sie sich wohl fühlte, als sie von Pakistan zurück in Österreich war. „Es hat einen Grund, warum meine Eltern damals Pakistan verließen. Ich kann mir nicht vorstellen dort zu leben.“ Sie wisse aber auch, dass es in Österreich nicht immer friedlich abliefe. „Ich freue mich, wenn ich nach Österreich zurückkomme, ich weiß aber auch um die hiersiegen Probleme.“
Für Meltem ist Heimat der Ort, an dem ihre Gleichgesinnte leben. „Heimat ist der Ort, an dem jene Menschen leben, mit denen ich über dieselben Dinge lache, mit denen ich denselben Humor, dieselben Werte und dieselbe Aufrichtigkeit teile.“
Asim berichtet, dass er Heimweh verspüre, wenn er in Sudan ist. „Einerseits habe ich die Möglichkeit, meine Verwandten und meine Kultur näher kennenzulernen. Andererseits habe ich das Gefühl, dass ich nicht wirklich irgendwo hingehöre.“ Im Sudan sei er ein Europäer, ein Österreicher, der nur zum Urlaub kam. In Österreich sei er ein Ausländer, ein Afrikaner, ein Araber. „Trotzdem fühle ich mich immer zu Hause, wenn ich in Sudan ankomme.“ Was bedeutet also Heimat für die in Österreich lebenden Migrantenkinder? Es herrscht ein Hin- und Hergerissen-Sein zwischen zwei Nationalitäten. Für Natasha gäbe es keinen perfekten Ort wie „Heimat“. Ihre Heimat sei da, wo die Menschen sind, die sie liebt. „Als gläubige Muslima kann ich sagen, dass sich die eigentliche Heimat im Inneren eines jeden befindet. Ich denke, Heimat gibt es nicht auf dieser Welt.“
Auch für Asim sei Heimat kein Land, keine Stadt oder gar ein Ort. „Heimat ist ein Gefühl, ein Sicherheitsgefühl, Wohlstand und ein „Willkommensgefühl“. Alles, was meine Welt repräsentiert, ist Heimat. Trotz anderer Ideen und Werte, Heimat ist der sichere Kreis meiner Freunde.“