Islamdebatten

Woher kommt die Islamfeindlichkeit?

Islamfeindliche Straftaten gegenüber Muslimen nehmen stetig zu. Dr. Farid Hafez stellt drei essenzielle Theorien vor, um die heutige Islamfeindlichkeit zu begründen.

05
01
2020
Antimuslimische Straftaten
Symbolbild: Islamfeindlichkeit © Twitter, bearbeitet by iQ.

Islamdebatten sind kein neues Phänomen. Macht man sich auf die Suche nach den Ursprüngen heutiger Islambilder, greift es zu kurz, lediglich zwei oder drei Jahrzehnte zurückzublicken. In der wissenschaftlichen Debatte gibt es drei Herangehensweisen in der Erklärung dessen, was gemeinhin als Islamfeindlichkeit, Islamophobie und/oder anti-muslimischer Rassismus genannt wird.

Die erste Herangehensweise ist jene, die Problematik durch die Brille der Vorurteilsforschung zu beleuchten. Diese Betrachtungsweise konzentriert sich primär auf individuelle Einstellungen von Menschen und versucht, Vorstellungen über die als „anders“ markierten Musliminnen und Muslime zu deuten. Mit der Hilfe von psychosozialen Analysen sollen Ängste und Wahrnehmungen aufseiten jener Menschen nachvollzogen werden, deren Einstellungen als islamophob gewertet werden. In der öffentlichen Debatte schwingt dabei manchmal eine Vorstellung mit, wonach Vorurteile und die damit einhergehende Abwertung von als „anders“ markierten Gruppen eine gewisse Normalität in allen Gesellschaften darstellen würde. Damit geht auch eine gewisse Banalisierung von Vorurteilen einher, ganz nach dem Motto, dass es sich hierbei um nichts Außergewöhnliches handle.

Das ruft oft auch Kritik von einer zweiten – in der Wissenschaft mittlerweile – dominierenden Perspektive auf den Plan; die Rassismusforschung. Aus der Sicht vieler AkademikerInnen in der Rassismusforschung gilt es, die Frage der Macht stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Ohne die Bedeutung von rassistischen Vorurteilen aufseiten von Einzelpersonen zu leugnen, soll das strukturelle Verhältnis von anti-muslimischem Rassismus stärker beleuchtet werden. Der Begriff der Rasse wird hier nicht als eine real existierende Kategorie verstanden. Somit ist der Rassenbegriff nicht eine Voraussetzung von Rassismus, sondern ein Ergebnis von Rassismus. Die Essentialisierung des Muslimisch-Seins wird damit als funktional für die Herstellung eines Machtverhältnisses verstanden. Anti-muslimischer Rassismus dient somit der Aufrechterhaltung von Privilegien für eine dominante Gruppe, die eine fiktive oder reale Gruppe von MuslimInnen problematisiert, um ihre eigenen Privilegien zu verteidigen. Das lässt aber noch die Frage offen, wann und wo dieser Rassismus seine Anfänge genommen hat.

Globale Machtkonstellationen prägen Islamfeindlichkeit

Darauf versucht insbesondere die dritte Erklärung eine Antwort zu geben. AutorInnen, die sich der Schule des dekolonialen Ansatzes zugehörig betrachten, begreifen antimuslimischen Rassismus durch eine bestimmte historische und globale Perspektive. Sie gehen davon aus, dass die heutige Form von Rassismus insbesondere mit der Entdeckung Amerikas durch den Weißen Mann seinen Ausgang gefunden hat. Mit 1492 wurde nicht nur der Grundstein für die Selbstimagination Europas als christlicher weißer Kontinent gelegt, indem das Jüdische wie auch das Muslimische aus Andalusien verbannt wurde. Gleichzeitig wurde mit dem Landraub Amerikas, der Versklavung afrikanischer Schwarzer und dem Kolonialismus der Grundstein für eine weltwirtschaftliche Vorherrschaft des Weißen Mannes gelegt. Die rassistische Differenzkonstuktion des Anderen – Jüdischen, Muslimischen, Schwarzen wie auch des Weiblichen – ist mit dieser Vormachtstellung des Weißen Mannes direkt verbunden. In den Worten von Achille Mbembe ist damit Islamfeindlichkeit letztendlich eine expansive Ausweitung der kolonialen Ordnung. Zwar gibt es lange davor schon antimuslimische Stereotypen, die in einem sich christlich verstandenen Europa verwendet wurden, um etwa für die Kreuzzüge zu mobilisieren. Jedoch ging damit noch nicht der Beginn einer weltumspannenden Vormachtstellung des Weißen Mannes einher.

Alle drei Perspektiven erlauben eine bestimmte analytische Perspektive auf die Problematik des antimuslimischen Rassismus. Nun mag die konkrete Färbung oder Ausformung des antimuslimischen Rassismus in verschiedenen Ländern unterschiedlich sein. Insbesondere der zweite und dritte Zugang lenken dabei aber die Aufmerksamkeit auf (globale) Machtkonstellationen, die die Formationen der Islamfeindlichkeit prägen. Davon sind auch Länder mit muslimischen Bevölkerungsmehrheiten nicht ausgeschlossen. Zuletzt haben Enes Bayraklı und ich das erste Werk seiner Art veröffentlicht, in dem wir uns mit Islamophobie in Ländern auseinandersetzen, die mehrheitlich oft als Teil der islamischen Welt betrachtet werden. Postkoloniale Strukturen und epistemischer Rassismus, der die Norm von Denken und Handeln um die Erfahrungen des Weißen Mannes positioniert, sind dabei wesentliche Faktoren, die die Islamfeindlichkeit in mehrheitlich von MuslimInnen bewohnten Ländern angetrieben haben.

Islamberichterstattung bereits vor dem 11. September negativ

Während in der breiten Öffentlichkeit oftmals der Eindruck besteht, dass Islamfeindlichkeit auf islamistisch markierten Terrorismus zurückgehe, bestätigen unzählige Studien über die Islamberichterstattung, dass diese Annahme falsch ist. Zwar hat die Berichterstattung über den Islam und die MuslimInnen nach 1979 mit der Revolution im Iran zugenommen, was mit 9/11 weiter an Fahrt gewonnen hat.

Studien zeigen, dass die Islamberichterstattung bereits lange vor dem 11. September 2001 tendenziell negativ war. Insbesondere mit dem Ende des Ost-West-Konflikts wurde ein neues Paradigma eingeführt, um die Welt und die politischen Konflikte auf ihr neu zu deuten. Nicht mehr die weltanschauliche Grenze von Kommunismus vs. Freie Welt, Ost vs. West, sondern jene um Kultur und Religion wurde bedient, um Konflikte auf dem Globus zu deuten. Samuel P. Huntington, der auch während des Ost-West-Konfliktes eine wichtige Rolle als Theoretiker spielte, sollte mit seiner Theorie „Kampfes der Kulturen“ (Clash of Civilizations) die passende Antwort auf die Zeit nach dem Kalten Krieg anbieten. Er steht dabei neben einer Reihe anderer bedeutender Autoren wie etwa Bernard Lewis. Diese Debatten prägen seither die Debatten über den Islam und die MuslimInnen in unserer Welt.

Illusion, der Islam widerspreche den herrschenden Ordnungen

Die zentrale Frage, die aufgeworfen wird, ist, ob es einen Platz für die MuslimInnen in unserer Welt gibt. Die Volksrepublik China hat für den westlichen Teil in Xingjang eine eindeutige Antwort darauf gefunden. Es gibt keinen Platz in dem kommunistischen Reich für eine islamische Identität. In muslimischen Ländern ist es oftmals wie in den Ländern des Globalen Nordens eine disziplinierte islamische Identität, die sich der Grammatik der herrschenden Ordnung unterstellt und diese nicht in Frage stellt, welche geduldet wird. Wobei auch hier anzumerken ist, dass die Idee, dass „der Islam“ nicht in die herrschende Ordnung passt, eine zutiefst in westlichen Ländern anzufindende Theorie ist. Der Islam, so scheint es, widerspreche den herrschenden Ordnungen, sei dies nun die liberale und/oder säkulare Ordnung im Westen, oder die kommunistische Ordnung im Osten. Was beide gemein haben ist, dass zur Herstellung dieser Vorstellungen jeweils Diskurse entstehen, die „den Islam“ mit all diesen weltanschaulichen Ordnungsvorstellungen als unvereinbar postulieren. Die Semantik des Diskurses ist dabei zweitrangig. Primär von Bedeutung ist, dass der Islam scheinbar keinen Platz in der Welt hat.

Diese Gemeinsamkeit eint derzeit auf internationaler Ebene unterschiedlichste politische Regime. Sie ermöglicht vor dem Hintergrund des Schweigens der Nobelpreisträgerin und Staatsrätin in Burma, Aung San Suu Kyi, gegenüber dem Genozid an MuslimInnen ein Treffen mit dem Premierminister Ungarns, Viktor Orban, der in einem – wenn auch viel kritisierten – Mitgliedsstaat der Europäischen Union zum dritten Mal in Reihe regiert. Und das ist nur eines von vielen Beispielen das zeigt, welche ideologische Kraft Islamophobie neben seiner Funktion der Aufrechterhaltung und Erweiterung von Machtpositionen innewohnt.

Leserkommentare

Charley sagt:
@ Ute Fabel: Das hat System: Die weit größere Gefahr als der Rechtsterrorismus sind der politische Rechtsradikalismus und deren Perversion der Sprache.
27.02.20
11:06
grege sagt:
@ Herr Disch Den Vorgang mit Hr. Zekri habe ich bewusst thematisiert, da dieser ein zentrales Problem muslimischer Communities in Europa widerspiegelt. Sowie andere Nichtmuslime mögen Muslime in der Mehrheit - trotz Ausbreitung des islamischen Extremismus in die Mitte der Muslime - friedlich, tolerant und weltoffen gesinnt sein, aber dieser Part der Muslime ist kaum organisiert und daher als Masse ohne Gesicht Nichtmuslimen der Öffentlichkeit kaum zugänglich. Daher ist es kaum verwunderlich, dass die Islamdebatten die großen, konsversativ geprägten, mit Extremismus verbandelten Islamverbände bestimmen. Schon allein aus diesem Grunde sind weite Teile der nichtmuslimischen Bevölkerung dem Islam kritisch sowie skeptisch eingestellt. Letztlich müssen sich die moderaten Muslime besser mit staatlicher Unterstützung organisieren und sich auch öffentlichkeitswirksam von den extremismusnahen Islamverbänden abgrenzen. Kritik und auch Skepsis sollen natürlich auf Tatsachen beruhen und Ausgangspunkt für konstruktive Lösungsansätze darstellen. Allerdings stellt Religionskritik ein hohes Gut dar, was insbesondere von linken Gruppierungen sowie der 68er Bewegung im Umgang mit dem Christentum in Anspruch genommen wurde. Juristische Konsequenzen und Rügen des Presserates hat es kaum gegeben, eben mit Verweis auf Meinungsfreiheit. An diesen Maßstäben müssen sich auch Islamvertreter orientieren.....Bei Konfronation mit ungefälligen Darstellungen ihrer Religion sollten Islamvertreter je nach Fall mit Ignoranz, sachlicher Erwiderung oder humorvoller Ironie reagieren. Lamoryanz, Empörung oder gar Relativierung von Drohungen sind dabei ganz schlechte Ratgeber. Wenn der Tatbestand von Hetze und Verleumndung erfüllt ist, können Muslime im Einzelfall wie die christlichen Kirchen auch rechtliche Konsequenzen fordern. In Frankreich haben sich dortige Verlage geweigert, Bücher von Hr. Samad zu veröffentlichen. Aber nicht aufgrund qualittativer Mängel, sondern aus Angst vor Anschlägen von islamischen Extremisten. Diese Denkweise sowie Reaktionen bestimmter Islamversteher wie Daniel Bax, der dem Verleger von Charlie Hebdo eine Mitverantwortung an der Auslöschung der Redaktion unterstellt hat, sind natürlich verherrend. Analoge Entwicklungen gibt es insbesondere auch in einigen Regionen Ostdeutschland wie der sächsischen Schweiz, wo bestimmte Veröffentlichungen aus Angst vor Regaktionen in der rechtsradikalen Szene gemieden werden. Diese Entwicklung bereitet mir natürlich auch Sorge wie die vereitelten Anschlagspläne von rechtsgesinnten Verbänden.
29.02.20
14:19
grege sagt:
@ Herr Disch, vielen Dank für Ihren Literaturtipp. Das Buch werde ich mir auch mal gerne zu Gemüte führen. Hr. Koopermann ist ja bekannt für seine Analysen auf Basis quantitativer Daten.
29.02.20
16:22
Johannes Disch sagt:
@grege (2902.2020, 14:19) Ich stimme Ihnen absolut zu. Man kann beispielsweise über Hamed Abdel-Samad geteilter Meinung sein. Aber seine Bücher aus Angst nicht zu veröffentlichen, das ist eine Kapitulation vor dem islamischen Extremismus und vor den konservativen Verbänden. Wie kritikunfähig und unwillig die Verbände sind, das kann man der Reaktion auf das jüngste Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts entnehmen ((siehe hier 2 aktuelle Artikel auf "islmiq"("Muslime kritisieren Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen" und "Gesetzgeber darf Kopftuch bei Rechtsreferendarinnen verbieten", beide am 27.02.2020)). Da wird reflexartig "Rassismus" und "Diskriminierung" gerufen, ohne sich überhaupt mit dem Urteil zu beschäftigen. Das Buch von Koopmans lohnt sich. Es ist eines der besten zum Thema. Koopmans arbeitet wissenschaftlich sauber und seine Befunde sind eindeutig!
02.03.20
13:16
Johannes Disch sagt:
@grege (29.02.20, 16;22) Der Mann heißt nicht Koopermann, sondern Koopmans. Ruud Koopmans. Ich erwähne das nur, damit sie in der Buchhandlung das Buch auch bekommen ("Das verfallene Haus des Islam"). Wie gesagt, die Lektüre lohnt sich.
02.03.20
19:32
Johannes Disch sagt:
@grege Wie unkritisch und absurd manches hier ist inzwischen ist, das können Sie an Beiträgen zum Artikel über Sawsan Chebli ("islamiq", 28.02.2020) sehen. Da macht "Harousch" einen abenteuerlichen historischen Exkurs. "Unsere Demokratie"-- konkreter wird er nicht-- hätte uns die NPD, die NSDAP und das Nazi-Regime und andere Übel beschert. Das Sahnehäubchen seines Beitrags ist die Behauptung, die Scharia wäre ein Vorläufer der Demokratie. Wie nennen Sie das immer? Selbstausgrenzung und Selbstviktimisierung. Ich hab kurz humoristisch geantwortet. Schließlich war gerade Fasching.
02.03.20
20:15
Johannes Disch sagt:
Auffällig ist: Die Aufkündigung des Flüchtlingsdeals durch den türkischen Präsidenten Erdogan wurde hier bei "islamiq" bisher nicht thematisiert. Davon abgesehen, dass Erdogan damit versucht, EU und NATO zu erpressen, gebraucht er die Flüchtlinge als Manövriermasse und gefährdet ihr Leben. Aber über die -- zugegeben schlechte-- Situation der muslimischen Rohingya in Myanmar wird hier nahezu im Wochentakt berichtet. Und jede dümmliche Moschee-Schmiererei rechter Dumpfbacken zur "Islamfeindlichkeit aufgeblasen. Das ist sehr selektiv und manipulativ.
03.03.20
7:37
Ute Fabel sagt:
Der Direktor des österreichischen Bundesamts für Verfassungsschutz, Peter Gridling, nannte im August 2019 die Identitäre Bewegung den „Träger des modernen Rechtsextremismus in Österreich“. Linksextremistische Straftaten seien im Jahr 2018 deutlich zurückgegangen, beim Rechtsextremismus gab es einen leichten Anstieg. Die größte Bedrohung für die Sicherheit Österreichs geht nach wie vor vom islamistischen Extremismus und Terrorismus aus. So lautet das Fazit des Verfassungsschutzberichts für das Jahr 2018. Insgesamt waren mit Jahresende 2018 320 Personen aus Österreich bekannt, die in die Kriegsgebiete Syrien und Irak gereist sind oder dorthin reisen wollten, um zu kämpfen. Auch wenn es in Österreich noch keinen Terroranschlag gegeben hat und die Zahl der neu ausreisenden Kämpfer aus Österreich in die Jihad-Kriegsgebiete stagniere, bleibe der islamistische Terrorismus die größte Bedrohung für die Sicherheit Österreichs.
03.03.20
12:28
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (03.03.2020, 12:28) Ich habe einiges auszusetzen am neuen österreichischen Islamgesetz. Es enthält aber auch gute Elemente, die für Deutschland zum Vorbild werden sollten. Euer Gesetz verbietet künftig die Auslandsfinanzierung von Moscheen und Imamen. Die islamischen Glaubensgemeinschaften müssen sich ausschließlich aus inländischen Einnahmen finanzieren. Richtig so! Zudem werden immer mehr radikale Prediger aus Austria ausgewiesen. Ebenfalls richtig. Also, nicht alles ist schlecht, was der "Kurzi" macht.
05.03.20
13:58
Johannes Disch sagt:
@Charley (27.02.2020, 11:06) In Deutschland ist aktuell sicher der Rechtsextremismus das größte Problem. Global betrachtet geht aber vom islamischen Fundamentalismus/Djihadismus die größte Gefahr aus. Da hat Frau Fabel völlig recht.
05.03.20
20:36
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