In unserer Imam-Kolumne bitten wir Imame zu Papier. In der aktuellen Kolumne beschreibt Yavuz Yaylak die möglichen Ausbildungswege für Imame.
Immer wieder ist die Rede davon, dass ein Imam die Sprache des Landes sprechen sollen, in dem er tätig ist. Er soll am besten in Europa sozialisiert sein und kein Geld aus anderen Ländern beziehen. Die Diskussionen laufen. Indes bleiben die Bemühungen der islamischen Gemeinschaften in puncto Imamausbildung entweder unbeachtet oder werden in den Islamdebatten häufig instrumentalisiert. Die islamischen Religionsgemeinschaften werden eher als Hindernis und nicht als Lösung angesehen. Doch ungeachtet davon setzen diese ihre Arbeit im Bereich Imamausbildung fort.
Die Moscheen hierzulande nehmen einen zentralen Platz innerhalb der Gesellschaft ein. Islamische Gebetsstätten sind für alle Bevölkerungsgruppen zugänglich. Die Bedürfnisse der zweiten bzw. dritten und vierten Generationen, sprich jener in Deutschland geborenen, aufgewachsenen und sozialisierten Generation, sind andere als die der vorherigen. Im Zuge der zunehmenden Islamdebatten sind Moscheen als eine Art Begegnungsstätte von Muslimen und Nichtmuslimen immer stärker in den Vordergrund gerückt. Die Imame dieser Moscheen sind zu Meinungsführern geworden.
Ich war zunächst als Imam in einer von der ersten Generation errichteten Moschee tätig, und habe im Laufe der Zeit viele Veränderungen und Umwälzungen miterlebt. Ich kam als Kind nach Deutschland. An Wochenenden besuchte ich den Moscheeunterricht. Dort lernte ich grundlegendes islamisches Wissen und nahm am Koranunterricht teil. Es gab auch Freizeitaktivitäten wie Ausflüge, kulturelle Angebote und Sport. Die Moschee war also kein Ort, an dem wir uns nur an den Wochenenden trafen und Unterricht erhielten. Es gab auch immer Ältere, die sich um uns kümmerten und als Bezugsperson für uns da waren. Später habe ich dann auch selber angefangen, an Wochenenden zu unterrichten. Ich habe Kinder aber nicht nur unterrichtet, sondern sie auch begleitet. Ich stand im stetigen Austausch mit ihnen.
Zwischenzeitlich erhielt ich klassischen Madrasa-Unterricht in der Türkei und lernte auch den gesamten Koran auswendig. Parallel dazu ging ich zur Schule. Nach der Schule kam ich zurück nach Deutschland, um Wirtschaftsinformatik zu studieren. Ich hatte eigentlich nicht vor, Imam zu werden. Da aber unsere Moschee keinen Imam hatte, war ich vorübergehend als solcher aktiv. Ich war sozusagen zurück in der Moschee, in der ich aufgewachsen bin.
Ich habe keine Schwierigkeiten gehabt, den Beruf als Imam auszuüben, da ich ja im Grunde eine praktische Ausbildung hatte. Als einer, der in Deutschland großgeworden ist, war es mir möglich, das Gleichgewicht innerhalb der Gemeinde zu wahren, auf die Probleme und Bedürfnisse der Gemeindemitglieder einzugehen und als eine Art Brückenbauer zwischen Gemeinde und Gesellschaft zu wirken.
Ich entschied mich, die Ereignisse nicht aus Sicht eines Theologen, sondern eines Mentors zu betrachten. Außer der Imamtätigkeit habe ich also auch andere Aufgaben übernommen: Ich war Leiter und Lehrer des Bildungszentrums, Ansprechpartner für technische sowie kooperative Angelegenheiten, Theologe und Sozialarbeiter. Im Laufe der Zeit habe ich verschiedene Verantwortungen übernommen. Vieles war mir neu. Eine Art Handreichung für Imame gab es damals nicht.
Jahre später sollte ich in der Gemeinschaft, in welcher ich ursprünglich großgeworden bin, der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), die Verantwortung für die Imamausbildung übernehmen. Ich habe häufig beobachtet, dass alle Imame, ob mit regulärer Imamausbildung oder als Quereinsteiger, ähnliche Probleme und Bedürfnisse haben. Der Punkt, an dem wir heute angelangt sind, der gesellschaftliche Wandel und eine junge Generation, die inmitten der Gesellschaft steht und in den Moscheen tätig sein möchte, lässt mich mit Zuversicht in die Zukunft blicken.
Es gibt nicht nur einen Weg zum Beruf des Imams. Das Theologiestudium ist eine der vielen Möglichkeiten, Imam zu werden. Ein beträchtlicher Teil der Imame in Deutschland hat ein solches Studium absolviert. In den 70er und 80er Jahren wuchs eine Generation heran, die an der Al-Azhar-Universität in Ägypten studierte. Viele von ihnen sind in Deutschland oder anderen Ländern Europas geboren bzw. zugewandert.
Theologen, die ihr Studium an den Universitäten in der Türkei, Jordanien und Syrien abgeschlossen haben, waren hinterher auch größtenteils als Imam tätig. Unter der Schirmherrschaft der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) begann im Jahre 2006 das Internationale Theologieprogramm (UIP). Die Absolventen sind teilweise bereits in Deutschland als Imame aktiv.
An den Universitäten in Erlangen/Nürnberg, Frankfurt/Gießen, Münster, Tübingen und Osnabrück kann ebenfalls islamische Theologie studiert werden. Jedoch ist die islamische Theologie in Deutschland ein relativ junger Studiengang. Ein Großteil der Theologie-Fakultäten legen ihren Schwerpunkt auf die wissenschaftliche und theoretische Herangehensweise, weshalb die praktischen und alltäglichen Bedürfnisse in Moscheen häufig nicht erfüllt werden. Die Gemeinden bieten in diesem Zusammenhang unterschiedliche Lösungen an. Zum Beispiel bietet die DITIB den UIP-Absolventen die Möglichkeit, eine zweijährige Fortbildung aufzunehmen. Ziel dieses Zweitstudiums ist es, die Absolventen dahingehend fortzubilden, dass sie ihre Tätigkeit in der Moschee durch praktische Kenntnisse sicher ausführen können. Gemeindepädagogik, religiöse Praxis und Seelsorge sind Bereiche, die eine gewisse Praxis erfordern.
Auch die IGMG bietet Theologiestudenten Möglichkeiten, um den praktischen Herausforderungen in ihrem Beruf gerecht zu werden. Es gibt Praktikumsmöglichkeiten in den Semesterferien, bei denen Theologiestudenten von erfahrenen Imamen begleitet und unterstützt werden. Zudem werden regelmäßig Kurse und Fortbildungsseminare angeboten, um die praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu stärken.
Es gibt weitere Bildungsmöglichkeiten, die sich auf die Ausbildung von Imamen konzentrieren. Dabei werden auch jene Theologen unterstützt, die den Bedürfnissen der Moscheegemeinden nur teilweise nachkommen können. Diese Angebote sind besonders dann geeignet, wenn das Studium der islamischen Theologie vor allem aus praktischer Sicht nicht ausreicht. Zu nennen wären etwa Moscheepädagogik und die praktische Religionsausübung im alltäglichen Leben. Daher konzentrieren sich diese Bildungsangebote darauf, Imame dahingehend auszubilden, dass sie die genannten Bereiche intensiv verinnerlichen.
In Deutschland gibt es auch Einrichtungen, die als Privatschule konzipiert sind. Eine dieser Einrichtungen ist die 2014 eröffnete Berufsfachschule Muslimischer Führungskräfte (BeMuF) in Mainz. Ziel dieser Privatschule ist es, junge, in Europa aufgewachsenen Muslimen, die die jeweilige Landessprache beherrschen, Kompetenzen und Qualifikationen für die verschiedenen religiösen Bereiche zu vermitteln.
In ihrer 4-jährigen schulischen Ausbildung erhalten die Schüler im BeMuF Unterricht in verschiedenen Bereichen wie Arabisch, Koran, Hadith, Fikh, Tafsîr, Prophetenleben, Religionsgeschichte, Pädagogik, Rhetorik, Kalâm sowie Religionssoziologie. Zusätzlich dazu absolvieren die Schüler auch Moscheepraktika, um sie besser auf den Imamberuf vorzubereiten. Parallel zu ihrer schulischen und praktischen Ausbildung absolvieren die Schüler ein Fernstudium im Fach Theologie. Damit erhalten sie gleichzeitig eine akademische Ausbildung. Auf diese Weise haben sie die Möglichkeit, Theologie und den klassischen Bildungsweg zu kombinieren.
Die traditionelle Madrasa-Ausbildung ist ein anderer Weg zum Imam-Beruf. In Deutschland setzt sich der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) seit den 80er Jahren für die alternative Madrasa-Ausbildung ein. Auch das Buhara Institut in Berlin bildet seit 2007 Imame aus. Das Institut bietet die Möglichkeit, sich im Bereich der Islamwissenschaft zu spezialisieren, indem die Inhalte nach klassischer Madrasa-Methode gelehrt werden.
Oft bevorzugen Studenten eine klassische, traditionell-islamische Madrasa-Methode aus der islamischen Welt anstelle von Institutionen, die in Deutschland noch in Kinderschuhen stecken. Eine solche Madrasa-Ausbildung gibt es in Ländern wie Türkei, Syrien, Jordanien, Qatar, Ägypten und Saudi-Arabien, die jahrhundertelang für die Madrasa-Unterweisung bekannt sind.
Nach einer vier- bis achtjährigen Madrasa-Ausbildung, in der theologische und islamwissenschaftliche Inhalte unterrichtet werden, kehren die Absolventen wieder zurück nach Europa. Die IGMG erkennt die Madrasa-Lehrerlaubnis solcher Absolventen an und bietet ihnen die Möglichkeit, dass sie in Moscheen tätig werden. Außerdem werden ihnen auch Praktikums- und Weiterbildungsmöglichkeiten angeboten.