Aung San Suu Kyi vor Gerichtshof
Ausgerechnet Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi verteidigte ihr Land persönlich gegen den Völkermordvorwurf. Sie räumte lediglich ein, es sei „nicht ausgeschlossen, dass Angehörige der Verteidigungskräfte in einigen Fällen unter Missachtung des humanitären Völkerrechts unverhältnismäßige Gewalt angewendet haben oder dass sie nicht klar genug zwischen Kämpfern … und Zivilisten unterschieden haben“. Angriffe der kleinen, schlecht bewaffneten „Rohingya-Rebellengruppe ARSA“ auf Polizeiposten waren im August 2017 der Auslöser zur gewaltsamen und blutigen Vertreibung von rund 740.000 Rohingya nach Bangladesch.
Diese Sicht der Dinge untermauerte zu Wochenbeginn die von Myanmars Regierung eingesetzte „unabhängige“ Untersuchungskommission zum Einsatz der Armee in Rakhine. Es habe keinen „vorsätzlichen Völkermord“ gegeben, hieß es im 463 Seiten umfassenden Abschlussbericht. Die Kommission räumt jedoch ein, dass „Kriegsverbrechen, schwere Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das innerstaatliche Recht stattgefunden haben“.
Schutz der Rohingya in Myanmar
Gambia hatte zunächst beantragt, das Haager Gericht solle „vorläufige Maßnahmen“ zum Schutz der Rohingya in Myanmar anordnen. Über diesen Antrag wird der IGH an diesem Donnerstag entscheiden. Allerdings ist der Gerichtshof nicht befugt, seine Entscheidung auch selbst durchzusetzen; dafür ist der Weltsicherheitsrat zuständig. „In diesem Fall kann sich Myanmar nur auf China und Russland verlassen“, sagt der Journalist und frühere politische Häftling Kyaw Win im Interview des unabhängigen birmanischen Nachrichtenportals „Irrawaddy“. Das werde Myanmars Abhängigkeit von China erhöhen – und das sei „nicht gut“.
Der Ausgang des Verfahrens ist höchst ungewiss. Es ist erst das dritte Mal, dass das Weltgericht angerufen wurde, um einen Staat nach internationalem Recht für Verstöße gegen die Genozid-Konvention zur Verantwortung zu ziehen. In zwei Fällen ging es um die Gräueltaten in den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien in den 90er Jahren. Weder Serbien noch Kroatien wurden schuldig gesprochen. Mit anderen Worten: Der IGH hat noch nie einen Staat wegen Völkermordes zur Verantwortung gezogen.
Prozess hat Welle des Nationalismus ausgelöst
Die größte Hürde sehen Rechtsexperten im Nachweis von „Vorsatz“ zur vollständigen oder teilweisen Vernichtung einer ethnischen oder religiösen Gruppe durch einen Staat. Nach den Regeln des Haager Gerichts müssen „Vorwürfe von außergewöhnlicher Schwere gegen einen Staat durch absolut schlüssige Beweise belegt werden“.
Der Prozess in Den Haag hat in Myanmar eine Welle des Nationalismus ausgelöst. Überall im Land kam es vor Beginn des Verfahrens zu Solidaritätskundgebungen für „Mutter Su“. Kardinal Charles Bo, katholischer Erzbischof von Rangun, forderte noch im Dezember die internationale Gemeinschaft auf, bei den Rohingya-Prozessen „Augenmaß“ walten zu lassen und „nicht das gesamte Volk von Myanmar zu verurteilen“. Die Grenzen zwischen von Regierung und Armee verordneten Kundgebungen und echter Solidarität, so ein westlicher Diplomat, seien fließend.
Befürworter der Klagen in Den Haag, etwa Aktivisten der Rohingya oder Vertreter anderer unterdrückter ethnischer Gruppen in Myanmar, sind Repressionen ausgesetzt. Die UN-Sonderberichterstatterin für Myanmar, Yanghee Lee, forderte „jedes einzelne Organ des Staates Myanmar auf, dafür zu sorgen, dass keine Repressalien gegen Gruppen oder Einzelpersonen verhängt werden, die sich für Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht in Myanmar einsetzen“. (KNA/iQ)