Ibn Ishâk zählt zu den bedeutendsten Historikern in der islamischen Geschichte. Ihm verdanken Muslime tiefe Einblicke in das Leben des Propheten.
Ibn Ishâk war der erste, der das Leben des Propheten Muhammad (s) schriftlich erfasste. Über sein Geburtsjahr besteht Uneinigkeit, es wird aber angenommen, dass er im Jahre 80 oder 85 nach der Hidschra (699 oder 704 n. Chr.) in Medina zur Welt kam und 151 nach der Hidschra (768 n. Chr.) in Bagdad starb. Neben seiner Vorreiterrolle im Gebiet der Sîra, also der Lebensgeschichte des Propheten, sammelte er Hadithe und überlieferte sie. Sein Buch über den Propheten fängt mit der Menschheitsgeschichte, also mit dem Propheten Adam (a) an und wird mit der Lebensgeschichte anderer Propheten fortgesetzt.
Es wird überliefert, dass Ibn Ishâks Großvater bei der Eroberung des Iraks gefangen genommen und nach Medina gebracht wurde. Dort angekommen, nahm die Familie den Islam an. Ibn Ishâks Vater, Ishâk, seine Onkel Mûsâ und Abdurrahmân, seine Geschwister Umar und Abû Bakr beschäftigten sich in Medina mit Bildung und Wissenschaft, insbesondere mit der Hadithwissenschaft. Zusammen mit seinen Verwandten erhielt Ibn Ishâk Unterricht in den Wissenschaftszweigen des Hadith, der Sîra, der Genealogie und der Dichtung.
Es ist nicht bekannt, wo er Aramäisch lernte, die Thora und die Bibel studierte er jedoch in Medina, um dieses Wissen neben anderen jüdischen und christlichen Quellen bei der schriftlichen Erfassung der Zeit vor dem Propheten nutzen zu können. Es wird berichtet, dass er in Medina von etwa 100 Nachkommen der Prophetengefährten Hadithe lernte und überlieferte.
Als sich Ibn Ishâk nach Ägypten begab, um sich in Alexandrien niederzulassen, lernte er dort den berühmten Gelehrten Imâm Schâfiî kennen. Aufgrund der Machtzunahme der Abbasiden in Ägypten, denen er nicht wohlgesinnt war, verließ er das Land und lebte zeitweise in den irakischen Städten Kufa, Hira und Ray, um sich später in Bagdad niederzulassen. Vor seinem Tod in Bagdad unterrichtete Ibn Ishâk u. a. Abû Yûsuf, einen Schüler des bekannten Rechtsgelehrten Imam Abû Hanîfa.
Ibn Ishâk wird als Pionier der islamischen Geschichtsschreibung angesehen, sein Werk „Sîra“ oder genauer „Sîratu Rasûlillâh“ bildet die Grundlage für alle späteren Werke, wobei die Chronologie sowie die Vorgehensweise meist beibehalten wurden. Bei der Betrachtung des Werkes, das als älteste Quelle dient, kann festgestellt werden, dass viele Gelehrte der Sîra in derselben Weise vorgingen.
Das Kapitel über den Propheten beginnt mit dessen Geburt, worauf Kapitel wie „Hadîdscha“, „die Offenbarung“, „das erste Treffen mit den Ansâr“, „Mirâdsch“ und „Hidschra“ folgen. Das Kapitel nach der Hidschra beinhaltet die Überschriften: „die Zeit in Medina“, „die Änderung der Kibla“, „verschiedene Kriege“, „dere Hadsch“, „die Einnahme Mekkas“, „die letzte Krankheit des Gesandten Gottes“ und „die Wahl Abû Bakrs zum Kalifen“. Darüber hinaus war Ibn Ishâk der erste, der die Verträge, die der Gesandte Gottes mit den jüdischen Stämmen in Medina abschloss, sammelte und weitergab.
Während Ibn Ishâk in dem Kapitel über die Sîra und die Hadithüberlieferung stets auf Quellen verwies, zog er es vor, für die Zeit vor dem Propheten, über die er sehr ausführlich berichtet, keine genauen Quellenangaben zu machen. Bei der Überlieferung der Gespräche, die der Prophet mit den Boten seiner Briefe führte, arbeitete er umso genauer. Er ließ die Überlieferungen, die er von Yazid bin Abû Habîb machte, von Gelehrten aus Medina wie Ibn Schihâb az-Zuhrî bestätigen.
Ibn Ishâk, dessen bedeutende Rolle bei der Hadithüberlieferung umstritten ist, ging auch in dem Kapitel bezüglich der Offenbarungsgründe (Asbâb an-Nuzûl) nicht chronologisch vor. Die Biographie des Gesandten Gottes entspricht nicht exakt der Chronologie, ist jedoch gut gegliedert. In seinem Werk unterteilte Ibn Ishâk die Koransuren stets in medinensische und mekkanische und listete die Namen der ersten Muslime und deren Stämme ausführlich auf.
Ibn Ishâk verwendete in seinem Werk viele Gedichte und Sprüche, was seitens der Gelehrten stark kritisiert wurden. Selbst der bedeutendste Kommentator seines Buches, Ibn Hischâm, ließ die Gedichtpassagen aus. Die Erfassung der Feldzüge des Gesandten Gottes hingegen fand hohen Anklang. Ibn Ishâk legte die Anzahl der Feldzüge, an denen der Prophet teilnahm, auf 27 fest und machte nähere Erläuterungen zu den Gründen, den Beteiligten und den Orten dieser Auseinandersetzungen. Die Werke, die sich mit den Kämpfen des Propheten beschäftigen, bezeichnet man als „Mağâzi“. Ibn Ishâks wichtigstes Werk in diesem Gebiet ist die „Sîratu Ibn Ishâk, „Kitâbul Mubtada wa fî-Mabas wa al-Mağâzi“.
Eine andere wichtige Arbeit Ibn Ishâks ist das Werk „Kitâb al-Hulafâ“, das die Zeit der Kalifen behandelt. Überlieferungen zufolge hat er dieses Buch, das später aufgrund seiner Länge gekürzt wurde, auf Wunsch des abbasidischen Kalifen Abû Dschâfar al-Mansûr geschrieben.
Obwohl Ibn Ishâks Autorität in den Wissenschaftszweigen der Sirâ und des Mağâzi anerkannt wurde, unterlagen seine Werke teils heftiger Kritik. Ihm wurde vorgeworfen ein Mutazilit und Schiit zu sein und die Schiiten politisch zu unterstützen, weshalb ihn der Wâlî von Medina bestrafte.
Vor allem zwei seiner Vorgehensweisen bei der Hadîthüberlieferung wurden kritisiert. Zum einen berücksichtige er die ersten Überlieferer bei der Überliefererkette nicht. Zum anderen fehlen Kennzeichnungen der Hadîthe, die von Juden, Christen oder Götzendienern überliefert wurden. Die Wiedergabe einiger Passagen aus den Übersetzungen der Thora und der Bibel stießen gleichermaßen auf Kritik.
Insbesondere im Wissenschaftsgebiet der Genealogie kam es zu Unstimmigkeiten zwischen Ibn Ishâk und Imâm Mâlik bin Anas. Dieser fand es nicht richtig, dass Ibn Ishâk die Überlieferungen bezüglich der Kämpfe Haybar, Banî Kurayzâ und Banî Nâdir von Muslimen übernahm, die vom Judentum zum Islam konvertiert waren.
Zu den häufigsten Kritikpunkten zählt zudem die Tatsache, dass Ibn Ishâk viele Gedichte in sein Werk aufnahm, deren Wahrheitsgehalt unsicher war. Ibn Hischâm, der ein Kommentar zu Ibn Ishâks Werk verfasste, ließ diese Passagen aus und wurde deswegen während seines Ägyptenaufenthalts von Imam Schâfiî kritisiert, mit dem er sich jedoch später anfreundete.
Trotz der Kritik ist Ibn Ishâk der bedeutendste Hadithgelehrte seiner Zeit. Wichtige Personen in diesem Gebiet wie Buhârî, Muslim, Abû Dâwud, Tirmizî, Nasâi, Ibn Mâdscha und Ahmad bin Hanbal nutzten seine Werke als authentische Quellen. Es wird gesagt, dass Ibn Ishâk 17.000 Hadithe überliefert habe, wovon jedoch – aufgrund der verschiedenen Überliefererketten – nur 1.600 bis 1.700 als authentisch eingestuft wurden.
Der Gelehrte Ibn Ishâk, der trotz negativer Beurteilungen eine Autorität in den Gebieten der Sirâ und des Mağâzi ist, wurde nach seinem Tode in Bagdad neben Imâm Abû Hanîfa beerdigt.