Imam Tabarî ist einer der bedeutendsten Korankommentatoren. Sein Werk hat die Tradition der Koranexegese nachhaltig beeinflusst.
Imam Tabarî (823-923) war ein muslimischer Chronist und Korankommentator, der aus der Stadt Amul in Tabaristan stammt. Schon ın jungen Jahren begann er mit dem Studium der islamischen Wissenschaften. Es wird überliefert, dass er mit sieben Jahren den Koran auswendig lernte.
Tabarî stammte aus einer wohlhabenden Familie, weshalb ihm sein Vater ermöglichte, sich an die blühenden Orte der Wissenschaften wie Ray, Bagdad, Ägypten und Syrien zu begeben. In seiner Jugend beschäftigte sich Tabarî ausschließlich mit den Hadithwissenschaften und später nur noch mit der Lehre und dem Verfassen seiner Werke.
Solange er sein Auskommen sichern konnte, vermied er ein Leben im Luxus und lehnte gutbezahlte Beamtentätigkeiten ab. Aus diesem Grund fand Tabarî genug Zeit, zahlreiche Werke zu verfassen und sich mit Geschichts-, Rechts-, Hadith- und Koranwissenschaften sowie mit Poesie, arabischen Dialekten, Lexikografie, Grammatik, Ethik und sogar mit der Medizin zu befassen.
Viele der Werke Tabarîs sind nicht mehr vorhanden. Seine zahlreichen Arbeiten, die uns erhalten geblieben sind, verdeutlichen den Wert Tabarîs in den Islamwissenschaften.
Sein berühmtestes Werk, das „Tarîh al-Umam wal-Mulûk“ (Geschichte der Völker und Herrscher), das mit der Erschaffung Adams beginnt und mit seiner Lebenszeit endet, enthält Überlieferungen samt Überliefererketten, sodass man die Authentizität dieser nachverfolgen kann.
Dieses Werk machte Tabarî sowohl im Orient als auch im Okzident berühmt und diente den nachfolgenden Chronisten als Vorbild. Tabarîs Chronik zählt zu den wichtigsten der Geschichtswissenschaft, weshalb andere Chronisten die Informationen aus diesem Werk teilweise oder vollständig mit in ihre Aufzeichnungen einbauten.
Imam Tabarî hat eine besondere Stellung in der Exegetik. Sein Korankommentar „Dschâm al-Bayân“ gilt als die erste und wichtigste Exegese, die auf Überlieferungen basiert. Für alle anderen Korankommentare, die sich auf Hadithe, die Prophetengefährten (Ashâb) und der nachfolgenden Generation (Tâbiûn) stützen, stellt die Koranexegese Tabarîs einer der wichtigsten Quellen dar. Takiyyidîn as-Subki schreibt in seinem „Tabakât al-Kubrâ“, das Imam Tabarî auch sehr viele Verse nach der Methode der eigenen Meinung (Ray) interpretierte, die er jedoch im Nachhinein verkürzte, sodass sein Kommentar nun die heutige Form annahm.
Tabarî beginnt in seiner Exegese mit einem Vorwort, in dem er einige Themen des Korans sowie Eigenschaften und Dialekte der arabischen Sprache zur Zeit des Propheten beschreibt. Danach erklärt Imam Tabarî den Unterschied zwischen Erläuterung (Tafsîr) und Interpretation (Tawîl). Er nennt diejenigen Hadithe, in denen verboten wird, den Koran gemäß der eigenen Meinung zu interpretieren, ebenso die Hadithe, die zur Erläuterung des Korans motivieren, und benennt dabei die Prophetengefährten, die den Koran erläuterten. Dazu zählt er diejenigen der Tâbiûn auf, deren Erläuterungen anerkannt bzw. nicht anerkannt werden.
Dann beginnt Tabarî, die Namen, Suren und Verse des Korans zu interpretieren. Er betrachtet sein Werk als Interpretation (Tawîl) und nicht Erläuterung (Tafsîr). Immer wenn er mit der Erläuterung eines Verses beginnt, schreibt er: „Die Interpretation des Wortes des Erhabenen…“. Bei der Erläuterung schreibt er zu den jeweiligen Versen die Überlieferungen der Aussagen der anerkannten Korankommentatoren mit ihren Überliefererketten.
Diese Überlieferungen teilt Tabarî in die klassischen Kategorien auf, also jene vom Propheten, dessen Gefährten und deren Nachfolger. Bei mehreren Überlieferungen zu einem Vers, die zu verschiedenen Ergebnissen führen könnten, gibt er die Argumente (Dalîl) jeder einzelnen Meinung an. Doch er belässt es nicht dabei, die Überlieferungen nur wiederzugeben, sondern überprüft diese auch kritisch und nennt die Meinung, die er favorisiert.
An vielen Stellen geht Tabarî auf die Grammatik der Verse ein, leitet aus diesen rechtliche Regelungen ab und benennt die Beweise hierfür. Er gibt auch die verschiedenen Lesarten wieder. Gleichzeitig klärt Tabarî über die verschiedenen Bedeutungen auf, die durch die unterschiedlichen Lesarten entstehen. Man stößt in seinen Erläuterungen oft auf biblische Informationen (Isrâiliyyât), die er meistens auf Gelehrte der Tâbiûn wie Kâb al-Ahbâr, Wahb ibn Munabbî, Ibni Dschuraydsch und as-Suddî zurückführt und die man hadhthwissenschaftlich überprüfen kann, da die Überliefererketten mit angegeben werden.
Bei der Erläuterung von unklaren Wörtern im Koran hat sich Tabarî auch den vorislamischen Gedichten bedient und diese an vielen Stellen als Argumente für seine Kommentare angeführt.
Tabarîs Korankommentar beinhaltet eine beträchtliche Anzahl von Informationen über die Glaubensfundamente (Akîda) und die Theologie (Kalâm). In seinem Werk hält er sich an die sunnitische Lehrmeinung (Ahl as-Sunna wal Dschamâa) und widerlegt die Ansichten von Denkschulen wie der Mutazila, der Mudschassima bzw. Muschabbiha (Anthropomorphisten) und der Kadariyya (Leugner des Schicksals).
Schließlich kann man sagen, dass Tabarî in seinem Werk die Erläuterungen der wichtigsten Korankommentatoren wie Ibn Abbâs (r), Ibn Masûd (r), Alî ibn Abî Tâlib (r), Ubay ibn Kâb (r) und anderen wichtigen Gelehrten der Exegetik zusammengefasst und somit eine „Enzyklopädie der Interpretationen“ erstellt hat. Dabei achtete Tabarî besonders darauf, von Gelehrten, deren Erläuterungen schwach waren bzw. nicht akzeptiert wurden, keine Überlieferung anzugeben.