Al-Dschâhiz ist ein vielseitiger Vertreter der islamischen Kultur des 9. Jahrhunderts. Sein Leben und Wirken in der Blüte des Fortschritts skizziert Mehmet Genç.
Dschâhiz war ein vielschichtiger Gelehrter des 8. und 9. Jahrhunderts. Er lebte und wirkte in der Blütezeit der islamischen Kultur, in der die wissenschaftlichen Bestrebungen auf ihrem Höhepunkt angelangt waren. Gerade diese Zeit und sein Lebensort (Irak) trugen zu seinem großen Erfolg bei. Er verfasste unzählige Werke zu den verschiedensten Themen.
Die zweite große Dynastie der islamischen Geschichte war die der Abbasiden. Sie begann im Anschluss an die umayyadische Dynastie, deren Einfluss ab dem Jahr um 750 endgültig endete. Die Abbasiden gerieten im Jahre 945 unter die Herrschaft der schiitischen Buyiden, womit die abbasidische Herrschaft faktisch beendet wurde. Bis zur Zerstörung der Hauptstadt Bagdad im Jahre 1258 durch die Mongolen blieb das Kalifat, als ein rein repräsentatives Amt des sunnitischen Islams, erhalten.
Unter der abbasidischen Herrschaft fand die arabisch-islamische Kultur ihren Höhepunkt. Man spricht hier auch von der Blütezeit des Islams. Im 7. und 8. Jahrhundert gab es mit dem wirtschaftlichen Wohlstand der Menschen auch eine rege Stadtkultur. In diesem Zusammenhang war wohl der Kalif al-Maʾmûn (gest. 833), Sohn des Kalifen Hârûn ar-Raschîd (gest. 809), einer der wichtigen und prägenden Kalifen. Al-Maʾmûn ist vor allem für seine Unterstützung der muʾtazilitschen Theologie und der Förderungen der Wissenschaften bekannt geworden. So hatte er beispielsweise versucht, die Doktrin der Erschaffenheit des Korans zur Staatsdoktrin zu erheben, was ihm aber letztendlich nicht gelang.
Im Bereich der Wissenschaften hat al-Maʾmûn mit der Gründung des Hauses der Weisheit (Bayt al-Hikma) einen unschätzbaren Beitrag, nicht nur für die islamische Kultur, geleistet. In diesem Wissenszentrum in Bagdad wurde eine Vielzahl von Werken, vor allem aus dem Griechischen, in das Arabische übersetzt. Das Spektrum dieser Werke reichte von der Philosophie über die Medizin bis hin zur Mathematik. Es arbeiteten neben Muslimen auch Juden und Christen Seite an Seite. Die Inhalte dieser Werke wurden von verschiedenen muslimischen Gelehrten aufgegriffen und weiterentwickelt. Später wird man auch in Europa von diesen Werken und Übersetzungen profitieren.
Der unter dem Namen Dschâhiz (gest. 869) bekannte Gelehrte Abû Usmân Amr bin Bahr bin Mahbûb al-Dschâhiz al-Kinânî ist vermutlich zwischen 767-777 in Basra geboren. Den (Spitz-)Namen Dschâhiz bekam er aufgrund seiner großen Augen. Basra erlebte während seiner Jugendzeit eine Blütezeit im Bereich der Wissenschaft und Kultur. Viele große Gelehrte wie Halîl bin Ahmad, Sîbawayh, Asmaî oder Abû Zayd al-Ansârî wirkten damals in der Stadt Basra. Dschâhiz nahm am Unterricht dieser Gelehrten teil und studierte Grammatik, Poesie, Geschichte und Literatur. Er besuchte auch die in der Moschee veranstalteten Lehrunterweisungen und nahm an den (Gedicht)Vorträgen am Marktplatz teil. Von den Beduinen lernte er auch die „reine” arabische Sprache. Zudem verfolgte er den Diskurs der verschiedenen Rechtsschulen und deren Theologen. Manchmal reiste er zu diesen Anlässen nach Bagdad oder Kufa.
Der Kalif al-Maʾmûn wurde auf die verschiedenen Werke von Dschâhiz aufmerksam. Aus diesem Grund wurde Dschâhiz um das Jahr 815 nach Bagdad gerufen. Seitdem befand sich Dschâhiz meist in Bagdad und Samarra in der Nähe der Staatsführung und verfasste diverse Werke, wofür er auch reichlich entlohnt wurde. Auf diese Weise führte er seine Arbeiten fort, bis im Jahre 861 Kalif al-Mutawakkil alallâh ermordet wurde.
In Bagdad profitierte Dschâhiz von den übersetzten Werken des Aristoteles. Diese trugen sicherlich auch dazu bei, seine eigenen Gedanken bezüglich des Kalâm zu festigen. Seinen Lebensunterhalt bestritt Dschâhiz aus den Erträgen seiner Werke.
Zwischen den Jahren 835-847 erreichte Dschâhiz den Gipfel seines Schaffens. Viele seiner Abhandlungen aus dieser Zeit hat er dem Wesir Ibnu’ z-Zayyat Muhammad bin Abdulmalik gewidmet. Er besuchte in dieser Zeit die Städte Damaskus, Humus und Antakya. Als Ibnu’z-Zayyat verstarb, wurde er zwar verhaftet, aber später wieder von Ahmad bin Abû Duâd freigelassen. Daraufhin widmete er einige seiner Werke Abû Duâd und dessen Sohn Muhammad. Zwischenzeitlich hatte es der Kalif al-Mutawakkil alallâh in Erwägung gezogen, Dschâhiz als Privatlehrer für seine Kinder einzustellen, wobei er aufgrund seines unansehnlichen Gesichtes wieder davon absah.
Zu seinem Lebensende hin war Dschâhiz gelähmt und erkrankte an Gicht. Im Alter von etwa 95 Jahren starb er im Jahre 869 in Basra.
Dschâhiz spielte eine beachtliche Rolle innerhalb der islamischen Geistesgeschichte spielt, doch vor allem wurde er als Schriftsteller und Literat bekannt. Obwohl sich bereits hervorragende Persönlichkeiten wie Ibn Mukaffa oder Sahl bin Hârûn einen Namen gemacht hatten, stellt Dschâhiz mit seinen Werken den Höhepunkt der arabischen Prosaliteratur da. Eine seiner Ansichten als Literat war z. B., dass ein Buch zum einen möglichst einfach und verständlich verfasst werden müsse und zum anderen, dass wichtige Details für das Verständnis nicht weggelassen werden dürfen. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass der Autor nur von Menschen mit höherer Bildung verstanden würde.
Dschâhiz, als ein hervorragender Vertreter der arabisch-islamischen Blütezeit, hat sowohl religiöse als auch nicht-religiöse Werke verfasst. Der Umstand, dass er in der Stadt Basra, die als Hochburg der Rationalisten galt, geboren wurde, erlaubte ihm von den vielen Möglichkeiten der damaligen Zeit zu profitieren.
Über die Anzahl seiner Werke gibt es zwar keine genauen Angaben, jedoch kann davon ausgegangen werden, dass es wohl mehrere Hundert waren. Der französische Wissenschaftler Charles Pellat (gest. 1992) hat 244 Werke von Dschâhiz benennen können. Davon sind 25 komplett erhalten geblieben, wohingegen 65 Werke nur noch teilweise vorhanden sind.
In dem Bereich der Sprachwissenschaften hat Dschâhiz z. B. das Werk al-Bayân wat-tabyîn verfasst. In diesem Werk beschreibt er die Besonderheiten der arabischen Sprache sowie die besondere Begabung der Araber im Bereich der Poesie und Rhetorik.
Zum Bereich des Kalâm und den Rechtsschulen hat er z. B. das Werk al-Usmâniyya geschrieben. In dieser Schrift verteidigt er die ersten drei Kalifen entgegen der schiitischen Position. Dabei stellt seine sozio-psychologische und historische Betrachtungsweise eine Besonderheit da. In seiner Schrift Taswîbu Alî fî Tahkîmil-Hakamayn verteidigt er den 4. Kalifen Ali (r) gegen die Haridschiten und versucht die Richtigkeit der Entscheidung Alis zu beweisen.
Im Bereich der Ethik und Moral (Ahlâk) hat Dschâhiz ebenfalls eine Reihe von Schriften verfasst. Eine davon ist das Kitâb al-Mahâsin wal-Addâd. In diesem Buch untersucht er aus psychologischer Perspektive die guten und schlechten Handlungen von Menschen.
Ein anderer Bereich den Dschâhiz behandelt, ist Kunst und Handel. Hierzu zählt sein Werk Kitâb at-Tabassur bit-Tidschâra, in dem er sich mit der Herstellung, Qualität und dem Handel von Schmuck oder ähnlich wertvollen Dingen auseinandersetzt.
Das wichtigste Werk von Dschâhiz ist wohl das Werk Kitâb al-Hayawân, welches enzyklopädische Ausmaße hat und sich mit verschiedensten zoologischen Themen befasst.
Schon allein das weite Spektrum seiner Werke verdeutlicht, wieso Dschâhiz einen so großen Bekanntheitsgrad in der Vergangenheit als auch heute noch innehat. Dschâhiz ist wohl einer der herausragendsten Vertreter der arabisch-islamischen Kultur des 9. Jahrhunderts. Eine vielseitige Persönlichkeit, die sich nicht nur mit klassisch religiösen, sondern auch mit einer Reihe von anderen Inhalten auseinandergesetzt hat. Er lebte in einer Zeit, in der die wissenschaftlichen Bestrebungen auf ihrem Höhepunkt angelangt waren. Diese Blütezeit trug auch zum großen Erfolg seiner Werke bei.
Literatur:
– Pellat, Charles (1969): The life and works of Jahiz. Translations of selected texts. 1. publ. in Engl. London: Routledge & Kegan Paul (The Islamic world series).
– Heine, Peter (2006): ʿAbbasiden. In: Islam-Lexikon A-Z. Geschichte – Ideen – Gestalten. überarbeitete und aktualisierte Neuausgabe, Freiburg, Basel, Wien: Herder (Herder Spektrum).
– Kaya, Mahmut (1992): Beytülhikme. In: İslam Ansiklopedisi. Bd. 6. Türkiye Diyanet Vakfı.
– Richards, D.S. (1998): al-Jāḥiẓ. In: Meisami, Julie Scott: Encyclopedia of Arabic literature. London: Routledge.
– Șeşen, Ramazan (1988): Câhiz. In: İslam Ansiklopedisi. Bd. 7. Türkiye Diyanet Vakfı.